Hamburg. Gleich zwei Ausstellungen in der Stadt beschäftigen sich mit dem Maler, der vor zwei Jahren als Nationalsozialist entlarvt wurde.
Nennen wir es eine Tiefenbohrung. Ein Hinabsteigen auf die Fundamente des Werks von Emil Nolde. Eine zweifache Annäherung an diesen deutschen Meister, dessen gemalten, farbensatten Mohn wir mögen und seine expressionistisch aufgeworfene See. Den wir als verfemten Maler Max Ludwig Nansen in der „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz kennengelernt haben.
In Hamburg, der Stadt, zu der Nolde (1867– 1956) eine enge Beziehung hatte, sind nun die frühe dänische Episode Noldes und Untersuchungen von Noldes Maltechnik wenn nicht zu bestaunen, so doch mindestens zu erkunden. Das Bucerius Kunst Forum zeigt bis zum 23. Januar 2022 die Ausstellung „Nolde und der Norden“, die Kunsthalle in einer Schau bis zum 18. April 2022 unter dem Titel „Meistens grundiere ich mit Kreide ...“ Studien zur Maltechnik Noldes.
Zwei Ausstellungen mit Kunst von Emil Nolde in Hamburg
Beide Ausstellungen widmen sich also dem Grund, auf dem sich Nolde bewegte, der wie kein Zweiter das deutsche Verhängnis repräsentiert. Sein technisches Handwerk und das biografische Kapitel, in dem er vermutlich den größten Entwicklungsschritt in seiner Karriere machte: Da kann man tatsächlich von neuen Einblicken sprechen.
In das Werk eines Künstlers, der seit der bahnbrechenden Ausstellung „Emil Nolde – Ende einer Legende“ im Hamburger Bahnhof in Berlin endgültig als glühender Anhänger des Nationalsozialismus enttarnt ist. Seit 2019 kann niemand mehr behaupten, er oder sie wüsste nicht, was es mit dem von den Nationalsozialisten diskriminierten Maler auf sich hatte.
Angela Merkel hängt Nolde-Gemälde ab
Der Expressionist Nolde war den Machthabern ein Dorn im Auge, dabei biederte er sich ihnen fortlaufend an. 1934 wurde Nolde Mitglied der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Nordschleswig. Seine Motive wurden in den 1930er-Jahren trotz gezielter Ausgrenzung hochtourig dem Zeitgeist angepasst: Der späte Nolde malte mit Hingabe die nordische Sagenwelt, heroische Figuren, kultische Opferstätten und was die Phänomenologie seiner Geschöpfe angeht: vor allem Blondes und Blauäugiges. Angela Merkel sah sich gezwungen, die Gemälde Noldes im Kanzleramt abhängen zu lassen.
Der Hamburger Doppelschlag kommt nun zu einer Zeit, in der die Absage an inkriminierte Künstlerinnen und Künstler en vogue ist. Und ist somit implizit auch als deutlicher Kommentar zur Cancel Culture zu verstehen.
„Es ist keine Option, ihn unkommentiert zu zeigen“
Wobei diese Wortkomposition von den Ausstellungsmachern beider Häuser erst einmal nicht in den Mund genommen wird. Kunsthallenchef Alexander Klar spricht davon, dass es keine Option sei, Nolde nicht zu zeigen, „es ist aber auch keine Option, ihn unkommentiert zu zeigen“.
Das Bild an sich sei unschuldig, der Kontext aber, beim Zurücktreten vom bloßen Anblick, immer mitzudenken. Kathrin Baumstark, die Leiterin des Bucerius Kunst Forums, sagt: „Künstler sind nicht automatisch gute Menschen, und in einer demokratischen Gesellschaft ist es wichtig, miteinander und über ein Werk zu reden.“
Die Bergidylle von St. Gallen auf Postkarten verewigt
Weshalb in Baumstarks Haus nun in einer mehr als hundert Werke umfassenden Schau Noldes Auseinandersetzung mit der dänischen realistischen Malerei um 1900 in den Fokus gerückt wird. Emil Nolde, der im deutsch-dänischen Grenzgebiet geborene Künstler, der eben noch in St. Gallen die Bergidylle malte und mit diesen Motiven erfolgreich Postkarten verkaufte, entschloss sich, zur beruflichen Weiterentwicklung nach Kopenhagen zu reisen.
Er kannte und schätzte skandinavische Künstler wie Vilhelm Hammershøi, Viggo Johansen und Kristian Zahrtmann, deren Werke anlässlich der Bucerius-Schau als Leihgaben in Hamburg zu sehen sind. Die Ausstellung legt es darauf an, Noldes von den dänischen Vorbildern inspirierte Zeit des malerisches Experimentierens nachvollziehbar darzustellen.
Experimentierfreudig impressionistisch
Da wäre etwa das Bild „Frühling im Zimmer“ von 1904, auf dem Nolde seine Ehefrau Ada malte, eine motivische Kopie von Anna Anchers Werk „Nähende Fischerstochter“ (um 1890). Ins Auge fällt etwa, wie Nolde Gefallen fand an dem einfallenden Sonnenlicht, das der Szene ihr Gepräge gibt. Überhaupt orientierte sich Nolde, was die atmosphärische Ausarbeitung seiner Gemälde angeht, in dieser Zeit an den Skandinaviern. Als Verfremdung darf die impressionistische Pinselführung gelten; der frühe Nolde war in der Experimentierphase.
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Zwei Jahre verbrachte Nolde in Dänemark, einen Großteil davon in Lild Strand an der Westküste Jütlands. Sein späterer Ruhm als Landschaftsmaler deutet sich in den Gemälden an, die in dieser Zeit entstanden, und auch, wie viel er von den Dänen über Farbgebung lernte. Gemälde wie das kontemplative „Lichte Meerstimmung“ (1901) oder das hellromantische „Zwei am Meeresstrand“ (1903) sind wie Feelgood-Impressionen und Erinnerungen an die Sommerfrische.
Kunst auf dunklen Wänden: Es geht nicht um Unschuld
Dänemark waren für den später in Schleswig-Holstein und Berlin lebenden Nolde in privater Hinsicht wichtig. Er lernte Ada Hilstrup kennen und heiratete sie. Mit ihr ging Nolde, der als Hans Emil Hansen geboren wurde und sich erst seit der vorübergehenden Übersiedelung nach Dänemark nach seinem Geburtsort nannte, eine Künstlersymbiose ein. Seine Frau beförderte den Geniekult Noldes nach Kräften und teilte auch dessen antisemitische Haltung.
Die Hängung dieser Schau, die stellenweise unbekannte Seiten des Künstlers zeigt, erfolgt übrigens nicht auf wie bei modernen Exponaten oft üblichen weißen Wänden, sondern auf dunklen. Hier geht es nicht um Unschuld.
Kunsthalle Hamburg: Elf Nolde-Werke bis April zu betrachten
Wie ist das nun eigentlich, erkennt man den Nazi in den Bildern? Sicher nicht. Wie überhaupt wohl offenbleiben muss, ob in dem in seinen dänischen Jahren noch jungen Mann eine eventuelle Hitler-Begeisterung schon ersichtlich gewesen sein könnte. Nach dem Krieg inszenierte sich Nolde als NS-Opfer, das mit Berufsverbot belegt war. Da strickte ein Fälscher an der eigenen Legende. Ein Kunstkritiker bezeichnete den Mann, der ganz anders malte, als die Nazis es von deutschen Künstlern erwarteten, bereits 1947 als „entarteten Entarteten“.
In der Kunsthalle sind bis April kommenden Jahres elf Nolde-Werke zu sehen. Untersucht wurden unter anderem diese in einem seit drei Jahren laufenden interdisziplinären Forschungsprojekt aus Kunsthistorikerinnen, Naturwissenschaftlern, Provenienzforschern und Restauratorinnen, das die kunsttechnische Perspektive einnimmt.
Nolde-Fans werden begeistert sein – Nolde-Hasser enttäuscht
Analysiert wird hier die Arbeitsweise Emil Noldes und der Umgang mit den Materialien. Welche Grundierungen unterlegte er seinen Gemälden? Wie arbeitete Nolde mit der Leinwandstruktur? Wie abstrakt oder konkret zeichnete er vor dem tatsächlichen Malen vor? Ist die aufgetragene Farbmasse nicht allzu dick, hilft Infrarotlicht.
Zum Beispiel beim Gemälde „Schlepper auf der Elbe“ (1910) zeigen sich die Linien eines Stiftes im Infrarotreflektogramm. Im Mal-Prozess orientierte sich Nolde ziemlich genau an dieser Vorzeichnung.
Für Nolde-Fans und Kunstkenner ist die Ausstellung unbedingt reizvoll. Nolde-Hassern sei gesagt: Auch mit Infrarot finden sich in seinen oft grellen bildlichen Farbexplosionen keine schlimmen Botschaften, etwa Hakenkreuze.