Hamburg. Der Kieler Volkmar Nebe hat sein Glück in Hamburg gefunden. Als Janne Mommsen entert der Autor mit Föhr-Romanen die Bestsellerlisten.
Das Telefon klingelt bei ihm dieser Tage manchmal öfter, als ihm lieb ist. Dann rufen auch schon mal Hamburger Intendanten bei Volkmar Nebe an. So ist das eben, wenn man(n) als Schriftsteller, Drehbuch- und Theaterautor tätig ist und bereits zweimal als Jurymitglied für die Privattheatertage gefragt war. Für Theater schreibe er derzeit jedoch nicht, wendet Nebe ein. Bei denen hätten sich wegen der vielen Verschiebungen in den Spielplänen einiges an Produktionen angestaut.
Außerdem hat er ja schon vor gut einem Jahrzehnt zwei Stücke für das Altonaer Theater verfasst, „Allein unter Spielplatzmüttern“ und „Das Wunder von Bern“. Und erst im Frühjahr 2019 hatte sein Stück „Botter bi de Fisch“ eine gelungene Uraufführung im Ohnsorg-Theater gefeiert. Er hatte die Geschichte über fünf Alleinstehende in Zeiten des Dating-Wahns zuvor unter dem hochdeutschen Titel „Singles à la Carte“ bei seinem Verlag Rowohlt veröffentlicht. Und nach der Theaterpremiere erfreut festgestellt, dass seine schräge Komödie der niederdeutschen Traditionsbühne auch jüngere Zuschauer bescherte.
„Das kleine Friesencafé“ steht auf Platz drei der Bestsellerliste
60 Jahre alt ist Volkmar Nebe im Vorjahr geworden, mit dem Ohnsorg verbinden ihn „wunderbare Kindheitserinnerungen“ beim Fernsehgucken von Heidi Kabel und Co. Erst viel später hat er im Ohnsorg-Theater literarische Klassiker wie „Mutter Courage“ oder „Tod eines Handlungsreisende“ op Platt auf der Bühne gesehen. Seit drei Jahrzehnten wohnt der gebürtige Kieler („Ich bin mit Blick auf die Ostsee aufgewachsen“) in Hamburg, mehr als die Hälfte seines Lebens. Im Vorjahr ist er von Fuhlsbüttel nach Barmbek-Süd gezogen, direkt an den Osterbekkanal. Schön ist es da.
Indes: Der Vater zweier Kinder im fortgeschrittener Teenager-Alter ist jetzt selbst wieder Single, das sei aber keine unmittelbare Folge des Lockdowns, erzählt er. „Allein zu leben im Lockdown hat auch einige Haken“, hat Volkmar Nebe erkannt. Im vergangenen Jahr war sein Kalender voll mit Alsterspaziergängen. „Gefühlt 225-mal“ sei er in dieser Zeit mit Freunden und Bekannten um die Alster gegangen, „bei jedem Wetter, selbst bei strömenden Regen“. So einen echten Norddeutschen haut eben nichts um.
Im Gegenteil: Statt Trübsal zu blasen scheint der monatelange Stillstand des kulturellen Lebens seinen kreativen Output noch mal gesteigert zu haben. Sein jüngster Roman „Das kleine Friesencafé“ steht diese Woche auf Platz drei der „Spiegel“-Bestsellerliste der Taschenbücher; die Fortsetzung einer offenbar geplanten neuen Friesencafé-Reihe ist schon für Februar 2022 avisiert, sein Buch „Weihnachten in der kleinen Inselbuchhandlung“ sei bereits beim Lektor, erzählt Volkmar Nebe. Es wird im September herauskommen, jedoch nicht unter seinem Klarnamen, sondern einmal mehr als eines von Janne Mommsen.
Janne Mommsens Gesamtauflage: rund 600.000
Unter jenem Pseudonym hat Nebe seit 2010 mehr als ein Dutzend Romane veröffentlicht. Gesamtauflage: rund 600.000. Ob „Die Bücherinsel“, „Friesensommer“ oder „Omas Erdbeerparadies“ - seine Bücher gelten landläufig als Föhr-Romane, spielen aber nicht ausschließlich auf der ihm liebsten Nordsee-Insel.
„Alle Romane haben inzwischen Föhr-Anleihen“, stellt Volkmar Nebe klar. Dass diese häufig als „komisch“ oder als „Liebesromane“ einsortiert und bezeichnet worden sind, hat den Autor gewundert. Er quittiert es schmunzelnd. Denn bei bei aller Heiterkeit und Romantik mit dem Verliebtsein in allen Altersklassen erzählt Mommsen auch von traurigen Schicksalen wie etwa dem Leben mit Depressionen älterer Menschen.
Seeluft, Strand und Friesentorte wie jetzt bei „Das kleine Friesencafé“ sind nur Teile des Erfolgsrezepts, wenn es sich um die Protagonistin Julia dreht. Die zieht’s auf Anraten ihrer Oma nach Föhr auf der Suche nach Spuren ihrer früh verstorbenen Mutter, die dort einst ihr Glück gefunden hatte. In und an einem leerstehenden Kapitänshaus beginnt sie, zu malen: Porträts von Touristen und Einheimischen. Im Verbund mit dem Verkauf von Kaffee und Kuchen wird das ein zunehmend einträgliches Geschäft. Bis ein kauziger Kapitän namens Hark Paulsen und der smarte Bürgermeister des Dorfes Oldsum sowie ihre Großmutter Anita auftauchen.
Früher Schiffs-Anstreicher und Pflegehelfer
Eigenwillige Charaktere und alltägliche Ereignisse, sie bilden bei Mommsen alias Nebe die Grundlage der Erzählungen. Und die speisen sich aus Zufällen, obschon sie in seinen Büchern gern auch mal konstruiert sind. Doch nach dem Lesen bleibt stets das Positive: „Ich bin schon ein Optimist und möchte den Lesern mitgeben, dass sie das Leben genießen sollen“, sagt der Autor. Insbesondere jetzt, in der Corona-Zeit gelte es, das Beste daraus zu machen.
Laut regelmäßiger alljährlicher Umfragen für den „Glücksatlas“ leben die glücklichsten Menschen in Deutschland – Krise hin oder her – in Hamburg und Schleswig-Holstein. Volkmar Nebe alias Janne Mommsen ist der lebende Beweis – und ein ungewöhnliches Beispiel dafür, dass Künstlerkarrieren nicht immer linear verlaufen müssen: Nach dem Abitur leistete er zunächst seinen Zivildienst in einem Flecken namens Gotteskoog in der Nähe von Niebüll in Nordfriesland – bei Ausflügen entdeckte Nebe seine Liebe zu Föhr. Jobbte danach als Schiffs-Anstreicher auf einer Kieler Werft, als Pflegehelfer in der Psychiatrie, Lkw-Fahrer und Barpianist auf der MS „Berlin“.
Dann 15 Jahre Dozent für Musical und Chanson
Letzteres kam zumindest seinem Studium am Institut für Musik der Universität Oldenburg nahe. Doch egal ob es nach seinem Musikstudium folgende Engagements an der Landesbühne Wilhemshaven oder am Opernhaus Kiel waren, allzu lange hielt es Nebe an keinem Ort aus, bis er Ende der 80er in Hamburg als freiberuflicher Autor sesshaft wurde. Seine Tätigkeit als Dozent für Musical und Chanson an der Schauspielschule Kiel hat er nach 15 Jahren längst beendet.
Inzwischen stehen seine beiden Namen Volkmar Nebe und Janne Mommsen gleichberechtigt nebeneinander. Als „Grenzgänger“ zwischen unterschiedlichen Formen hat sich Volkmar Nebe mal bezeichnet. Maria Furtwängler etwa verschaffte er ihren ersten Kriminalfall als Hauptkommissarin Charlotte Lindholm: Die von Nebe geschriebene „Lastrumer Mischung“ war 2002 mit mehr als zehn Millionen Zuschauern die meistgesehene ARD-„Tatort“-Folge des Jahres. Eine verschworene Dorfgemeinschaft verdächtigte darin eine Philippina des Mordes an ihrem Mann – ein lakonischer Landkrimi.
„Ich weiß doch, wer du bist“ – ein Föhrer Kompliment
Nebe alias Mommsen erinnert sich lächelnd und bildhaft an seiner allererste Lesung auf Föhr im Kurgartensaal in Wyk, kurz zuvor hatte er 2010 als ersten Mommsen Roman „Oma ihr klein Häuschen“ veröffentlicht: „In den ersten beiden Reihen saßen die Insulaner mit verschränkten Armen, dahinter die Touristen ...“ Janne Mommsen hat sie irgendwann alle erreicht. Zu manchen wie dem Buchhändler Jürgen Huß alias „Bubu“ (steht für: „Bunte Buchhandlung“), der stets mit kurzen Hosen und Kniestrümpfen herumläuft, sind langjährige Freundschaften entstanden.
Auch wenn sich Föhr gern „Friesische Karibik“ nennt, überwiegt bei den Insulanern doch die Zurückhaltung: „Es ist nicht so, dass sie mich um Autogramme bitten und dauernd ansprechen“, erzählt der Autor. Das möchte Nebe alias Mommsen auch gar nicht. Wenn die Friesen stattdessen schon mal sagen „Ich weiß doch, wer du bist“, muss das als Kompliment reichen
Sein Motto: „Das Glück wohnt hinterm Deich“
Zu Ostern hat Mommsen alias Nebe wieder zwei Lesungen in Wyk auf Föhr geplant, eine im mehr als 100 Jahre alten Café Steigleder am Sandwall als Stream ohne Publikum, eine zweite bisher mit Besuchern im Kurgartensaal. Zumindest eine Signierstunde auf der Promenade möchte der Autor gern geben. Schön wärs’ ja. Aber auf Föhr leben? „Da muss ich wohl noch einige Bestseller schreiben“, sagt Nebe alias Mommsen lachend. Er hat recherchiert, dass ein 40-Quadratmeter-Apartment in Wyk in unmittelbarer Strandnähe inzwischen mal eben 450.000 Euro kostet. „Das Glück wohnt hinterm Deich“, lautet das Motto des Autors auf seiner Website. So lautete auch der Titel seines ersten großen Fernsehfilms mit Dominique Horwitz und Ulrich Pleitgen. 21 Jahre ist das her.
Anfang März dieses Jahres war Nebe - zu dienstlichen Zwecken - schon einmal auf Föhr und mit dem Fahrrad unterwegs. Da hielt er an einer einsamen Kreuzung mitten in der Marsch und ließ sich den kühlen Nordwest-Wind um die Nase wehen, ohne Mundschutz. War zwar nicht das pure Glück, jedoch eine Vorstufe dessen. Was macht es da, dass eine Bühnenfassung seines Romans „Die Insel tanzt“ fürs Ohnsorg anders als vor zwei Jahren angedacht erst mal kein Thema ist. Volkmar Nebe alias Janne Mommsen hat auch so genug zu tun.