Hamburg. Ben Mitha, Geschäftsführer der Karsten Jahnke Konzertdirektion, über die Open-Air-Saison, das Infektionsschutzgesetz und Haltung.
Der Vorverkauf für die pandemiegerechte Open-Air-Saison im Stadtpark und im Cruise Inn auf Steinwerder läuft – mit mehr Vorlauf als im Jahr 2020, aber unter aktuell ungünstigen Vorzeichen wie dem neuen Corona-Infektionsschutzgesetz. Das sieht Veranstalter Ben Mitha, Geschäftsführer der Karsten Jahnke Konzertdirektion, kritisch im Gespräch mit dem Abendblatt.
Bislang soll die Stadtparksaison am 23. Juli starten, wie im letzten Jahr mit Johannes Oerding. Wie schwer ist es in diesen Zeiten, abgesehen von Johannes Oerding zugkräftige Stars für Konzerte zu finden?
Ben Mitha Schwierig ist relativ. Es gibt einen festen Pool von 40, 50 Bands, Künstlerinnen und Künstlern, die gewillt sind unter den derzeitigen Umständen und finanziellen Rahmenbedingungen im Sommer zu spielen. Diese teilen sich dann noch fröhlich auf zwischen mehreren Veranstaltenden. Wir versuchen, mit den anderen den Schulterschluss zu proben und uns abzustimmen, wer wo am besten ins jeweilige Konzept passt.
Wenn auf Stadtpark, Cruise Inn und andere Open Airs 2020 zurückgeschaut wird, ist festzustellen, dass die Publikumsresonanz nur in wenigen Fällen für ausverkaufte Abende gesorgt hat. Wie läuft der Vorverkauf für diese Saison an?
Mitha: Letztes Jahr konnte als Faustregel gesagt werden, dass eine Band ungefähr zehn Prozent von dem verkauft hat, was sie vor der Pandemie an Tickets abgesetzt hat. Dieses Jahr habe ich das Gefühl, dass die Leute wirklich wieder heiß darauf sind, raus zu kommen und etwas zu erleben. Der Vorverkauf läuft stärker an als im Vorjahr, offensichtlich haben sich viele Menschen mangels Alternativen mit Sitzplatzpflicht und Hygienemaßnahmen arrangiert.
Neben dem Stadtpark engagiert sich Jahnke auch wieder im Cruise Inn auf Steinwerder. Sie haben das Gelände zu schätzen gelernt nach der Premiere 2020?
Mitha: Auf jeden Fall. Wir hatten sehr viele Abende vor malerischem Hafenpanorama, natürlich auch einige mit Hamburger Mistwetter. Aber ich erinnere mich noch daran, wie die Band bei Max Giesingers Autokinokonzert fast ihren Einsatz bei den Zugaben verpasst hat, weil sie so ergriffen waren vom Sonnenuntergang hinter der Bühne. Zudem lassen es die Produktionsmöglichkeiten und die Fläche auch zu, uns größer auszutoben als im Stadtpark.
Bislang haben Sie und andere Veranstalter ungefähr 25 Freiluftkonzerte im Vorverkauf. Und bis auf Alice Merton und Beyond The Black stehen bislang wieder mal nur Männer auf der Bühne. Bleibt Livemusik 2021 ein Männergesangsverein?
Mitha: Das ist ein Thema, das wir auch auf der Agenda haben, auch weil wir Teil der Initiative Keychange sind und uns für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis engagieren. Aber zum einen wollen die zugkräftigen Frauen dieses Jahr offensichtlich nicht touren oder werden uns von unseren bundesweiten Tourneepartnern nicht angeboten. Wir haben viele angefragt und viele Absagen gesammelt, aber ein paar sind noch in Planung und wir überlegen auch Alternativen, zum Beispiel weiblich kuratierte Konzertabende mit mehreren Künstlerinnen, um hier aktiv an einer besseren Balance mitzuwirken.
Nur mit Open-Air-Konzerten kriegt eine Konzertagentur kaum die Kühlschränke voll. Wie ist die Lage bei Jahnke nach einem Jahr Pandemie?
Mitha: Die wirtschaftliche Lage ist den Umständen entsprechend natürlich weit entfernt von gut, aber glücklicherweise noch nicht existenzgefährdend. Wir zehren noch von den Rücklagen, die wir uns in vielen Jahren aufgebaut haben. Hilfen gab es bis dato kaum, abgesehen von der Überbrückungshilfe 2 und Kurzarbeitgeld. Von den beantragten November- und Dezemberhilfen ist noch kein Cent auf dem Konto. Mental und emotional ist es eine Herausforderung, das Team bei der Stange zu halten. Denn immer wenn wir Anlauf nehmen mit dem Gefühl, wieder loszulegen, kommt der nächste Stock, wie das Infektionsschutzgesetz, der uns zwischen die Beine geworfen wird. Wir reagieren mit Fortbildungen, digitalen Team-Events, neuen kreativen Ideen und Konzepten und halten die Kulturfahne hoch, aber die Prioritäten der Politik liegen augenscheinlich woanders. Das ist frustrierend. Dabei gab es auf keiner unserer Veranstaltungen bislang ein Infektionsgeschehen.
Teststrategien und Impfkampagnen sind kein Licht am Ende des Tunnels?
Mitha: Das Infektionsschutzgesetz ist für die ganze Kulturbranche ein Damoklesschwert. Da muss Struktur rein, denn momentan weiß keiner, wie sich das auf uns auswirkt. Wir bitten die Politik seit Monaten um Perspektiven, eine Richtung, mit der wir in irgendeiner Form Planbarkeit in die aktuelle Situation bekommen – zur Zeit fahren wir nur auf Sicht. Warum gibt es keinen Rahmenplan mit Maßnahmen unabhängig von Inzidenzen, die Veranstaltungen ermöglichen könnten? Derzeit kann ich nicht absehen, ob wir im August planungssicher Konzerte durchführen können, und von der Politik gibt es keine Antworten, dass ist unfassbar mühselig. Wenn man Kultur möchte, sorgt man doch für Rahmenbedingungen und Orientierung. Unser Kultursenator tut mir sehr leid, der plant und engagiert sich so sehr und stößt auch an seine Grenzen, wenn es auf die Entscheidungsebenen von Ministerpräsidenten und Kanzleramt geht.
Einige der seit 13 Monaten ohne Perspektive geschlossenen Clubs wie Docks und Große Freiheit 36 polarisierten mit der Verbreitung verschwörungstheoretischer Ansichten, worauf nahezu alle Hamburger Konzertagenturen im März mit einem Offenen Brief reagierten und sich distanzierten. Was hat sich seitdem getan?
Mitha: Das war eine so noch nie dagewesene gemeinsame Aktion, und wir werden uns gemeinsam zu gegebener Zeit dazu äußern. Bis dahin werden wir und auch die anderen Veranstaltenden einzeln keine Fragen zu diesem Thema beantworten.
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Es gibt auch einige Künstlerinnen und Künstler, durchaus auch Stadtpark-tauglich, die in den vergangenen Monaten mit irritierenden Aussagen aufgefallen sind. Das ist vielleicht alles von der Kunstfreiheit gedeckt, aber schauen Sie zukünftig genauer hin, mit wem Sie Verträge abschließen?
Mitha: Was wir definitiv nicht tun, ist Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit einschränken zu wollen. Wir haben in der Vergangenheit oft genug auch mit kontrovers diskutierten Namen aus dem Rock- und Hip-Hop-Bereich zusammen gearbeitet. Aber wir als Firma haben einen bestimmten Wertekanon und eine Haltung, die auch den Umgang mit der Pandemie beinhaltet. Und da gibt es Künstlerinnen und Künstler, die Aussagen treffen, die für uns ebenso wenig tragbar sind wie beispielsweise Rechtsrock-Bands. Wir schauen da sensibel hin, wie sich das entwickelt und brechen nicht nach einem unüberlegten Posting die Brücken ab. Aber wer behauptet, dass Corona eine weltweite Verschwörung ist oder nur Einbildung, wird von uns nicht gebucht. Wir tragen schließlich die Maßnahmen mit, damit wir so schnell wie möglich wieder ohne Einschränkungen Konzerte veranstalten können.