San Francisco. Der in Hamburg aufgewachsene Nima Etminan gehört zur Spitze des Musik-Labels Empire. Ein Gespräch über Stars, TikTok und den “Robin Hood“-Faktor.

  • Nima Etminan steht an der Spitze des international agierenden Musik-Labels Empire
  • Der HipHop-Experte entdeckte und förderte Stars wie XXXTentacion und Kendrick Lamar
  • In Hamburg aufgewachsen startete der 36-Jährige beruflich in den USA durch

Du hast mit deinem Mentor Ghazi Shami den Digitalvertrieb sowie das Label „Empire“ ab 2010 in San Francisco aufgebaut – anfangs als Praktikant, heute als Chief Operating Officer eines international agierenden Unternehmens mit mehr als 200 Mitarbeitern. Dabei habt ihr von Anfang an einen neuen Ansatz gewählt in der Zusammenarbeit mit den Künstlern – wie sah dieser aus?

Nima Etminan: „Wir wollten die Energie und die Attitüde des Regelbrechens, die uns stets an HipHop begeistert hat, auf die geschäftliche Seite Ghazi und ich hatten lange genug mit Künstlern gesprochen, um zu wissen, was sie an traditionellen Labels störte. Wir haben ihnen einfach zugehört und im Sinne der Artists umgesetzt.“

Was habt ihr anders gemacht?

Nima Etminan: „Unser Konzept war ‚nicht reden sondern machen‘. Wir haben keine stundenlangen Meetings abgehalten, sondern die Musik der Künstler wenige Stunden nach der Fertigstellung auf den Streaming-Plattformen hochgeladen. Zudem ging es uns um Transparenz. Jeder Artist konnte stets nachvollziehen, wie viele Streams er machte, wieviel Geld für Marketing ausgegeben wurde und wieviel er tatsächlich verdiente. Die Beziehung zum Künstler ist uns wichtiger als das Release.“

Zu dem Zeitpunkt war viel Bewegung in der Musik-Branche – wie seid ihr mit den neuen Technologien und Möglichkeiten umgegangen?

Nima Etminan: „Wir haben uns komplett auf das Streaming konzentriert. Die ganze Szene glich damals dem Wilden Westen. Von den Rappern haben wir die sonst kostenlos verteilten Mixtapes digitalisiert und hochgeladen. So weit waren viele Labels noch gar nicht – da agierten wir auch in einer Grau-Zone. Aber mit den Plattformen wie MySpace, Facebook, Youtube und Spotify sind wir enorm schnell gewachsen, und wir konnten immer mehr Künstler für uns gewinnen.“

Nima Etminan entdeckte XXXTentacion und Kendrick Lamar

Welche heute bekannten Künstler habt ihr mit Empire entdeckt und gefördert?

Nima Etminan: „XXXTentacion ist global gesehen einer der meistgestreamten Künstler der letzten zehn Jahre. Kendrick Lamar hat seine ersten beiden Alben mit uns herausgebracht. Wir sind beide gleich alt und für meine Website habe ich schon mit 16 Jahren mein erstes Interview mit ihm gemacht. Und Anderson Paak, der mit Bruno Mars unter dem Namen Silk Sonic mit dem Lied ,Leave The Door Open‘ mehrere Grammys gewonnen hat. .Paak ist zudem ein unglaublich guter Live-Künstler. Zu den Konzerten kann die ganze Familie gehen.“

Woran erkennt ihr, ob ein Künstler das Talent und auch den nötigen Biss für das Musik-Geschäft hat?

Nima Etminan: „Das weiß man anfangs nicht. Mir kann keiner erzählen, dass er das sofort erkennt. In der heutigen Zeit kann jeder mit dem Handy Musik machen und theoretisch auf einmal bei TikTok einen Hit landen. Es ist heutzutage kaum vorhersehbar, wie nachhaltig der plötzliche Erfolg eines Künstlers ist. Der Markt ist so groß geworden, da ist es enorm schwer sich zu halten.“

Auf was kommt es dann an?

Nima Etminan: „Da gibt es verschiedene Kriterien: Es gibt Künstler, die musikalisch nicht so besonders sind, aber sie haben ein großes Publikum – durch Follower, Streaming-Zahlen oder Co-Produktionen mit anderen Künstlern. In vielen Genres geht es nicht mehr darum, wer der talentierteste Künstler ist, sondern ob die Person auf Social Media lustig ist oder die Konzerte cool sind. So viel Musik hört sich ähnlich an – die am Ende herausstechen, sind nicht unbedingt die Besten. In der Musikszene ist alles, was drumherum passiert, mindestens genauso wichtig wie die Musik selbst. Ab und zu gibt es Talente, wo alles andere egal ist – etwa bei Adele und Billie Eilish. Ab und zu riskiert man als Label auch mal was, wenn man von einem Künstler musikalisch schlicht begeistert ist.“

Nima Etminan: "Jeder Künstler braucht eine Story für die Kids"

Was sollte ein Künstler am besten mitbringen?

Nima Etminan: „Eine Story! Diese macht ihn interessant für die Kids.“

Einige Lebens-Storys von Künstlern, mit denen ihr zusammengearbeitet habt, könnte man als „schwierig“ bezeichnen…

Nima Etminan: „HipHop-Kultur und Rap-Musik waren in den USA immer schon verbunden mit Leuten, die aus einem schwierigen Umfeld mit anderen Werten kamen und in der normalen amerikanischen Gesellschaft nicht Fuß gefasst haben. Die häufigste Story bei uns ist, dass wir helfen, dass diese Leute ihr Geld auf legale Weise verdienen.“

Dann wart ihr für manchen Rapper weit mehr als eine musikalische Chance?

Nima Etminan: „Auf jeden Fall! Die Musik-Industrie war sonst traditionell darauf aus, solche Künstler auszunutzen und auszuplündern. Wer keinen Anwalt hat, weiß vielleicht gar nicht, dass er einen Vorschuss bekommen kann, wenn man ihn unter Vertrag nimmt. Unser Image als Empire war in der Musik-Industrie ein bisschen das des Robin Hood – wir nehmen es den Reichen und geben es den Armen. Und sowas tut einem persönlich gut, weil man das Gefühl hat, etwas zu bewirken.“

Wo setzt du in der Zusammenarbeit mit Musikern Grenzen?

Nima Etminan: „Für mich war der Hintergrund nie ein großes Thema. Ob sie jetzt in einer Gang waren oder mit Drogen gedealt haben - das war schlicht ihr Umfeld, in dem sie aufgewachsen sind. Es gibt diese Klischee-Geschichte - Der weiße Junge in den USA denkt sich oft: Die so aussehen wie er und erfolgreich sind, werden Arzt, Politiker oder Anwalt. Der schwarze Junge in den USA denkt sich oft: Die einzigen, die so aussehen wie er und erfolgreich sind, sind Sportler, Künstler oder Drogen-Dealer. Und das sind dann jeweils deren Vorbilder.“

Wie bringt ihr die jungen Menschen dann auf die richtige Spur?

Nima Etminan: „Du bekommst es in unserem Job mit 18-Jährigen zu tun, die so aufgewachsen sind, wie es sich die meisten von uns überhaupt nicht vorstellen können – manche sind von Waisenhaus zu Waisenhaus gewandert oder haben auf der Straße gelebt. Dann kommt mancher aus dem Knast, macht Musik und auf einmal wird er von Millionen Fans angehimmelt und spielt 20 Millionen Dollar im Jahr ein. Das kann man sich gar nicht vorstellen, was das mit einem macht: Du kommst aus dem Nichts und auf einmal bist du ganz oben – und dann wirst du erschossen und bist tot.“

"So einen Hype wie um XXXTentacion habe ich noch nie gesehen"

So ähnlich war es bei XXXTentacion…

Nima Etminan: „So einen Hype wie um ihn habe ich noch nie gesehen. Er war 19 Jahre und auf dem Weg, ein ganz großer Künstler zu werden. Zwei Alben haben wir mit ihm veröffentlicht, die durch die Decke gingen. Dabei stand er noch ganz am Anfang und hatte vielleicht erst 10 bis 15 Prozent seines Potenzials ausgeschöpft.“

Gegen ihn gab es mehrere Gerichtsverfahren – unter anderem wegen Raubes, Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung…

Nima Etminan: „Das stimmt, aber viele Anschuldigungen wurden dann wieder zurückgezogen. Allerdings hatten wir eine sehr schlechte Presse, da uns vorgeworfen wurde, dieser Person mit dem Label Empire eine Plattform zu geben. Dabei hatte XXXTentacion diese Plattform sowieso schon durch seine Millionen Fans auf Youtube und Soundcloud. Wir versuchten das Ganze in eine positive Richtung zu bewegen.“

Trotzdem hatte diese Story ein tragisches Ende. Mit 20 Jahren wurde er beim Verlassen eines Motorradladens erschossen. Die Beute der Täter waren damals 50.000 Dollar…

Nima Etminan: „Er ist damals mit einem sehr auffälligen BMW zu dem Motorradladen gefahren und war voller Stolz. Deshalb hätte er wohl die Tasche mit dem Geld niemals freiwillig abgegeben…“

Wie nah lässt du solche Geschichten an dich heran?

Nima Etminan: „Ich bin sehr gut darin, solche traurigen Ereignisse nicht zu persönlich an mich heranzulassen.“

Bist du selbst schon einmal – eventuell auch über deine beruflichen Kontakte - in eine bedrohliche Situation geraten?

Nima Etminan: „Obwohl ich viele Jahre meines Lebens im Nachtleben verbracht habe, habe ich mich noch nie mit jemandem geschlagen. Es gab oft genug kritische Situationen, aber ich habe immer meinen Weg gefunden, um da ohne körperliche Konfrontation rauszukommen. Ich habe da auch kein übertriebenes Ego oder Stolz. Selbst wenn ich in dem Moment nichts falsch gemacht habe, habe ich mich entschuldigt, wenn es dabei half, die Situation zu deeskalieren.“

Zwei Millionen Dollar Vorschuss - "aber keiner sagt ihm, dass er darauf Steuern zahlen muss"

Wie hilfst du mit deiner Lebenserfahrung den jungen Künstlern, die sich immer wieder in Schwierigkeiten bringen?

Nima Etminan: „Wenn ich im Vier-Augen-Gespräch merke, dass jemand etwas Gutes in seinem Leben erreichen und aus diesem Teufelskreis ausbrechen will, dann schaue ich nicht auf die Vergangenheit, sondern versuche ihn nicht nur als Musiker sondern auch als Mensch zu unterstützen. In der Musik-Welt wird mit viel Geld um sich geschmissen. Da bekommt jemand zwei Millionen Dollar Vorschuss, aber keiner sagt demjenigen, dass er darauf Steuern zahlen muss oder auch etwas zur Seite legen sollte. Das sind die Basics, die wir bei Empire vermitteln. Auch welche Bankkonten man braucht und was man tun muss, um einen Pass zu haben, damit man reisen kann. Wir haben Deals über eine Million Dollar gemacht und vorgeschlagen, monatlich nur 100.000 Dollar zuzuschicken, damit sie besser mit dem Geld umgehen. Das Angebot nehmen aber nicht alle an und manchmal geben sie dann auch alles auf einmal aus…

Als Chief Operating Officer von Empire trägst du selbst eine große Verantwortung für eure Belegschaft von 200 Mitarbeiter. Wie gehst du damit um?

Nima Etminan: „Ich habe im Laufe der Jahre Hunderte Menschen eingestellt, dabei hatte ich selbst nie ein Vorstellungsgespräch…“ (lacht)

Wonach gehst du dann bei der Entscheidung, ob du jemandem einen Job gibst oder nicht?

Nima Etminan: „Ich führe am liebsten persönliche Gespräche und gehe mit den Bewerbern spazieren, einen Kaffee holen und verbringe etwas Zeit mit ihnen. Dabei achte ich auf mein Bauchgefühl, ob derjenige in stressigen Situationen wohl cool bleiben würde. Du kannst jemandem beibringen, was er tut, aber du kannst jemandem nicht beibringen wie er ist, wie er sich gibt und was für eine Präsenz die Person hat. Ich möchte Leute um mich herum haben, die respektvoll und freundlich sind und ihr Ego beiseite lassen. Sie müssen diese Atmosphäre zu schätzen wissen und Leidenschaft für die Musik haben – dann haben sie auch automatisch einen gewissen Grad an Verantwortung. Da liege ich natürlich nicht immer richtig, aber oft funktioniert es.“

"Mit Work-Life-Balance kommt man in meinem Beruf nicht weit"

In Deutschland wird viel über Work-Life-Balance geredet – viele junge Menschen haben andere Werte-Vorstellungen im Beruf als früher. Dieser Trend in der Gesellschaft passt nicht wirklich zu deiner Vita oder?

Nima Etminan: „Wem Work-Life-Balance wichtig ist und nach 18 Uhr keine E-Mails mehr schauen würde, kommt in meinem Beruf nicht weit. Es liegt in der Natur der Branche, dass abendliche Events dazugehören. In der Musik geht es um Kultur und Beziehungen. Wenn du diese aufbauen willst, kannst du nicht einfach kommen und gehen, wann du willst. Manchmal muss man auf Meetings auch mehrere Stunden warten, bis überhaupt etwas passiert. Mich persönlich würde es eher total stressen, zwei, drei Tage nicht auf meine E-Mails zu schauen, nur um meine innere Balance zu haben. – vor allem wenn ich wüsste, dass ich mich dann montagmorgens durch einen Berg von Nachrichten wühlen muss.“

Was muss denn heutzutage ein Lied haben, um erfolgreich zu sein?

Nima Etminan: „Wo man am schnellsten und einfachsten erfolgreich sein kann, ist TikTok. Auf dieser Plattform geht es nicht um das gesamte Lied, sondern um 5 bis 15 Sekunden. Wenn darauf ein spezieller Tanz entsteht oder jemand was Lustiges macht, kann das Video samt dem Lied viral gehen. Das hat dann nichts mit der Qualität des gesamten Liedes zu tun, sondern eher wie eingänglich diese kurze Sequenz ist.“

"TikTok bringt ein bisschen Chaos in die Musik-Industrie"

Wie geht ihr als Platten-Label mit dieser Herausforderung um?

Nima Etminan: „Das hat es um einiges schwieriger gemacht, Trends und Musik-Erfolge vorherzusehen. Es bringt ein bisschen Chaos in die Musik-Industrie. Persönlich finde ich es gut, weil es das Business interessanter macht. Es ist schon verrückt, wenn ein Künstler ein Album macht, eine Single rausbringt, dazu ein Video dreht und auf einmal geht ein völlig anderer Part durch die Decke, weil irgendjemand einen coolen Dance-Move dazu gemacht hat. In der Musik kannst du alles richtig, aber auch alles falsch machen – das ist die Magie dieser nicht planbaren Kunstwelt. Wichtig ist, zu erkennen was funktioniert und dann eine ganze Kampagne hinterher zu schießen.“

Wie sieht die Zukunft von Empire aus?

Nima Etminan: „Das Ziel von Empire ist globale Musik. Die Dominanz englischsprachiger Musik nimmt immer weiter ab. Regionale Musik wird dagegen immer stärker. Deshalb haben wir uns internationaler aufgestellt und etwa Büros in London, Japan, Südafrika und Nigeria aufgemacht – überall dort, wo es interessante Märkte gibt.“

Ihr habt auch das elektronische Musik-Label Dirty Bird hinzugekauft, worauf internationale DJ-Stars wie Green Velvet und Fisher Songs veröffentlichen. Wollt ihr Eure musikalische Bandbreite erweitern?

Nima Etminan: „Ja, wir wollen auch ein Label für afrikanische Musik weiter aufbauen – das ist aktuell spannender als Westcoast-Rap. Dirty Bird haben wir gekauft, weil die elektronische Musik Szene vor allem im Live-bereich spannend ist.“

"HipHop-Szene kann viel von elektronischer Musik-Szene lernen"

Was meinst du damit?

Nima Etminan: „Die HipHop-Szene hat Probleme im Live-Bereich. Die Ticket-Verkaufszahlen sind im Keller dieses Jahr, weil die Shows nicht gut genug sind. Wenn jemand auf der Bühne über seine eigenen Vocals rappt und jedes Jahr eine Tour macht, dann lässt sich das irgendwann nicht mehr zu verkaufen.“

Was muss sich ändern?

Nima Etminan: „Es sollte bei der Show mehr Fokus auf das generelle Erlebnis gelegt werden. Das kostet dann zwar mehr Investment und hat damit weniger Profit zufolge, aber man kann die Show dann auch wiederholen. Da kann die HipHop-Szene einiges von der elektronischen Musik-Szene lernen. Da steht nur ein DJ hinter einem Pult und hält die Leute trotzdem mehrere Stunden in Trance. Im Live-Bereich waren wir bis auf Tour-Support bisher noch gar nicht unterwegs, aber das könnte bei uns in der Zukunft auch hinzukommen.“

Wie Nima Etminan schon als Jugendlicher seine Karriere-Träume vorantrieb und als 16-Jähriger Rap-Star Snoop Dogg traf, lesen Sie hier.