Hamburg. Die Aufstellung des Etats in Hamburg für 2021/2022 war ein Prozess, der sich lange hinzog – inklusive rot-grünem Krisengipfel.

Es war eine von vielen Abstimmungen, die es im Laufe einer Bürgerschaftssitzung so gibt. Kaum jemand nahm Notiz davon, auch von den Abgeordneten dürfte niemand geahnt haben, was damit ausgelöst wurde. Denn an jenem 25. September 2019 beauftragte die Bürgerschaft lediglich den Senat, einen neuen Doppelhaushalt für die Jahre 2021 und 2022 aufzustellen.

So wie sie das alle zwei Jahre tut, quasi Alltag. Wirklich wichtig war damals die riesige Klima-Demo wenige Tage zuvor, die Steuern sprudelten das zehnte Jahr in Folge, und Corona war ein Bier aus Mexiko. Das bisschen Haushalt? Würde man bis Ende 2020 schon wuppen.

Ungewöhnliche Umstände: Rekordausgaben in Hamburg

Von wegen. Erst an diesem Donnerstagabend hat die Bürgerschaft den Etat nun beschlossen, und es ist ein historisches Werk geworden: Rekordausgaben von mehr als 35 Milliarden Euro für beide Jahre zusammen, eine (zumindest geplante) Rekord-Neuverschuldung von rund vier Milliarden Euro, das Ganze unter äußerst ungewöhnlichen Umständen zustande gekommen und auf rekordverdächtige 6478 Seiten gedruckt. Für den Transport dieses Etats braucht man eine Sackkarre.

Kurzum: Da lohnt sich ein Rückblick. Schon der Auftakt ist politisch heikel. Nachdem das Amt 2, die Haushälter in der Finanzbehörde, einen Rahmen vorgegeben hat, der sich unbestechlich aus den Einnahmen der vergangenen 14 Jahre ableitet, stehen die „Präsidesgespräche“ an: Im Oktober und November 2019 müssen alle Senatsmitglieder nacheinander in der Finanzbehörde antanzen und die „Eckwerte“ verhandeln – also die die ihnen zur Verfügung stehende Summe.

Mehr Geld für Behörden in Hamburg

Schwierig wird es dabei traditionell mit den Behörden, die große Personalkörper verantworten: Schule, Justiz, Inneres – ihre Ausgaben steigen schon aufgrund der Tarifentwicklung. Dass andere Behörden mit ihren Wünschen zurückstehen müssen, sieht nicht jeder sofort ein – das eine oder andere Senatsmitglied wird daher auch noch ein zweites Mal bei Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) vorstellig.

Letztlich werden die Eckwerte aber am 26. November 2019 vom gesamten rot-grünen Senat beschlossen – das hinterlässt überwiegend zufriedene Gesichter. Nach fünf Jahren mit Überschüssen muss niemand sparen, alle Behörden sollen mehr Geld bekommen. Wie viel, teilt der Senat aber nicht mit. Bei der CDU sorgt die Geheimniskrämerei für Unmut: Im Bund und in einigen Bundesländern sei die Offenlegung der Eckwerte üblich, kritisierte ihr Finanzexperte Thilo Kleibauer und fordert mehr Transparenz – gerade kurz vor der Bürgerschaftswahl.

Haushaltsaufstellung sollte Wahl nicht verzögern

Den Wahltermin hat der Senat durchaus im Blick: Alle Behörden sind nun aufgefordert, ihre Etat-Entwürfe bis zum 21. Februar 2020 vorzulegen – zwei Tage vor dem Urnengang. So soll vermieden werden, dass sich die Haushaltsaufstellung infolge der üblichen Turbulenzen nach der Wahl verzögert.

Das tut sie dann aber doch in einem ungeahnten Ausmaß, denn es kommen gleich mehrere Ereignisse zusammen. Das geringste Problem ist dabei noch, dass etliche Behörden wie etwa die Umweltbehörde kräftig „überbucht“ haben. Um insgesamt mehrere Hundert Millionen Euro liegen die Wunschpläne der Senatsmitglieder über den Eckwerten. Doch damit hatte man in der Finanzbehörde gerechnet und für Mitte April bereits neue Verhandlungen angesetzt.

Tschentscher entscheidet sich für die Grünen

Doch zu denen wird es vorerst nicht kommen. Da ist zum einen das Wahlergebnis: Für einige Wochen ist zumindest offiziell nicht klar, ob Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) als klarer Wahlsieger weiter mit den Grünen oder doch mit der CDU regieren würde. Dass er sich wie erwartet für die Grünen entscheidet, wirft jedoch auch Probleme auf: Denn die haben ihren Stimmenanteil verdoppelt, pochen nun auf fünf statt bisher drei Behörden und wollen natürlich mehr von ihren Inhalten durchsetzen als bisher im Haushalt eingeplant ist.

Das noch größere Problem ist die Corona-Pandemie, die Ende Februar Hamburg erreicht: Von einem Tag auf den anderen ist der Senat im Dauerkrisenmodus und muss zudem zusehen, wie die Einnahmen einbrechen und andererseits völlig neue Kosten entstehen. „Corona hat alles über den Haufen geworfen“, räumt Finanzsenator Dressel rückblickend ein. „Unseren Zeitplan, aber auch viele inhaltliche Punkte.“

Gesundheitsbehörde Teil von Sozialbehörde

Erst Wochen später gibt es etwas mehr Klarheit: Die erste Steuerschätzung in der Pandemie sagt der Stadt Ende Mai 4,7 Milliarden Euro weniger Einnahmen bis 2024 voraus, erste Hilfsprogramme laufen an, und zudem einigen sich SPD und Grüne Mitte Juni auf eine Fortsetzung ihrer Koalition. Das bedeutet aber: Eine Gesundheitsbehörde mit eigenem Etat gibt es nun nicht mehr – sie wird Teil der Sozialbehörde. Da die Grünen diese Wunschbehörde nicht erhalten, wechselt als Kompensation der Bereich Bezirke aus der Finanz- in die von ihrer Spitzenkandidatin Katharina Fegebank geführte Wissenschaftsbehörde. Ihr größtes Ziel erreichen die Grünen aber: die Gründung einer völlig neuen Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. Die notwendigen Ämter und Dienststellen werden aus der Wirtschafts- und anderen Behörden herausgelöst.

In den Behörden rauft sich mancher die Haare: Etliche Etats müssen kräftig überarbeitet werden, einer völlig neu aufgestellt werden – und das mit weniger Geld. Der neue Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) muss sich für den Aufbau seiner Behörde nicht nur Räumlichkeiten suchen, sondern auch Personal, insbesondere Haushälter – fündig wird er unter anderem in der ehemaligen Gesundheitsbehörde. Nicht überall ist man erfreut über die Abwerbungen.

Fegebank beantragt Krisengipfel

Fast den ganzen August über werden nun erneut Verhandlungen geführt, danach stehen wieder Präsidesgespräche an. Und da knirscht es immer häufiger. Die Grünen drängen darauf, dass ihr verdoppeltes Gewicht sich auch inhaltlich niederschlägt – Tjarks braucht mehr Geld für die Mobilitätswende, als bislang eingeplant ist, Umweltsenator Jens Kerstan mehr für den Klimaschutz. Doch weil aus Senatskanzlei und Finanzbehörde meist die Antwort kommt, man möge bitte innerhalb der Eckwerte bleiben, ziehen die Grünen schließlich die Reißleine – Fegebank beantragt, noch vor den eigentlichen Haushaltsberatungen des Senats einen Krisengipfel einzuberufen.

Am 30. September sitzen die Koalitionäre bis Mitternacht in der Finanzbehörde zusammen: Die Grünen regen allerlei an, etwa, neben der Corona- auch die Klimakrise zur Notsituation zu erklären. Der Bürgermeister lehnt die meisten Vorschläge zwar ab, bekennt sich aber klar zum Klimaplan der Koalition. Dressel ermuntert seine Senatskollegen, neue Maßnahmen zu benennen, die die Konjunktur ankurbeln – solche könne man auch aus Corona-Sondermitteln finanzieren. Das wird später beispielsweise für neue Radwege genutzt, für die Tjarks künftig mit 120 Millionen Euro für zwei Jahre deutlich mehr investieren kann als in den Vorjahren. Am Ende geht man recht beschwingt auseinander.

Etat-Entwurf für Hamburg im Netz

Damit ist die größte Kuh vom Eis. Im Anschluss an seine dreitägigen Haushaltsberatungen im Oktober beschließt der Senat den umfangreich überarbeiteten Etat-Entwurf am 1. Dezember und stellt ihn erstmals in interaktiver Form ins Netz (www.haushalt.digital). „Unser Anspruch war und ist, Krisenbewältigung und Zukunftsgestaltung, Investieren und Konsolidieren gleichermaßen zu gewährleisten – und das unter nie dagewesenen Rahmenbedingungen“, sagt Dressel, als er den Etat Anfang Januar 2021 in die Bürgerschaft einbringt.

Der unabhängige Rechnungshof billigt zwar die enormen Ausgabensteigerungen, die vor allem auf die Corona-Bekämpfung zurückgehen, kritisiert aber wie die Opposition, dass es fragwürdig sei, neue Radwege oder die Modernisierung der IT-Technik der Polizei als „Konjunkturimpuls“ zu verkaufen. Es schließen sich wochenlange Beratungen in der Bürgerschaft an: Jeder Behördenetat wird im jeweiligen Fach- sowie im Haushaltsausschuss durchgekaut.

Bürgerschaft beschließt Haushalt für Hamburg

Im Anschluss legen alle Fraktionen zum Teil Dutzende Änderungsanträge vor, die aber nichts an der Grundstruktur des Etats ändern. Das gilt auch für die abschließenden, dreitägigen Beratungen des Parlaments, quasi das große Finale vor den Augen der Öffentlichkeit. Am Donnerstag um 19.55 Uhr, ein Jahr, acht Monate und acht Tage nach dem Auftakt, beschließt die Bürgerschaft den Haushalt und beendet damit einen denkwürdigen Prozess.

Finanzsenator Dressel ist da gedanklich schon einen Schritt weiter und warnt vor schrumpfenden Spielräumen – denn von 2023 an dürfen keine Corona-Notkredite mehr aufgenommen werden. Er hat seine Gründe: Im August beginnt Aufstellung eines neuen Haushalts.