Hamburg. Die rot-grüne Koalition legt ihren Streit bei und einigt sich für Hamburg auf neue Vorgaben und Vorgehen. Das sind sie.

SPD und Grüne haben bei einer Koalitionsrunde am Montagabend ihren Streit über mehr Klimaschutz beigelegt und sich auf neue, schärfere Ziele geeinigt. Das erfuhr das Abendblatt aus Koalitionskreisen.

„Wir sind uns darin einig, unsere gemeinsamen Anstrengungen im Klimaschutz noch weiter zu verstärken“, heißt es in dem Beschluss, den die beiden Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Katharina Fegebank (Grüne) zusammen mit den Partei- und den Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Montagabend fassten. „Dazu werden wir unseren Klimaplan und unser Klimaschutzgesetz synchron überarbeiten – mit dem Ziel, die Hamburger Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um mindestens 65 Prozent und gegebenenfalls darüber hinaus zu reduzieren.“

Klimakrise: Hamburg verschärft  Klimaschutzziele deutlich

Damit richtet sich Hamburg nun an den von der Bundesregierung festgelegten neuen Zielen aus, die diese als Reaktion auf das jüngste wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz festgelegt hatte. Bisher hat Hamburg lediglich eine Reduktion von 55 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2030 als Ziel im Klimaschutzgesetz verankert. Als Basisjahr für die Reduktion gilt jeweils 1990. Klimaneutralität soll nach dem bisher gültigen Gesetz erst 2050 erreicht werden. Dazu hat die Koalition keine konkreten neuen Vereinbarungen getroffen.

Vor der Wahl hatten SPD und Grüne in Hamburg offen über neue Klimaschutzziele und das richtige Vorgehen zu ihrer Erreichung gestritten. Umweltsenator Kerstan hatte darauf gedrängt, die Klimaschutzziele in Hamburg analog zu anderen Bundesländern wie Bayern oder Rheinland-Pfalz zu verschärfen und Klimaneutralität bereits 2040 statt 2050 anzustreben – und bis 2030 eine Minderung des CO2-Ausstoßes von 70 Prozent gegenüber 1990 zu erreichen. Dazu sollte im dritten Quartal 2022 das Klimaschutzgesetz novelliert und im Folgejahr der Klimaplan mit den einzelnen Maßnahmen beschlossen werden.

Klimakrise: Offener Streit über Klimaplan beigelegt

Die SPD hatte dies zunächst so abgelehnt. Sie wollte die Maßnahmen möglichst parallel entwickeln. Bürgermeister Tschentscher hatte zuletzt stets betont, es sei unseriös, sich immer ehrgeizigere Ziele zu setzen, ohne zu wissen, wie man sie erreichen wolle.

Darüber hatte es einen offenen Streit gegeben. Nun hat man den Konflikt mit einem Kompromiss bei den Zielen entschärft – und  dadurch, dass man den Klimaplan offenbar vorziehen will, in dem die konkreten Maßnahmen festgeschrieben werden. Zeitangaben macht die Koalition dazu allerdings zunächst nicht. Das Abendblatt hatte bereits am Sonnabend exklusiv über die für den gestrigen Montag geplante Koalitionsrunde zur Beilegung des Konflikts berichtet.

Lenkungsgruppe Klimaplan überprüft Stellschrauben

„Um das neue ambitioniertere Klimaziel gesetzlich zu verankern und auch tatsächlich zu erreichen, wollen wir die erforderlichen Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion überprüfen, nachschärfen und ergänzen“, heißt es in dem Koalitionsbeschluss weiter.

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„Dazu werden wir in der Lenkungsgruppe Klimaplan auch mit Blick auf die Erfahrungen bei der Umsetzung des derzeitigen Klimaplans die wesentlichen Stellschrauben zur Erreichung der Reduktionsziele betrachten und weitere Handlungsbedarfe zur optimalen Ausnutzung dieser Stellschrauben identifizieren. Die Lenkungsgruppe Klimaplan, in der alle für die verschiedenen Transformationspfade zuständigen Behörden vertreten sind, wird bereits in der nächsten Woche zusammentreten.“

Fridays for Future kritsiert Kompromiss als ungenügend

Zugleich setzt die Hamburger Koalition auf wesentliche Entscheidungen einer neuen Bundesregierung in Sachen Klimaschutz. „Für unsere verstärkten Klimaschutzanstrengungen erwarten wir Rückenwind von der neuen Bundesregierung“, heißt es in dem Beschluss, der dem Abendblatt vorliegt. „In diesem Sinne werden wir versuchen, die sich im Rahmen der Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag auf Bundesebene eröffnenden Möglichkeiten optimal für den Klimaschutz in Hamburg zu nutzen."

Die Klimabewegung "Fridays for Future" (FFF) zeigte sich wenig überzeugt von dem rot-grünen Kompromiss. "Nach zweieinhalb Jahren Klimastreik ist sich der Senat nun einig: Man findet Klimaschutz gar nicht so schlecht", sagte die Hamburger FFF-Sprecherin Annika Rittmann. "Aber das Bekenntnis der Rot-Grünen Koalition zu 'mehr Klimaschutz' klingt wie ein leeres Wohlfühlpaket. Eine CO2-Reduktion von 65 statt notwendigen 85 Prozent bis 2030 und die Beibehaltung von Klimaneutralität erst 2050 ambitioniert zu nennen, ist gleichermaßen absurd und gefährlich", so Rittmann. "Und es bedeutet auch, das Pariser Klimaabkommen um Meilen zu verfehlen und dabei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu ignorieren." Statt "weiterer warmer Worte" müsse der Senat "einen klaren Zeitplan zur Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes erarbeiten und sich zu einem 1,5-Grad-konformen CO2-Budget bekennen."

Wohnungsverband warnt vor steigenden Kosten für Mieter

Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), warnte dagegen vor steigenden Kosten für Mieterinnen und Mieter. „Die sozialen Vermieter Hamburg stehen hinter dem umweltpolitischen Ziel des Hamburger Senats, bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu sein", so Breitner. "Die im VNW organisierten Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften haben im vergangenen Jahrzehnt mehrere Milliarden Euro in die energetische Sanierung ihrer Wohnungsbestände investiert und werden das auch künftig tun."

Allerdings dürfe bei allen Anstrengungen für mehr Klimaschutz das bezahlbare Wohnen nicht außer Acht gelassen werden. "VNW-Unternehmen verstehen sich als Interessenvertreter von Mieterinnen und Mieter mit mittlerem oder kleinem Einkommen", sagte Breitner. "Uns geht es darum, Klimaschutz und bezahlbares Wohnen in Einklang miteinander zu bringen. Es muss möglich sein, auch mit geringem Einkommen in einem klimaneutralen Hamburg wohnen zu können."

"Quartiersansatz" statt immer weiterer Sanierungen?

Um diese Herausforderung zu meistern, seien "intelligente Lösungen notwendig", so der VNW-Direktor. "Ich favorisiere den sogenannten Quartiersansatz, bei dem Hamburgs stadteigener Wohnungskonzern SAGA bundesweit Vorreiter ist. Dabei betrachtet man beim Ringen um eine Reduzierung der Emissionen nicht mehr allein das Wohngebäude, sondern denkt verstärkt darüber nach, wie Strom und Heizenergie für ein ganzes Quartier möglichst CO2-neutral produziert werden können."

Viele Wohngebäude der VNW-Mitgliedsunternehmen seiene bereits einige Jahrzehnte alt und schon ein oder gar zwei Mal energetisch saniert worden. "Weitere energetische Sanierungen verursachen immense Kosten, während die Einsparungen an CO2 mit jeder Sanierung immer geringer werden", so Breitner. "Experten gehen davon aus, dass Hamburgs Wohnungsunternehmen künftig bis zu 100 Milliarden Euro für weitere entsprechende Sanierungen aufbringen müssten."