Hamburg. Leben mit einer bipolaren Störung: Mit „Die Ruhelosen“ zeigt Regisseur Lafosse einen starken Film über die Belastbarkeit der Liebe.
Er repariert das Fahrrad mitten in der Nacht. Er fährt seinen Sohn in Schlangenlinien zur Schule, um die Kinder dort aufzufordern, lieber an den See zu fahren. Damien (Damien Bonnard) kennt keine Grenzen, schon gar nicht die von Tag und Nacht. Schlafen kann er nicht. Er ist ruhe- und rastlos, zotteliger Bart, flimmernde Augen. Damien ist Maler, er braucht die latente Anspannung für seine Kunst.
Dann kratzt, wischt und malt er wie besessen. Aber es gibt eine kleine Familie um ihn herum, seine praktische Ehefrau Leila (Leila Bekhti) und den stillen Sohn Amine (Gabriel Merz Chammah), die mit diesem stimmungsschwankenden Ehemann und Vater leben müssen. Da gibt es nicht nur das gemeinsame Singen im Auto. Oder das Tanzen mit Leila. Da gibt es die vielen Stunden, in denen Damien wild umherläuft, plötzlich verschwindet. Ein Mann, der das Wort Scham nicht kennt, wenn er sich mal wieder danebenbenimmt.
Kinofilm zeigt Familien im Kampf um Gleichgewicht
Dann verzweifelt Leila, die handfeste Möbelrestauratorin, die es gewohnt ist, alles zu reparieren, auch ihren Ehemann. Dann kuschelt sich Amine an seinen Vater, im sicheren Gespür, dass der gerade jetzt Zuwendung und Ruhe braucht. Bis Leila ihren Mann erstmals in die Psychiatrie einliefert. Und sich nach dessen Wiederkehr langsam von ihm abwendet, obwohl er jetzt Pillen nimmt. Endlich.
Es ist das große Verdienst des belgischen Regisseurs Joachim Lafosse („Die Ökonomie der Liebe“) , dass er in seinem intensiven Kammerspiel „Die Ruhelosen“ erst sehr spät und quasi en passant erwähnt, dass Damien an einer bipolaren Störung leidet. Damit lenkt er den Fokus weg von der Krankheit und hin zu einer Familie, die um ihr Gleichgewicht kämpft. Ihre Belastbarkeit. Ihre Sehnsucht nach Leben. Wenn Damien malt oder Leila tanzt, sind die beiden ganz bei sich, was die Handkamera so dicht einfängt, dass man mitmalen oder -tanzen möchte.
Sonst herrscht auch in den Halbtotalen eine flirrende Ruhe, die stets aufzubrechen droht. Der Krankheit des Protagonisten entsprechend, den Damien Bonnard mit großer körperlicher Präsenz ausfüllt. Leila Bekhti ist der zunehmend verzweifelnde Ruhepol, in ihrem Gesicht spielt sich das ganze Drama einer Ehe ab, in der sie vom Kumpel zur Krankenschwester, von der Liebhaberin zur Leidenden wird. Eine Restauratorin, der die wichtigste Reparatur in ihrem Leben zu misslingen droht.
Gabriel Merz Chammah reagiert als Sohn intuitiv auf die schwierigen Situationen, findet klare Worte, wenn der Vater das stark beruhigende Lithium nimmt und wie ein Untoter durch diese sterbende Familie läuft. Wir dürfen in ihm das Alter Ego des Regisseurs erkennen, der hier seine autobiografischen Erfahrungen mit seinem eigenen Vater verarbeitet, der selber an einer bipolaren Störung litt. Ein starker Schauspielerfilm über die Belastbarkeit der Liebe. Kein Kranken-, sondern ein Familienfilm, der die Grenzen der intimsten menschlichen Gemeinschaft glaubwürdig und mitreißend auslotet.
„Die Ruhelosen“ 114 Minuten, ab 12 Jahren, läuft im Abaton und im 3001