Berlin/Hamburg. Vor seinem Konzert in der Barclays Arena spricht der weltberühmte Filmmusikkomponist über den Krieg – und verkneift sich einen Satz.
Er muss selbst schnell ein Foto machen, denn der Ausblick von der Rooftop-Bar „260 Grad“ ist ja grandios, über den Dächern von Berlin, mit Blick auf Oberbaumbrücke und East Side Gallery. Seine Pressekonferenz findet aber trotz strahlenden Wetters drinnen statt. Dort steht Hans Zimmer vor gelber Wand, mit blauem Jackett. Ein Statement zur aktuellen Lage, ein Bekenntnis zur Ukraine. Zimmer ist in gewisser Weise selbst betroffen.
Derzeit probt er in Berlin für seine Europa-Tournee, mit der er ab Freitag, dann ist Tourauftakt in der Hamburger Barclays Arena, sechs Wochen durch die Lande und 25 Städte zieht. Dabei wird er begleitet vom Odessa Opera Orchestra, also Musikern aus der Ukraine. Zehn von ihnen schafften es gerade noch, mit ihren Familien ihr Land zu verlassen. Eine schwierige Situation, für alle Beteiligten.
Hans Zimmer gibt Konzert in der Barclays Arena in Hamburg
Mit welchem Gefühl schaut der Filmkomponist aus dem fernen Hollywood, der ausgerechnet jetzt durch Europa tourt, da hier ein Krieg tobt, auf die politische Lage? Noch dazu, wo er auch in einigen osteuropäischen Städten nahe am Krisengebiet Station macht? Zimmer antwortet mit einem Zitat des Malers Max Liebermann, auch wenn er es Max Beckmann zuschreibt: „Man kann gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.“ Was da passiert, sei eine Katastrophe. Er habe aber nicht nur Geflüchtete aus der Ukraine in seinem Orchester, sondern auch aus Südafrika und Venezuela.
„Ich bin kein Politiker“, betont der 64-Jährige. Den nächsten Satz verkneift er sich erst, dann sagt er ihn doch: „Ich möchte mehr machen, als es Politiker können. Ich möchte, dass Menschen zusammenkommen, dass dieses Gemetzel aufhört, dass die Gier aufhört.“ Es könne nur eine Haltung zum Krieg geben: die, dagegen zu sein. Und dann wendet er sich an seine Musiker und an seinen ukrainischen Tourmanager Oleksandr Lysiuk, den er an diesem Nachmittag zu sich auf die Bühne holt: „Wir haben euch zusammengesucht, um die Welt zu verbinden. Ihr schenkt einen Moment des Friedens und des Glücks.“
Hans Zimmer gehört zu den ersten, die auf Arena-Tour gehen
Ein Statement ist die Tour „Hans Zimmer Live“ auch in anderer Hinsicht. Das letzte große Konzert, das Zimmer in einer Arena gegeben hat, war im Oktober 2019 in Melbourne. Dann kam bald Corona. Und für die gesamte Veranstaltungsbranche war Schluss. Jetzt gehört Zimmer zu den Ersten, die sich wieder auf eine Arena-Tour machen: sechs Wochen lang, mit 130 Musikern quer durch Europa. London, Paris, Mailand, Stockholm, Wien, Budapest, Prag und, und, und.
Das ist die erste Tournee in dieser Größenordnung seit dem ersten Lockdown vor zwei Jahren. Geplant war sie schon für 2021, musste dann aber auf dieses Jahr verschoben werden. Wieder Konzerte zu geben und solche Veranstaltungen hochzufahren sei immens wichtig: Sonst, meint Zimmer, gebe es bald keine Orchester mehr.
Auf der Bühne stehen wird er auch am 28. März. An dem Tag, an dem die Oscars verliehen werden, spielt er in Amsterdam. Und ist glücklich darüber. Er ist zwar einmal mehr nominiert – für seinen Score zum Science-Fiction-Film „Dune“. Es ist seine zwölfte Nominierung, 1999 war er gleich zweimal nominiert, und eine Trophäe steht bei ihm zu Hause, die für „König der Löwen“. Das war 1995.
Hans Zimmer: Oscar-Verleihung auch eine traurige Veranstaltung
Aber, sagt Zimmer, die Verleihung sei eigentlich eine traurige Veranstaltung: Anfangs säßen in dem Saal lauter Nominierte voller Erwartungen. Am Ende des Abends seien aber vier Fünftel von ihnen Verlierer. Das trage nicht zur Stimmung bei. „Und dann müssen wir ja jetzt am Kindertisch sitzen“, stichelt er. Weil die Zeremonie immer länger dauert, werden Nebenkategorien wie Filmmusik oder Schnitt bereits vorher vergeben. „Die Academy hat vergessen, dass wir alle denselben Wert haben.“ Deshalb dankt Zimmer seinem Tourmanager geradezu dafür, dass er an diesem Abend einen Konzerttermin organisiert hat.
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Und wie ist es für den gebürtigen Frankfurter, wieder in Deutschland zu sein? Bedeutet ihm, der schon seit so vielen Jahren in Hollywood lebt, das noch etwas? Da macht Zimmer eine lange Pause. Wie man ja merke, spreche er nur noch „Kinderdeutsch“, weil er die Sprache so selten spricht. Aber: „Nicht ich habe Deutschland verlassen, Deutschland hat mich verlassen.“
Hans Zimmer: Künstler haben die Pflicht einzustehen
Er habe von jeher ein Problem mit Autoritäten. Er sei aus acht Schulen hintereinander hinausgeflogen, erst in der neunten durfte er bleiben – in England. „Und dann stellte sich für mich die Wahl: Soll ich zur Bundeswehr oder in eine Rock-’n’-Roll-Band in England?“ Bis heute denke er darüber nach, ob es die richtige Entscheidung war. Sagt er. Aber da kokettiert er natürlich nur.
Dann kommt er noch einmal zum Fluchtthema zurück. Das gab es ja auch in seiner Familie. Seine Eltern konnten 1939 als Juden Deutschland gerade noch verlassen. Sie kehrten zurück, aber ihr Trauma hat er immer gespürt. Und auch wenn die Zeiten, in denen er mit einer Band auf der Bühne stand, lange her sind und er anfangs „Riesenängste“ hatte, wieder aufzutreten – seine Freundin habe ihm eingebläut, dass er es wagen müsse und sich nicht hinter der Kinoleinwand verstecken dürfe.
So tourt er nun mit Musikern aus aller Welt. Denn als Künstler habe man die Pflicht einzustehen. Der höhere Sinn von Kultur sei es, Menschen zusammenzubringen. „Und Mauern einzureißen – nicht Mauern zu errichten.“
„Hans Zimmer Live“ Fr 11.3, 20.00, Barclays Arena, Restkarten ab 132,75 im Vvk.