Hamburg. Eine Stadt sieht einen (alten) Film: Am Sonntag läuft „Rocker“ in 16 Kinos. Wie Regisseur Klaus Lemke Hamburg damals kennengelernt hat.
Klaus Lemke ist ein Unikum unter den deutschen Regisseuren. Der heute 81-Jährige gilt seit den 60er-Jahren als radikal und unabhängig. Er arbeitet fast immer mit einem winzig kleinen Budget, holt dabei bevorzugt Laien vor die Kamera. Iris Berben, Dolly Dollar und Wolfgang Fierek hat er entdeckt. Man hat ihn als „letzten Straßenkämpfer im Filmgeschäft“ bezeichnet. 1972 setzte er sich selbst ein Denkmal, als er für das ZDF (!) den Film „Rocker“ drehte, der seitdem zum Klassiker avancierte.
Es geht um zwei Brüder, ein geklautes Auto, Zuhälter, Saufgelage, Schlägereien und andere Männerrituale. Am Sonntag wird er in Hamburg in 16 Kinos gezeigt, wenn das Kiez-Drama im Rahmen der Reihe „Eine Stadt sieht einen Film“ läuft. Bereits am Sonnabend zeigt das Abaton um 19.30 Uhr den Dokumentarfilm „Bad Boy Lemke“ über den Filmemacher.
Hamburger Abendblatt: Herr Lemke ...
Klaus Lemke: Meine Filme sind eine erstklassige Version meiner Unzulänglichkeit. Und aus reinem Übermut streamt mein Kopf immer noch ein paar kleine, schmutzige Geschichten dazu. Die Zuschauer wollen mal für eine Stunde unterhalten werden und jemand anders sein. Und das zaubert ihnen wieder dieses kleine, süße Grinsen ins Gesicht. Der Film ist dafür der Anlass. Gute Sätze, oder?
Als Sie „Rocker“ gedreht haben, haben Sie damals in der Hansestadt gelebt?
Lemke: Nein, ich war in München. In die Stadt kamen damals die atemberaubenden Stars aus England. Uschi Obermeier hat sich Mick Jagger geschnappt. Auch Nora Forster sorgte für viel Aufsehen. Sie war mit Jimi Hendrix befreundet. Jetzt ist sie seit mehr als 40 Jahren mit dem Sex-Pistols-Musiker Johnny Rotten zusammen und leider an Alzheimer erkrankt. Sie leben im Haus der ehemaligen Hollywood-Größe Mae West in Los Angeles. Ich war damals mit Iris Berben zusammen. Sie war aus Hamburg abgehauen und wurde meine Freundin. Ich hatte auch noch eine andere Freundin. Christine tanzte im Musical „Hair“. Sie hat mir erzählt, dass jeden Abend im Theater ein schräg aussehender Rocker an die Bühne kam und ihr Blumen zugeworfen hat. Kurz danach ist sie in eine Villa im Rondeel eingezogen, in der auch Stefan Aust und ein Drogenhändler lebten. Im Keller wohnten einige Mitglieder der Baader-Meinhof-Gruppe. Der halbe „Rocker“-Film spielt in diesem Haus.
Sie sind also nach Hamburg gekommen ...
Lemke: Ich ging über die Davidstraße, es war mein erster Besuch in der Stadt, und wunderte mich, woher das tiefe „Tuut, Tuut“ immer kam. Die Elbe ist zwar nicht weit weg, aber ich konnte sie nicht sehen. Plötzlich ging ein 16 Jahre alter Junge an mir vorbei. Ich wusste: Das ist er. Ich bin ihm stur nachgegangen bis zur Wohnung, in der er mit seiner Schwester lebte. Er machte eine Lehre in einem Supermarkt auf der Reeperbahn. Der Film dreht sich um diesen Jungen und einen Rocker, den ich inzwischen kennengelernt hatte. Das wäre doch eine unglaubliche Geschichte, habe ich gedacht, wenn die beiden Brüder wären. Der große Bruder ist ein richtiger Schweinekopp, aber der Kleine liebt ihn trotzdem. Als der Große im Film umgebracht wird, rächt der Jüngere ihn. Nach dieser Szene geht er einfach weiter und schaut noch einmal zurück. So endet der Film. Die Moral ist, dass nur nicht erwiderte Liebe wahre Liebe sein kann.
Wie wichtig war dieser Film für Sie?
Lemke: Der wichtigste. Zum allersten Mal bin ich mit einer Gesellschaftsschicht zusammengekommen, die es in München gar nicht gab. So etwas wie die Reeperbahn gibt es woanders nicht.
2009 haben Sie bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck für „Dancing with Devils“ den Preis für den besten Fernsehfilm erhalten, der mit 20.000 Euro dotiert war. Damals haben Sie gesagt: „Geld schadet nur.“ Sehen Sie das noch so?
Lemke: Nein, das kann es nicht sein. Man sollte aber beim Film Geld durch noch mehr Anstrengung ersetzen. Man sollte nicht einfach noch mehr Geld zum Geld werfen, sondern das durch eigene Energie und Kreativität ersetzen. Dann macht es auch Spaß, sonst ist es langweilig.
Eine Stadt sieht einen Film: „Rocker“ am 19.6., alle Kinos, Gäste und Anfangszeiten unter www.eine-stadt-sieht-einen-film.de