Hamburg. Eklat beim Matthiae-Mahl und Streit um Spenden für St. Petersburg. Wie soll Hamburg heute mit der Städtepartnerschaft umgehen?

Nein, das gehe so wirklich nicht, befand Wladimir Wladimirowitsch Putin, als er Mitte der 1990er Jahre vermutlich bereits in seinem markanten Schaukelgang über den Hamburger Rathausmarkt eilte. Dieses Zelt! Sogleich wandte sich der etwas über 40 Jahre alte St. Petersburger Vizebürgermeister an den Senat. Es sei eine Demütigung für Russland, dass die Hamburger mitten in der Stadt Tausende Spendenpakete für die Partnerstadt öffentlich in einem Zelt abgäben – so als sei man in Russland auf Almosen angewiesen. Sofort müsse diese Sammelstelle abgebaut werden! Sie sei vollkommen unangemessen und beschämend für eine Macht wie Russland. Im Senat aber interessierte man sich seinerzeit wohl nicht sonderlich für das, was Herr Putin sagte. Und das Zelt blieb.

So in etwa schildert heute Hinnerk Fock, damals Protokollchef der Bürgerschaft, später stellvertretender Senatssprecher, FDP-Chef und Altonaer Bezirksamtsleiter, eine der Erfahrungen, die man in Hamburg seinerzeit mit dem heutigen russischen Präsidenten machte. Auch eine zweite Begebenheit spricht dafür, dass Putin schon damals von großem Nationalstolz erfüllt und in diesem Zusammenhang leicht entflammbar war.

Putin war schon früh von großem Nationalstolz erfasst

Als im Jahr 1994 der damalige estnische Ministerpräsident Lennart Meri in seiner Rede beim festlich-exklusiven Matthiae-Mahl im Rathaus davor warnte, dass die Russen die Vorherrschaft im Osten anstrebten, soll Putin seine Serviette entrüstet auf den Tisch geworfen haben. Hernach sei er, so berichteten es Augenzeugen, „mit durchgedrückten Knien, einen verächtlichen Blick auf den Gastgeber werfend, aus dem Saal marschiert – jeder Schritt begleitet vom Knarzen des Parketts“.

Bis heute gilt dieser Ausfall Putins als einziger echter Eklat in der seit 1356 währenden Geschichte des „ältesten noch begangenen Festmahl der Welt“. Soviel zur These, Wladimir Wladimirowitsch habe sich erst in jüngerer Zeit zu einem zornigen russischen Nationalisten gewandelt – und sei früher im Grunde ein weltoffener Liberaler und Freund der Meinungsfreiheit gewesen.

Viele Projekte in Kultur und Wissenschaft auf Eis gelegt

Bei alldem muss man wissen: Hamburgs Städtepartnerschaft mit St. Petersburg, zu deren Pflege Putin in den 1990ern öfter an der Alster weilte, besteht seit 1957 – länger als jede andere. Sie war fast nie eine Freundschaft zwischen politisch Gleichgesinnten, im Gegenteil. Mitten im Kalten Krieg gegen den Willen von Bundeskanzler Konrad Adenauer aufgebaut, war diese Partnerschaft immer ein Versuch, die systemischen Gegensätze durch zwischenmenschliche Beziehungen zu überwinden – und damit stets auch eine Brücke über einen Abgrund voller Atomraketen und Kriegsrhetorik.

Das aber ist im Kalten Krieg gewesen. Die Waffen standen überall, aber in Europa schwiegen sie. Nun aber hat Putin einen skrupellosen Angriffskrieg begonnen. Muss man da nicht die Städtepartnerschaft auf Eis legen, um ein klares Zeichen zu setzen, wie es die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein fordert? Oder wäre es klüger, Kontakte zwischen Städten und Menschen auch jetzt zu nutzen – mit dem Ziel, zumindest ein wenig darauf hinzuwirken, dass der Irrsinn bald ein Ende nimmt?

Tschentscher mit Gratwanderung bei Regierungserklärung

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat diese Gratwanderung bei seiner Regierungserklärung am Mittwoch dieser Woche in der Bürgerschaft dadurch zu meistern versucht, dass er zunächst betonte, „dass wir im Rahmen unserer Städtepartnerschaft mit St. Petersburg in den vergangenen Jahrzehnten auch über den eisernen Vorhang im Kalten Krieg hinweg vielfältige zivilgesellschaftliche Beziehungen mit den Menschen in unserer Partnerstadt aufgebaut haben, die uns sehr wichtig sind“. Gleichwohl erforderten „die schrecklichen Kriegshandlungen eine klare Botschaft“, so Tschentscher.

Daher habe man die Vorbereitung für die Deutsche Woche in St. Petersburg beendet, und er werde nicht dorthin reisen. Klar aber sei, dass sich Hamburgs Protest „nicht gegen die Menschen in Russland und schon gar nicht gegen unsere Freunde in St. Petersburg richtet“, so Tschentscher, sondern „gegen die aggressive Politik der russischen Regierung“. Es sei „ermutigend“, wie die Menschen trotz Repressionen auch in St. Petersburg bei Demonstrationen ein Ende des Krieges forderten.

Wie soll Hamburg mit den Beziehungen zu Russland umgehen?

Die Frage, wie mit den gewachsenen Beziehungen zu Russland jetzt zu verfahren ist, müssen sich indes nicht nur Politiker stellen. Auch in Hamburgs Kultur, Wissenschaft oder im Bildungsbereich gibt es enge Verbindungen. So pflegten zumindest bis zur Coronapandemie laut Schulbehörde ein Dutzend Stadtteilschulen und Gymnasien sowie zwei berufliche Schulen Partnerschaften mit russischen Schulen, vor allem in St. Petersburg. Einige führten die Kontakte in der Pandemie online fort. Vier Lehrer aus Hamburg seien derzeit in St. Petersburg im Einsatz, wo es eine Deutsche Schule gibt. Es existiert sogar ein Memorandum zur Zusammenarbeit im Schulwesen zwischen beiden Städten.

In der Wissenschaft bestehen ebenfalls enge Beziehungen, die nun gekappt werden. „Die russischen Aggressionen müssen mit deutlichen Gegenmaßnahmen beantwortet werden, die massive Konsequenzen auf die Wissenschaftsbeziehungen haben“, sagte Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne). „Ich finde es richtig, dass Projekte mit russischer Beteiligung nun eingefroren und auf den Prüfstand gestellt werden.“

Besonders stark ist eine Forschungsanlage betroffen

Besonders betroffen ist in Hamburg die Forschungsanlage European XFEL in Bahrenfeld, eine internationale Röntgenlaser-Forschungseinrichtung, an der zwölf Staaten beteiligt sind. Russland hält mit 26 Prozent den größten Anteil nach Deutschland – und war bisher entsprechend stark auch finanziell beteiligt. Auch das Grundlagenforschungszentrum DESY kooperiere „in verschiedenen europäischen Forschungsverbünden mit russischen Partnern“, heißt es aus der Wissenschaftsbehörde, „vereinzelte Kooperationen haben auch weitere Hamburger Forschungseinrichtungen“.

Die Folgen der Sanktionspolitik würden nun „in jedem Fall einzeln geprüft“. Die Behörde stelle 100.000 Euro bereit, um ukrainische Wissenschaftler und Studierende zu unterstützen, so Fegebank. „Meine Hoffnung ist, dass wir mit den Menschen gemeinsam eine Brücke für die Wissenschaft in Europa bauen.“

„Zusammenarbeit der Friedfertigen muss möglich bleiben“

In der durch die Coronapandemie besonders stark gebeutelten Kulturszene gibt es ebenfalls viele Verbindungen nach Russland – und dabei geht es nicht nur um die Frage, ob Starsopranistin und Putin-Intima Anna Netrebko in der Elbphilharmonie auftritt. Sehr konkret seien die Auswirkungen auch auf Vorhaben wie die Inszenierung des Tschechow-Stücks „Der Schwarze Mönch“ durch den russischen Regisseur Kirill Serebrennikov am Thalia Theater, heißt es aus der Kulturbehörde. Dort wisse man nicht, „ob und wenn ja wie sie russische Partner ans Theater bekommen, die eindeutig zur dortigen Zivilgesellschaft gehören und der Kontakt mit denen gerade jetzt so wichtig wäre“.

Auch andere Projekte hätten Kooperation mit russischen Künstlern geplant. „Dieser Krieg bringt unermessliches menschliches Leid“, sagte Kultursenator Carsten Brosda (SPD). „Gerade jetzt geht es darum, solidarisch zur Ukraine zu stehen und ukrainische Künstlerinnen und Künstler zu stärken, aber auch die Brücken zur russischen Zivilgesellschaft nicht abzureißen.“

Was Putin 1994 im Abendblatt-Interview von den Hamburgern forderte

Wie schwierig diese Gratwanderung wird, hatte Brosda in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Bühnenvereins schon am Tag des russischen Einmarsches deutlich gemacht. Der Angriffe ziele „erkennbar auch ganz grundsätzlich auf die Idee einer offenen und freien Gesellschaft“ und damit „auf die Möglichkeiten für Kunst und Kultur, sich überall auf der Welt frei zu entfalten“, schrieb Brosda. Und doch müsse man sich weiter um Frieden und Verständigung bemühen – und darum, „dass Zusammenarbeit der Friedfertigen möglich bleibt und dafür auch die Mittel der Kunst und der Kultur genutzt werden können“.

Dass den russischen Präsidenten solche Botschaften noch erreichen, ist wohl leider nicht zu erwarten. 1994 hatte Putin im Disput über die Spendensammlungen vor dem Rathaus noch einen anderen Weg gewählt, um seine Ziele zu erreichen. Der Zoll in St. Petersburg führte seinerzeit plötzlich neue Formalitäten ein und verlangte nun Unbedenklichkeitsbescheinigungen für aus Hamburg übersandte Lebensmittel – was die Spendenorganisationen als Gefahr für ihre Paketaktion werteten. In einem Abendblatt-Interview vom Januar 1994 sagte Putin offen, was ihm vorschwebte: Die Hamburger könnten ja ruhig weiter Pakete nach St. Petersburg schicken, so der Vizebürgermeister. Aber doch bitte persönlich von Mensch zu Mensch. Sprich: Ohne für sein Land entwürdigende Sammelzelte auf dem Rathausmarkt.