Hamburg. Das Stück ist ein Plädoyer für die vielfältigen Möglichkeiten des Lebens. Devid Striesow übernahm für den erkrankten Jan Josef Liefers.

Man freut sich ja, wenn eine Premiere oder Veranstaltung dieser Tage nicht abgesagt werden muss. Die Pandemie rüttelt am Sonntagabend auch das Konzept der szenischen Lesung „Die Unmöglichen“ in der Laeiszhalle durcheinander. Für den erkrankten Jan Josef Liefers springt kurzfristig Devid Striesow ein. Der ist, wie das gesamte Podium, ein Schauspiel-Vollprofi, weshalb er mit gewohnter Präzision als Erzähler für glänzenden Ersatz sorgt.

Ihm zur Seite gesellen sich Meret Becker, Claudia Michelsen, Ronald Zehrfeld, Thomas Loibl und Matthias Koe­berlin, Schwergewichte der deutschsprachigen Film- und TV-Landschaft. Aufgereiht sitzen sie nun an einem langen Tisch und sprechen den Text von „Die Unmöglichen“ in ihre Mikrofone. Paul Plamper und Julian Kamphausen haben den Text als Hörspiel konzipiert. Simone Henke hat ihn eingerichtet. Doch hier wird er nicht schlicht vom Blatt gespielt, das Ensemble erfüllt die Figuren mit Leben, gibt dem Ton individuelle Nuancen, steigert die Dynamik.

Laeiszhalle: Striesow springt für Jan Josef Liefers ein

Die Geschichte hat es aber auch in sich. Claudia Michelsen und Thomas Loi­bl geben das Paar Hanna und Gregor. Um doch noch an ihr Wunschkind zu kommen, entscheiden sie sich für eine In-Vitro-Fertilisation in England. Dabei werden die entstehenden Embryos auf ihr genetisches Material hin überprüft – ein Verfahren, das in Deutschland aus historischen Gründen verboten ist.

Die Lesung setzt bei der Einpflanzung eines der drei möglichen Embryonen ein – und folgt den Lebenswegen dreier hypothetischer Kinder. Zuerst quäkt Ronald Zehrfeld als zarter Max, der sich zum Pianisten-Wunderkind entwickeln, aber vorzeitig durch einen Autounfall sterben wird. Matthias Koe­berlin gibt den robusten Max, der sich früh für Autos begeistert und bald – zum Verdruss seiner Kunst liebenden Mutter – zum erfolgreichen Autoverkäufer heranwächst. Und dann ist da Meret Becker, die Amelie gibt. Sie hat ein Extra-Chromosom, Trisomie 21. Hanna ist schnell ganz vernarrt in sie. Und so ist es zunächst vor allem an Thomas Loibls Gregor, den Zweifeln Worte zu verleihen.

Laeiszhalle:„Die Unmöglichen“: ein Plädoyer für die vielfältigen Möglichkeiten des Lebens

Mit Devid Striesow als wortkargem Kollegen trifft er sich am Getränkeautomaten und ist sich sicher, er könne das nicht. Zum Glück kommt es anders. Meret Becker gibt Amelie eindringliche Facetten, ohne die Figur zu verraten. Und es entsteht tatsächlich ein Familienglück. Nicht mit dem moralisch erhobenen Zeigefinger, aber inhaltlich doch deutlich, wird die Frage nach der menschlichen Ethik aufgeworfen. Wie bewerten wir menschliches Leben? Wer sind die „Unmöglichen“, wenn nur ein Embryo selektiert wird? Und warum?

Wer eine etwas dröge Trockenübung erwartet hatte, wird hier positiv überrascht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler verleihen ihren Figuren gestenreich Authentizität und Glaubwürdigkeit. Am Ende ist „Die Unmöglichen“ vor allem ein Plädoyer für die vielfältigen Möglichkeiten des Lebens.