Hamburg. Großzügiger Einsatz von falschen Zähnen und Zauselperücken bei „Der Diener zweier Herren“. Eine Schauspielerin springt kurzfristig ein.

„Butter my butt and call me a cookie!“ Butter mir den Po und nenn mich einen Keks? Yup. Keine Frage, Lisa Hagmeister hat an diesem Abend ein paar der allerschönsten Textzeilen abbekommen. Fair enough! Eigentlich ist die Schauspielerin nämlich Ensemblemitglied am Thalia Theater, und in dem Stück, das hier weitgehend auf Englisch mit Übertiteln über die Bühne des St. Pauli Theaters geht, während Hamburgs Erster Bürgermeister unten in der ersten Reihe sitzt, ist sie gar nicht besetzt.

Weil aber Antú Romero Nunes’ Inszenierung „Der Diener zweier Herren“ – eine Produktion des Berliner Ensembles und das Auftaktgastspiel beim 14. Hamburger Theaterfestival – just am Premierenmorgen eine der fünf Schauspielerinnen abhanden gekommen ist (Judith Engel muss kurzfristig krank in der Hauptstadt zurückbleiben), springt Hagmeister in Hamburg spontan ein.

Theaterkritik: Fulminanter Auftakt des Hamburger Theaterfestivals

Und bestätigt mit ihrer Ad-hoc-Übernahme nicht zuletzt einen der Hauptgründe für den Erfolg dieses Festivals: die Verneigung vor den umwerfenden Schauspielern. In diesem Fall: Schauspielerinnen. Was man übrigens nahezu nicht bemerkt. Also: die Übernahme nicht (Lisa Hagmeister hat den Großteil des Textes drauf und verkörpert derart souverän die Skurrilität ihrer Figur, dass man meint, sie habe sie erfunden) und auch nicht die Tatsache, dass hier ausschließlich Frauen das Lustspiel kapern. Denn das ist der Clou des Abends, oder vielmehr: einer von mehreren.

Nunes’ herrlich mackerhafte Version der Goldoni-Komödie präsentiert sich als schrulliges Südstaatendrama, das vor fast allen Theater-Gewerken den (Cowboy-)Hut zieht. Zuallererst seien da – neben dem Ensemble, versteht sich – Maske (Friederike Reichel, Michaela Wunderlich) und Kostüm (Lena Schön, Helen Stein) genannt, die das Geschlechter-Verwirrspiel, das ja ohnehin im Goldoni-Stoff steckt, unter großzügigem Einsatz von Zauselperücken, kuriosen Zähnen, Aufklebbärten und eingenähten Sixpacks überdrehen.

Hamburger Theaterfestival: Schauspielerin springt kurzfristig ein

Wie Constanze Becker, Lili Epply und Cynthia Micas mit Lust und Temperament durch diese maskulinen Identitätsmöglichkeiten wirbeln (und zwar allesamt durch mehr als bloß eine), ist bis hin zur singenden Final-Säge eine absolute Wucht und zauberhaft ideenreich. Wann sah man auf einer Hamburger Theaterbühne zuletzt jemanden durch eine Zahnbürste k.o. gehen?

Der Gipfel des Showdowns ist Stefanie Reinsperger in der Titelrolle des hungrigen Laufburschen: krachledern, energiegeladen, rührend, lustig, verletzlich, saftig und, um das bisweilen äußerst eigenwillige Englisch-Denglisch an dieser Stelle aufzugreifen: originell as hell.

Hamburger Theaterfestival: Großzügiger Einsatz von falschen Zähnen

„Life is no sugar-licking“, das Leben ist kein Zuckerschlecken, erkennt sie/er im Stück, und in etwas anderen Worten hatten auch Festivalchef Nikolaus Besch und Bürgermeister Peter Tschentscher in ihren Grußworten zuvor an all das erinnert, was da draußen, in dieser Welt vor dem Theater, gerade enorm schief läuft. Der nicht vordergründig alberne, sondern wohltuend freie, ausgelassene und dabei trotzdem sehr fein ausbalancierte Festivalauftakt auf der schmucken St.-Pauli-Bühne ist ein toller, entsprechend heftig bejubelter Gegenentwurf.

Wem übrigens „Butter mir den Po und nenn mich einen Keks“ bislang nicht so geläufig war: Es dient als Ausdruck der Verblüffung. Den man sich zur späteren eigenen Verwendung ganz unbedingt griffbereit beiseite legen sollte.

Hamburger Theaterfestival bis 4.6., das nächste Gastspiel kommt vom Schauspiel Köln: „Vögel“, 10./11.5., jew. 19.30 Uhr, Thalia Theater; www.hamburger-theaterfestival.de