Hamburg. Zwischen Jazz, Country und Folk: Norah Jones hat mit „’Til We Meet Again“ ihr erstes Live-Album veröffentlicht.
In den vergangenen 14 Monaten ist kaum eine Woche ohne ein Konzert von Norah Jones vergangen. Allerdings: Auch die neunfache Grammy-Gewinnerin hat nicht durch die Welt reisen, in den Clubs und Hallen oder bei den großen Open-Air-Festivals spielen können, für die sie gebucht war. Stattdessen hat sie per Facebook aus ihrem Haus in New York gestreamt.
Häufig saß sie dabei allein am Klavier, an der Wand eine bunte Zeichnung von einem ihrer beiden Kinder, sang Lieder aus ihrer gesamten Karriere und bat um Spenden für karitative Organisationen. Diese etwa 20-minütigen Konzerte hatten und haben (sie finden weiterhin statt) eine sehr intime Atmosphäre.
Emotionale Anker in schwierigen Zeiten
Nicht ein Weltstar präsentiert sich hier, sondern ein Mensch mit ganz ähnlichen Hoffnungen, Ängsten, Träumen wie sein Publikum. Bis zu 600.000 wollen das jede Woche erleben, die Facebook- und YouTube-Kommentare zeigen, dass diese Auftritte für viele zu einem emotionalen Anker in schwierigen Zeiten geworden sind.
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Und der 42-Jährigen, die 2002 mit ihrem Debütalbum „Come Away With Me“ über Nacht zum Weltstar wurde, haben sie auch eine Struktur im zwangsweise veränderten Alltag gegeben. Zeit für diese Kurzkonzerte war ja plötzlich im Überfluss vorhanden. Genutzt hat Norah Jones diese Zeit auch, um sich durch ein riesiges Archiv an Live-Aufnahmen aus den vergangenen Jahren zu hören.
Konzert in Rio de Janeiro war der Zündfunke
Zunächst, weil sie ein paar Beiträge für eine geplante Radiosendung suchte, doch dann wurde mehr daraus: Ein Konzert aus dem Dezember 2019 in Rio de Janeiro war der Zündfunke für die Idee, ein ganzes Live-Album zu veröffentlichen, ihr erstes nach fast 20 Karrierejahren. „Es hat so einen Spaß gemacht, diese Songs anzuhören, ich habe mich so wohl dabei gefühlt, dass ich immer tiefer eingestiegen bin.“
Das Ergebnis ist „’Til We Meet Again“, eine akustische Überbrückungshilfe, die für beide Seiten die Zeit verkürzen soll, bis Konzerte vor Live-Publikum endlich wieder möglich sind – wobei sich das in New York, wo die Corona-Beschränkungen fallen, inzwischen ja schon absehen lässt.
14 Songs aus den Jahren 2017 bis 2019 finden sich hier, aufgenommen in den USA, in Frankreich, Italien, Brasilien und Argentinien. Songs aus allen Schaffensphasen, auch aus „Come Away With Me“, das sich bis heute mehr als 27 Millionen Mal verkaufte. Auf diesem Klassiker findet sich auch die Hank-Williams-Nummer „Cold, Cold Heart“, die in der aktuellen Version aus Santa Rosa/Kalifornien schon beim einleitenden Basslauf das Publikum hörbar euphorisiert.
Die Energie und Intensität überträgt sich aufs Publikum
Überhaupt ist die hier dokumentierte Begeisterung bemerkenswert, hat Norah Jones doch gelegentlich berichtet, ihr Publikum sei traditionell eher zurückhaltend – diesen Eindruck macht es jetzt nicht. Zu einem Teil liegt das gewiss an der geschickten Auswahl der Mitschnitte, und in Brasilien oder Argentinien herrscht in den Clubs natürlich grundsätzlich eine etwas andere Betriebstemperatur.
Aber es ist sicher auch einer Musikerin anzurechnen, deren Energie und Intensität sich überträgt. Ganz besonders war das am 23. Mai 2017 in Detroit der Fall. Kurz zuvor hatte der ehemalige Soundgarden-Sänger Chris Cornell sich das Leben genommen und zuvor sein letztes Konzert im Fox Theatre gespielt, in dem nun Norah Jones auftreten sollte. Cornells Lieder hatten sie seit ihrer Jugend begleitet, sein Tod war ein Schock.
Große Gelassenheit
Und so studierte sie in wenigen Stunden den Soundgarden-Song „Black Hole Sun“ ein, um ihn an eben diesem Ort zu spielen – zum ersten und bisher einzigen Mal. Wie besonders diese Minuten in Detroit waren, ist auch auf dem Album spürbar, wenn das Publikum zwischendurch immer wieder in spontanen Beifall ausbricht. Dabei ist eine solche Coverversion nicht ohne Risiko: „Es ist wie beim Dating, manchmal stimmt die Chemie einfach nicht, und da kann man dann nichts machen“, hat Norah Jones in einem Interview gesagt. Nun, hier stimmte die Chemie.
Überhaupt strahlt „’Til We Meet Again“ eine große Gelassenheit aus, und wer Norah Jones’ Entwicklung schon länger verfolgt, stellt gerade bei den älteren Songs wie „I’ve Got To See You Again“ (2002) oder „Sunrise“ (2004) fest, wie sehr sich ihre Stimme verändert hat, wie sehr sie gereift ist, ohne dabei alt zu werden.
Gemeinsame Konzertmomente fehlen
Ein wenig erinnert das an Joni Mitchell, von der in einer Archiv-Serie gerade sehr frühe Aufnahmen erschienen sind. Deren glockenhelle Folk-Leichtigkeit machte später einer im Jazz und Blues gründenden Erdigkeit Platz. Und da gibt es Parallelen zu Norah Jones, die ja ebenfalls zwischen den Genres changiert, zwar beim legendären Jazzlabel Blue Note veröffentlicht, aber sich auch im Folk und Country zu Hause fühlt. Und die aus ihrer Liebe gerade zur gereifteren Joni Mitchell ab den mittleren 70er-Jahren („Hejira“, „Mingus“) kein Geheimnis macht.
Dieses Album erinnert daran, was uns derzeit fehlt: gemeinsame Konzertmomente, von deren Intensität sich lange zehren lässt. Das Norah-Jones-Publikum der Jahre 2017 bis 2019 hat sie erlebt.
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