In Hamburg hatte „Große Freiheit“ das Filmfest eröffnet. Jetzt kommt der starke Film über den Paragrafen 175 regulär in die Kinos.

Immer wieder wird es schwarz in diesem Film. Stockfinster für gefühlte Ewigkeiten. Immer wieder wird ein Häftling bis auf die Unterhose ausgezogen und in eine kalte Zelle ohne Licht und Fenster gestoßen, wo er tagelang ausharren muss. Nur sein Keuchen und Schreien ist dann zu hören. Eine Zumutung allein beim Zuschauen. Aber just in dieser absoluten Dunkelheit erbarmt sich ein Mithäftling und lässt ihm eine Streichholzschachtel zukommen, damit er wenigstens eine Zigarette rauchen kann. Damit bringt er buchstäblich Licht ins Dunkel.

Dabei ist es anfangs genau dieser Viktor (Georg Friedrich), ein verurteilter Mörder, der seinen neuen Zellennachbarn Hans Hoffmann (Franz Rogowski) aus der Zelle prügeln will. Das Urteil wird hier gleich an der Tür festgehalten, jeder weiß also, dass der junge Mann wegen Paragraf 175 einsitzt, dass er Sex mit Männern hatte. Und mit einem „Perversen“, tobt Viktor, wolle er nicht den Raum teilen.

Kinotipp: „Große Freiheit“ bringt Männerliebe aus dem Gefängnis auf die Leinwand

Aber dann sieht er, wie Hans beim Hofgang verhöhnt und diskriminiert wird. Bald entdeckt er auch die Kennziffer an dessen Unterarm. Wegen seiner Homosexualität saß Hans schon im KZ. Deshalb bietet ihm Viktor an, ein Tattoo darüber zu stechen. Der Beginn einer merkwürdigen und um so ergreifenderen Freundschaft.

„Große Freiheit“ von Sebastian Meise, der schon zur Eröffnung des diesjährigen Filmfestes Hamburg begeisterte, ist ein Film, der fast ausschließlich hinter Gittern spielt. Der den Zuschauer zwingt, die klaustrophobische Enge mitzuerleben, zu durchstehen. Und der ein Licht wirft auf ein sehr dunkles Kapitel der deutschen Justiz. Der Paragraf 175, 1871 im Deutschen Kaiserreich als Strafe für „widernatürliche Unzucht zwischen Männern“ eingeführt, wurde von den Nazis noch verschärft – und in dieser Form auch in der Bundesrepublik fortgeführt.

1969 gab es eine erste Abmilderung, aber formal wurde der Paragraf erst 1994 abgeschafft. Und Entschädigungen an die Opfer zahlt die Bundesrepublik erst seit 2017. Viel zu spät. Die meisten, deren Leben dadurch zerstört wurde, sind längst nicht mehr am Leben. Ein schreiendes Unrecht, das nicht vergessen werden darf. Meises Film, der an diesem Donnerstag regulär ins Kino kommt, erinnert nun exemplarisch mit einem Einzelschicksal an das Los von Zehntausenden.

1945, 1957, 1968: Mehrere Zeitebenen der „Großen Freiheit“

Anfangs hört man das Surren eines Filmprojektors und sieht unscharfe Bilder von einem öffentlichen Klo, auf dem Schwule sich zum Sex treffen, weil ihnen die Gesellschaft sonst keinen Ort lässt. Es sind Bilder einer Überwachungskamera, deretwegen Hans verurteilt wird. Als er ins Gefängnis kommt, ist eine gewisse Routine bei ihm festzustellen. Der Mann ist nicht das erste Mal hier. Auch als er in die Dunkelzelle gestoßen wird, lässt er das stoisch über sich ergehen. Dann aber, als die Tür sich wieder öffnet, ein Schock.

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Hans ist um Jahre jünger, völlig abgemagert und verunsichert. Und da ist klar: „Große Freiheit“ spielt auf mehreren Zeitebenen: 1945, als er aus dem KZ entlassen – und gleich ins nächste Gefängnis gesteckt wird. 1957, als er erneut verurteilt wird, weil Verstecken für ihn keine Option ist und er kein pseudo-heterosexuelles Leben vortäuschen will. Und 1968 ein drittes Mal. Der Häftling kommt immer wieder in dasselbe Gefängnis, muss immer wieder dieselben Arbeiten verrichten und trifft immer wieder auf Viktor, der wegen seiner Tat eine langjährige Strafe absitzen muss.

Zigaretten spielen eine Hauptrolle

Die Zeitebenen wechseln ständig und greifen doch ineinander, spiegeln sich. Zigaretten spielen dabei eine große Rolle. Und das Klopfen einer Streichholzschachtel gibt dabei quasi den Takt vor. Allein wegen Franz Rogowskis Wandlungsfähigkeit weiß man aber sofort, in welcher Zeit der Film gerade spielt. Unglaublich, wie dieser Schauspieler mit seiner physisch-wortkargen Präsenz (wie zuvor etwa in „Transit“ oder „Undine“) in einer Szene einen halb verhungerten, verstörten Jungen spielen kann und in der nächsten den erfahrenen, abgehärteten Mann.

Über die Jahre entwickelt sich zu dem Hetero Viktor eine Beziehung, die auch eine Form von Liebe ist, bei der sich die Kräfteverhältnisse aber verkehren. Denn der anfangs so starke Viktor verzweifelt zunehmend an seiner Lage, wird drogensüchtig. Und nun ist es an Hans, ihm zu helfen.

Ein ganzes Leben in der Dunkelheit

Das Leben draußen, es ist eine Leerstelle, die nur in wenigen, verwackelten Bildern angerissen wird. Denen der Überwachungskamera zu Beginn, später zeigt ein Super-8-Film in ebenfalls ruckelnden, überbelichteten Bildern ein kurzes Liebesglück. Das wahre Leben aber und der echte Film finden hinter Gittern statt. Nur ganz am Ende sieht man Hans in Freiheit. 1969, nach der ersten Lockerung, betritt er eins der ersten Schwulenlokale, die eröffnet haben.

Dessen verheißungsvoller Name „Große Freiheit“ erweist sich indes als trauriger Trug. Dort trifft man sich zum Sex in Darkrooms, hinter Gitterstäben. Hans aber hat sein ganzes Leben im Dunkeln verbracht. Das ist für ihn nicht Freiheit. So trifft er eine Entscheidung, die einen traurig stimmt und doch auch von Größe zeugt. Und auch dabei spielen Zigaretten wieder eine zentrale Rolle.

„Große Freiheit“: Österreichischer Oscar-Kandidat

„Große Freiheit“, der in Cannes den Preis der Jury der Sektion „Un Certain Regard“ und seither 14 weitere Preise gewonnen hat und komplett ohne Frauen auskommt, ist ein bedrängendes, beklemmendes Kammerspiel – und ein packendes Kinowunder zugleich.

Schade nur, dass dies zwar eine Koproduktion mit deutschen Firmen ist, aber erst zwei Österreicher, der Regisseur und sein Co-Drehbuchautor Thomas Reider, sich dieses Themas angenommen haben. „Große Freiheit“ geht denn auch als österreichischer Kandidat ins Oscar-Rennen.

„Große Freiheit“ 116 Minuten, Drama, ab 16 Jahren, läuft im Abaton, Studio und in den Zeise-Kinos.