Hamburg. Grünen-Veranstaltung sorgt für CDU-Kritik. Daten belegen, dass Frauen ein anderes Mobilitätsverhalten zeigen als Männer.

„Wem gehört die Straße? Brauchen wir eine weibliche Mobilität?“. So nannten die Grünen in Hamburg-Nord in dieser Woche einen ihrer öffentlichen Online-Diskussionsabende – und lösten schon mit dem Titel hier und da Stirnrunzeln und dann auch Kritik bei der CDU aus. Bei der Veranstaltung ging es um die Frage, ob und warum Frauen sich anders im öffentlichen Raum fortbewegen als Männer – und was das für die Verkehrspolitik bedeuten könnte.

HCU-Stadtforscherin Rosa Thoneick, die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Rosa Domm und andere Teilnehmerinnen plädierten dabei für einen „feministischen Blickwinkel“ auf die Hamburger Verkehrspolitik – und dafür, bei der Verkehrsplanung nicht von einem „männlichen Prototyp Mensch“ auszugehen.

Uneinigkeit bei Mobilitätsplanung in Hamburg

Von diesem Startpunkt aus diskutierten sie die hamburgische Mobilitätsplanung. Sie forderten weniger Autos in den Innenstädten, mehr Beleuchtung von Unterführungen und Bahnhöfen und bessere öffentliche Verkehrsmittel. Diese Maßnahmen würden besonders Frauen zugutekommen, so die These.

Für CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker ist ein solcher geschlechtsspezifischer Ansatz der Verkehrspolitik unsinnig. „Der Glaube der Grünen, Autos seien per se etwas Schlechtes, ist schon ein ideologisch geprägter Irrtum“, sagte Seelmaecker. Dass sogar die zunächst bei der Veranstaltung erwartete, aber dann verhinderte Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Beck davon ausgehe, „es handle sich beim Autofahren um eine typisch männliche Sicht, offenbart, dass massiv Vorurteile bei den grünen Spitzenpolitikern vorherrschen“.

Unterschiede im Mobilitätsverhalten

Die Grünen wollten nun „die ,männliche Dominanz der Autos‘ in den Städten zurückdrängen und eine feministische Sicht durchsetzen“, so der CDU-Politiker. „Mit Sachpolitik hat das nichts mehr zu tun, mit Gleichberechtigung ebenso wenig und vielleicht mag sich der eine oder andere auch schlicht diskriminiert fühlen, ob solcher Stereotype. Welche Autofahrerin will sich schon vorwerfen lassen, sie sei ,typisch männlich‘?“ Er wünsche sich eine „weniger fehlgeleitete grün-feministische Ideologie und mehr Gelassenheit“, so Seelmaecker.

In der grün geführten Verkehrsbehörde hält man den Ansatz, auch bei der Verkehrspolitik Geschlechterunterschiede zu beachten, dagegen für sinnvoll. „Tradierte Geschlechterrollen verändern sich in der modernen Gesellschaft, dennoch zeigen Studien und Statistiken zur geschlechterspezifischen Mobilität, dass Frauen anders mobil sind als Männer“, sagte Verkehrsstaatsrat Martin Bill dem Abendblatt. „Wenn es in Familien ein Auto gibt, wird es im alltäglichen Gebrauch häufig vom Mann genutzt. Frauen wählen das Verkehrsmittel häufiger nach Anliegen (multimodal) oder wechseln je nach Bedarf (intermodal). Auf ihren Wegen sind sie häufiger in Begleitung von anderen Menschen (Kindern, Älteren).“

Männer gehen häufiger aus dem Haus als Frauen

Natürlich gebe es auch Frauen, „die ihre Kinder mit dem Pkw zur Schule bringen oder einen Dienstwagen nutzen“, so Bill. „Nicht selten verändern unabhängig vom Geschlecht auch die persönlichen Lebenslagen die Sicht auf Mobilität: Seitdem ich als Vater einen Kinderwagen schiebe, betrachte ich Gehwege ganz anders.“

Tatsächlich deuten die wenigen verfügbaren Daten zu dem Thema darauf hin, dass sich das Mobilitätsverhalten von Männern und Frauen durchaus unterscheidet. Nach der vom Bundesverkehrsministerium vorgelegten Studie „Mobilität in Deutschland“ von 2017 gehen Männer häufiger aus dem Haus als Frauen. Der tägliche Zeitaufwand für Wege fällt bei Männern im Durchschnitt rund fünf Minuten höher aus als bei Frauen – und Männer legen pro Tag 46 Kilometer zurück und damit 13 Kilometer mehr als Frauen. Männer fahren demnach auch deutlich mehr mit dem Auto als Frauen.

Ungleichwicht zwischen Geschlechtern in Hamburg

Diese Erkenntnis wird auch durch Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes gestützt. Obwohl Frauen in Deutschland nach der jüngsten Statistik etwa 50,7 Prozent der Bevölkerung ausmachen, waren am 1. Januar 2021 lediglich 34,5 Prozent der rund 48,2 Millionen Pkw in Deutschland auf weibliche Halterinnen registriert. Das belegt zwar nicht unmittelbar, dass Frauen weniger mit dem Auto fahren – denn oft werden Autos ja von Paaren gemeinsam benutzt, egal, auf wessen Namen es angemeldet ist.

Aber die Zahlen sind immerhin ein Indiz für ein gewisses Ungleichgewicht. In Hamburg ist dieses sogar noch ausgeprägter als im Bundesdurchschnitt: Hier sind nur 31,6 Prozent der fast 806.000 Pkw von Frauen angemeldet worden. Auch bei den Führerscheinen liegen die Männer deutlich vorne. 43 Prozent der seit 1999 neu ausgestellten oder umgeschriebenen Pkw-Fahrerlaubnisse sind laut Daten des Kraftfahrtbundesamtes auf Frauen ausgestellt, 57 Prozent auf Männer. Bei Motorrad-Führerscheinen sind Frauen mit 29 Prozent deutlich weniger vertreten, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche – bei den Bus-Führerscheinen sind es sogar nur neun Prozent, bei den Lkw-Führerscheinen immerhin 37 Prozent.

Hochbahn und VHH haben Frauen im Vorstand

Laut ADAC waren zuletzt 58 Prozent seiner Mitglieder Männer und 42 Prozent Frauen. Der Automobilclub hat auch die verfügbare Statistik zur Beteiligung von Männern und Frauen an Unfällen aufbereitet. Demnach waren unter den bei Verkehrsunfällen Verunglückten (Getötete und Verletzte insgesamt) im vergangenen Jahr 42,3 Prozent Frauen und 57,6 Prozent Männer. 24 Prozent der bei Verkehrsunfällen tödlich Verunglückten waren Frauen und 76 Prozent Männer. Laut Statistikanbieter Destatis waren nur 33,7 Prozent aller Beteiligten von Unfällen mit Personenschaden Frauen.

Damit die Mobilitätswende allen Geschlechtern zugutekomme, müssten auch alle „an der Verkehrsplanung und Verkehrspolitik beteiligt sein, Mobilität mitgestalten und ihre Perspektiven einbringen“, betont der grüne Verkehrsstaatsrat Martin Bill. „Wir haben das in Hamburg umgesetzt, indem wir zum Beispiel mit Anna-Theresa Korbutt jüngst eine weibliche Mobilitätsexpertise in den HVV-Vorstand berufen haben. Hochbahn und VHH haben schon lange Frauen im Vorstand, und Kirsten Pfaue ist Koordinatorin für Mobilitätswende.“

Verkehrsstaatsrat: Auch Alter beeinflusst Mobilität

Neben dem Geschlecht beeinflusse auch das Alter die Mobilität, so der Verkehrsstaatsrat. „Sowohl geschlechts- als auch altersspezifisch ist auch das subjektive Sicherheitsempfinden wichtig, das heißt gut beleuchtete Gehwege und Straßen sowie sichere Radwege. Deshalb ist es wichtig, dass diese Vielfalt sich in der Gestaltung des öffentlichen Raumes und der Mobilität auch abbildet, wofür wir uns als Behörde mit einem neuen, modernen Mobilitätsmix einsetzen.“

Lesen Sie auch:

Auch die EU-Kommission befasst sich in ihrem Forschungsprojekt CIVITAS bereits seit Längerem mit Unterschieden im Mobilitätsverhalten von Männern und Frauen. Allerdings gibt es aus Sicht der Forscher bisher noch deutlich zu wenig gesicherte Erkenntnisse zu diesem Thema. Sie fordern deshalb, mehr Daten zu erheben. Nur so könne man die womöglich unterschiedlichen Bedürfnisse der Geschlechter bei der Verkehrsplanung künftig besser berücksichtigen.