Hamburg. Er stammt aus einer Wiener Klarinetten-Dynastie mit drei Philharmonikern in unterschiedlichen Orchestern.
Die Wiener Musiker-Familie Ottensamer wäre fast schon ein Fall für das Kartellamt, für die Abteilung „Top-Stellen in Spitzenorchestern“, die man extra für sie einrichten müsste: Daniel ist Solo-Klarinettist bei den Wiener Philharmonikern; sein jüngerer Bruder Andreas hat ebendiesen Posten bei den Berliner Philharmonikern; Vater Ernst war Solo-Klarinettist bei den Wienern. Als Daniel Ottensamer kürzlich für ein Konzert mit den hiesigen Philharmonikern und Kent Nagano in Hamburg war, ging es beim Gespräch also, wenig überraschend, vor allem um ein Thema.
Hamburger Abendblatt: Sie müssen es ja wissen: Was können die Wiener Philharmoniker überhaupt nicht so richtig gut?
Daniel Ottensamer: Da wir doch eine gewisse Tradition haben, auch, was das Repertoire betrifft, ist eine Uraufführung vielleicht nicht das Kernrepertoire der Philharmoniker. Ich sage nicht, dass wir es nicht können, aber wir machen es doch nicht sehr oft. Und wenn mal so ein Stück kommt, müssen wir uns damit ein bisschen genauer auseinandersetzen.
Ihre Familie ist sehr speziell: drei Klarinettisten, auf zwei Generationen verteilt, nur Ihre Mutter ist ein bisschen das schwarze Schaf der Familie, sie hat Cello unterrichtet, am Wiener Konservatorium.
Ottensamer: Sie hatte es ein bisschen schwer mit uns. In der Blütezeit unserer Ausbildung hat sie aus drei unterschiedlichen Räumen ein dreifaches Klarinettenspiel ertragen müssen. Aber sie hat sich nie beschwert und ist vielleicht ein bisschen wehmütig, dass keiner von uns beim Cello gelandet ist. Mein Vater hat den Beruf sehr attraktiv vorgelebt. Für meinen Bruder und mich war recht klar, dass das ein cooler Job ist. Gott sei Dank ist bei uns beiden irgendwann dieser Ehrgeiz entbrannt, dass man sagt, okay, man möchte auf dem Instrument besser werden.
Gab es einen brüderlichen Wettstreit? Sie hatten ja einige Jahre Vorsprung.
Ottensamer: Ja, und deswegen gab es auch nie eine Konkurrenz. Wir haben gern miteinander gespielt. Ich habe meine Stelle sehr früh bekommen, er auch, aber da hatte ich meine schon längst.
Hat Ihr Vater lenkend eingegriffen? Sie haben beide in Wien studiert, aber nicht bei ihm, sondern bei einem seiner Kollegen.
Ottensamer: Ich hab nie bei meinem Vater gelernt, mein Bruder auch nicht. Wir konnten uns bei ihm schlaumachen, wenn wir das wollten, aber er hat sich aus der Ausbildung sehr herausgehalten.
2007 sind Sie zu den Wienern gegangen und wurden 2009 sein Nachfolger, haben also neben Ihrem Vater im Orchester gespielt.
Ottensamer: Fast richtig. Es gibt bei den Philharmonikern drei Solo-Klarinettisten. Wir haben also nie gemeinsam gespielt, sondern den Dienstplan ausgemacht. Auf Tourneen, wo das Personal zusammengehalten wurde, habe ich hin und wieder mit ihm auf einer Bühne gesessen. Und das habe ich immer sehr genossen. Und vor dem Engagement war ich sehr oft Aushilfe, da durfte ich etliche Abende neben ihm lernen.
Bei einem Probespiel bei den Berlinern wurden Sie Zweiter. Wie lang ärgert so etwas?
Ottensamer: Damals habe ich überhaupt nicht erwartet, dass ich dort irgendetwas reiße. Ich war 18 und bin im Nachhinein froh. Das wäre zu früh gekommen. Gott sei Dank hat es dann zwei Jahre später bei den Wienern geklappt.
Ab wann hört man auf, sich zu kneifen, wenn man realisiert: Ich bin jetzt Wiener Philharmoniker, das träume ich nicht, ich sitze wirklich hier?
Ottensamer: Das ist schon ein Lebenstraum, der in Erfüllung geht. Man könnte einen solistischen Weg gehen, aber für mich ist das, ehrlich gesagt, nicht die Erfüllung mit diesem Instrument. Ich spiele wahnsinnig gern solistisch, doch das Repertoire ist ein bisschen begrenzt. Als Klarinettist kannst du das Mozart- oder das Copland-Konzert spielen, Nielsen, Weber … dann wird’s schon ein bisschen dünn. Im Orchester kann man sehr viele Solo-Stellen spielen und hat eine sehr schöne Position. Wenn es gelingt, auch durch das Glück einer Tagesverfassung beim Probespiel, in eines der wenigen Weltklasse-Orchester zu gelangen, ist das ein unglaubliches Glücksgefühl. Und wenn ich dann auch noch auf meinen Bruder blicke, der das bei den Berlinern geschafft hat, muss ich mich zwei- oder dreimal kneifen.
Albrecht Mayer, Solo-Oboist bei den Berlinern, erzählte mir, das Probejahr sei dort kein Streichelzoo gewesen. Und dann, als Wiener, als Sohn eines Philharmonikers, in dieses Orchester zu kommen – da sind erst mal starke Nerven gefragt?
Ottensamer: Bei uns gibt es die besondere Schwierigkeit, dass wir in der Staatsoper spielen und einen Repertoirebetrieb haben. Wenn du da als Neuer ins Orchester kommst, musst du in einer Woche womöglich gleich drei, vier Opern vom Blatt spielen. Auf einer Solo-Position, in der Vorstellung, ohne Probe. Das ist schon eine besondere Herausforderung. Durch die Aushilfen kannte ich einiges an Repertoire. Aber ich habe auch einen „Rosenkavalier“ oder eine „Salome“, ohne sie jemals vorher gespielt zu haben, spielen müssen, und da braucht es große Vorbereitung und schnelles Einleben.
Das ist die Playlist von Daniel Ottensamer
- „Adventures From Earth” aus „E.T.” John Williams, Wiener Philharmoniker
- Richard Strauss „Meinem Kinde” op. 37,3 Barbara Bonney, Malcolm Martineau
- „Schön ist der Tag“ aus Emmerich Kálmáns Operette „Kaiserin Josephine“ Fritz Wunderlich
- Stephan Koncz „A New Satiesfaction” Philharmonix
- „Rose Room” Philharmonix
- Rune Tonsgaard Sørensen „Shine You No More” Danish String Quartet
- Adele „When We Were Young”
- Richard Wagner: Vorspiel „Tristan und Isolde“ Carlos Kleiber / Staatskapelle Dresden
- Carl Orff „Carmina Burana“: „In Trutina” Barbara Bonney, André Previn, Wiener Philharmoniker
- Gabriel Fauré Klaviertrio d-Moll op. 120, 1. Satz. Altenberg Trio Wien
Wie bekommt ein neuer Dirigent Respekt von den versammelten Wiener Philharmonikern?
Ottensamer: Sehr schwer, sehr schwer … Wir haben ja nicht oft junge, neue Dirigenten, weil wir nicht sehr viel Symphonisches spielen und in unseren Konzerten meistens die Weltelite der Dirigenten zu uns kommt. Wir haben also wenig Gelegenheit, neue auszuprobieren. Ab und zu kommt es dann doch vor und bin mir dann schon bewusst, dass es für diese Dirigenten eine besonders schwierige Situation ist. Es schaffen aber doch immer wieder Dirigenten, eine Basis hinzubekommen, einen guten Mittelweg zu finden, um freundlich zu sein und trotzdem glaubhaft zu machen, dass etwas Sinn ergibt.
Haben Sie im Orchester-Repertoire ein Lieblings-Solo?
Ottensamer: Das Klarinetten-Solo in der „Tosca“, einfach ein wunderschönes Stück Musik. Schon als kleines Kind hab ich das immer wieder in der Oper gehört; als mein Vater noch gespielt hat, bin ich oben gesessen und hab ihn im Graben gesehen.
Sind Sie jetzt, mit diesem Posten, im besten Sinne des Wortes verdorben für jedes andere Orchester, weil Sie nun auf diesem Niveau unterwegs sind? Wo soll man danach noch hingehen?
Ottensamer: Ich möchte gar nicht so sehr werten. Es gibt so viele fantastische Orchester, und es gibt zweifellos ein Kernrepertoire der Wiener Philharmoniker, das teilweise für dieses Orchester geschrieben wurde und ihm unglaublich liegt. Ein gewisses Repertoire könnte ich nur in diesem Orchester spielen.
Kommen wir zu den Nerd-Themen, so von schlechtem Ex-Klarinettist zu tollem Solo-Klarinettist. Die wichtigste Grundsatzfrage: Kaufen Sie Ihre Rohrblätter, die man zum Spielen für das Mundstück braucht, oder feilen Sie die noch selbst passend?
Ottensamer: Ich glaube, Sie finden keinen mehr, der die selber baut, das gibt es heute nicht mehr. Man kauft sie, und dann kann man sie verfeinern.
Haben Sie eine Schatzkiste mit den extra guten Blättern, die man sich sorgsam für eine besondere Konzert-Gelegenheit zurücklegt und die genau dann trotzdem verrecken und nicht halten, was sie versprachen?
Ottensamer: Mit Material bin ich Gott sei Dank nicht besonders empfindlich. Meine Leistung kriege ich schon irgendwie hin.
Letzte Grundsatzfrage, ein bisschen wie „Beatles oder Stones?“: Das Blatt mit einer Metallschraube am Mundstück befestigen oder mit einer Schnur umwickeln?
Ottensamer: Ich schraube. Das ist eine lange Wiener Tradition, wir haben diese Silberschrauben. Ich verändere ungern etwas.
Sie haben drei Kinder, haben die etwas Vernünftiges gelernt oder sind sie alle mit der Klarinette unterwegs?
Ottensamer: Nein, nein, nein. Die Kinder sollen Kinder sein, aber mir ist recht wichtig, dass sie alle einen Bezug zur Musik haben. Ob das dazu führt, dass eines oder alle drei Musiker werden möchten oder nicht, ist nicht so wichtig. Hauptsache, sie haben die Möglichkeit – wenn sie es wollen ...
… und dann kommt der Onkel vorbei, und der spielt auch noch dieses Instrument …
Ottensamer: Richtig. Die glauben, alle Menschen auf der Welt spielen Klarinette (lacht).
Zum Abschluss kann ich’s ja sagen, wir sind heil durchgekommen: Im Vorfeld unseres Termins hatte ich Sie zwischenzeitlich bei der Vorbereitung kurz mit Ihrem Bruder verwechselt. Passiert Ihnen das öfter?
Ottensamer: Das passiert uns beiden öfters. Als mein Vater noch lebte, ist es uns allen passiert. Weil mein Bruder und ich im gleichen Alterssegment sind, geschieht das laufend, und wir nehmen das mit großem Humor. Neulich stand in einer Kritik über ein Konzert meines Bruders Andreas: „Wunderbar gespielt von Daniel Ottensamer, der übrigens inzwischen zu den Berliner Philharmonikern gewechselt hat.“ Das war der Höhepunkt.
Konzerte Daniel Ottensamer: Philharmonix Open Air beim Schleswig-Holstein Musik Festival: 19.7. Norderstedt, 20.7. Kiel, 22.7. Pronstorf. Infos: www.shmf.de
Konzerte Andreas Ottensamer:28.6. (18.30 und 21 Uhr) mit Yuja Wang (Klavier) und Gautier Capuçon. Werke von Brahms. Elbphilharmonie, Gr. Saal. www.elbphilharmonie.de