Hamburg. Trotz bundesweiter Rekord-Inzidenz sind noch keine neuen Maßnahmen geplant. Wie und wann sich das ändern könnte.
Eine weitere Schallmauer ist gebrochen: Die Zahl der Hamburgerinnen und Hamburger, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben, ist am Wochenende über die Marke von 200.000 gestiegen. Exakt 208.239 Infektionen wurden seit Pandemiebeginn in der Hansestadt registriert – damit hat es bislang knapp elf Prozent der 1,9 Millionen Einwohner „erwischt“.
Mehr als 8250 neue Fälle am Wochenende haben die Sieben-Tage-Inzidenz auf die Rekordmarke von 1852,6 steigen lassen. Obwohl das der höchste Wert aller Bundesländer ist, sieht der Senat vorerst keinen Handlungsbedarf: „Hamburg hat alle Beschlüsse der MPK umgesetzt und ist mit der obligatorischen Einführung des Zwei-G-Plus-Modells in weitestgehend allen Publikumseinrichtungen über die Beschlüsse hinausgegangen“, hieß es auf Anfrage. „Weitere Maßnahmen sind Stand jetzt nicht geplant.“
200.000 Hamburger infiziert – wann greift der Senat ein?
Zwei Szenarien könnten das jedoch ändern. Das erste wäre eine Überlastung des Gesundheitssystems. „Alle Patientinnen und Patienten mit Behandlungsbedarf – nicht nur aufgrund von Covid-19, sondern auch aufgrund aller anderen (akuten) Behandlungsbedarfe – sollen die erforderliche Behandlung erhalten können“, verspricht Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD).
Sobald dies nicht mehr gewährleistet wäre, würde man also gegensteuern. Aktuell sei man davon aber noch ein gutes Stück entfernt, heißt es. Die Omikron-Variante sorge überwiegend für mildere Verläufe, sodass die Lage auf den Intensivstationen stabil sei. Sorge bereitet dem Senat eher die Lage auf den Normalstationen, wo weitere rund 400 Covid-Patienten behandelt werden, Tendenz steigend.
Corona in Hamburg: Lage auf Intensivstationen ist stabil
Die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen ist relativ stabil. Der Senat gibt sie mit 73 an, das etwas aktuellere Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) mit 78. Vor einem Jahr wurden rund 120 Intensivpatienten in Hamburg versorgt. Aktuell sei aber „nicht mit einem Zuwachs wie in den zurückliegenden Monaten 2021 zu rechnen, da derzeit aufgrund der Omikron-Infektionen vor allem mildere Verläufe beschrieben werden“, heißt es aus dem Senat.
„Der Zusammenhang zwischen Neuinfektionen und einer Zunahme der Fallzahlen in den Krankenhäusern ist längst nicht mehr so stark ausgeprägt wie im vergangenen Jahr“, sagte Sozialsenatorin Leonhard. „Dennoch gibt es immer wieder Menschen, die trotz Impfschutz einen schweren Verlauf entwickeln, häufig deswegen, weil sie Vorerkrankungen haben – Übergewicht, Lungen- und Atemwegs- oder Krebserkrankungen beispielsweise.“ Ähnlich äußerte sich Prof. Stefan Kluge, Chef der Intensivmedizin am UKE: „Die Lage ist handhabbar“, sagte er der Deutschen Presseagentur. Nur stellten „isolationsbedingte Ausfälle“ von Personal das Kollegium vor Herausforderungen.
200.000 Hamburger infiziert: Wann gibt es schärfere Maßnahmen
Schärfere Maßnahmen wären auch unumgänglich, wenn die kritische Infrastruktur (Polizei, Rettungswesen, Energie- und Wasserversorgung) aufgrund zu vieler Ausfälle beim Personal gefährdet wäre. Noch sieht der Senat aber „die Einsatz- und Arbeitsfähigkeit in keiner Weise gefährdet“.
Vor der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz lehnt der Senat Forderungen nach Lockerungen ab: Das sei „derzeit nicht geboten“. Erforderlich sei eine angepasste Test- und Quarantänestrategie.
"Personalmangel steigert das Risiko der Patientengefährdung"
Während die AfD die meisten Maßnahmen als überzogen kritisiert, tragen CDU und Linkspartei den Senatskurs im Grundsatz mit. Dennoch üben auch sie Kritik. „Das Pflegepersonal ist bereits seit längerer Zeit chronisch überlastet“, sagte Deniz Celik, Gesundheitsexperte der Linken. „Die Versorgung erfolgt in vielen Fällen auf Kosten der Gesundheit von Pflegekräften. Der Personalmangel steigert auch das Risiko der Patientengefährdung.“ Eine weitere Eskalationsstufe, etwa ein Mangel an Intensivbetten und damit verbunden eine Triage, müsse „mit allen Mitteln verhindert werden“, ebenso wie Ausfälle bei Feuerwehr oder Rettungsdiensten.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering sagte mit Blick auf eine mögliche Überlastung des Gesundheitssystems: „Hierbei ist eine bundesweite Betrachtung wichtig, da bei einer sich deutlich verschärfenden Lage das Kleeblatt-Konzept auch weitere Patienten aus anderen Bundesländern zu uns nach Hamburg bringen kann.“ Zudem müsse auch beobachtet werden, ob es bei der ambulanten Versorgung durch Haus- und Fachärzte zu signifikanten Ausfällen kommt.
200.000 infizierte Hamburger: Was tun, wenn sich die Lage weiter zuspitzt?
Doch was kann Hamburg überhaupt noch tun, falls sich die Lage weiter zuspitzt? Der Senat verweist darauf, dass er noch Gastronomie, Freizeit- und Kultureinrichtungen, Messen oder Kongresse schließen, beziehungsweise untersagen könnte. Laut Deniz Celik sind auch weitere Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen möglich. Seine Forderung: „Es würde die Infektionsdynamik bremsen, wenn in den Schulen und Kitas deutlich kleinere Lerngruppen eingerichtet und hierfür verstärkt auch Lehramtsstudierende einbezogen würden.“ Solche Einschränkungen lehnt der Senat aber bislang ab.