Hamburg. Damit wollen SPD und Grüne die Folgen der Pandemie abmildern. Das übernehmen aber nicht nur die ohnehin überlasteten Lehrer.

Es ist vermutlich eines der umfassendsten Förderprogramme an Schulen, die es je gab: Die rot-grüne Regierungskoalition will jeder Hamburger Schülerin und jedem Schüler 80 zusätzliche Unterrichtsstunden anbieten, vor allem, um durch die Pandemie bedingte Lernrückstände aufzuholen. Laut einem gemeinsamen Bürgerschafts­antrag der Fraktionen von SPD und Grünen, der dem Abendblatt vorliegt, soll das freiwillige und kostenlose Förderprogramm im laufenden und kommenden Jahr realisiert werden.

Umgerechnet auf das Schuljahr erhalten die Schülerinnen und Schüler zwei zusätzliche Unterrichtsstunden pro Woche, um Versäumtes nachzuholen oder den Unterrichtsstoff zu vertiefen. „Bei den Förderangeboten ist auch das soziale Miteinander und die Stärkung der Sozialkompetenz von Schülern und Schülerinnen in den Fokus zu nehmen. Darüber hinaus sollen auch die Fähigkeiten des Lernens und der Selbstorganisation, die sogenannten Lernstrategien, Raum finden“, heißt es in dem rot-grünen Antrag, der in der Bürgerschaftssitzung am 21. April beraten werden soll.

Schulen in Hamburg bieten mehr Unterricht an

Der zusätzliche Unterricht soll vor allem nachmittags angeboten, also in den schulischen Ganztag eingebaut werden. Für die Förderoffensive sollen pensionierte Lehrkräfte, Lehrerinnen und Lehrer in Teilzeit sowie Studierende der unterschiedlichen pädagogischen Berufe gewonnen werden. „Wir wollen sicherstellen, dass die Schulen diese wichtige und umfangreiche Aufgabe nicht on top bewältigen müssen, sondern Ressourcen und qualifiziertes Personal erhalten“, sagt Nils Springborn, schulpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion.

In erster Linie wird sich das Förderprogramm an die rund 20 bis 25 Prozent aller Schüler richten, die bereits vor der Pandemie die Mindestkompetenzen in den Kernfächern Deutsch, Englisch und Mathematik nicht erreicht haben. Der Unterricht soll in kleinen Gruppen von vier bis acht Schülern erfolgen.

Hälfte des Unterrichts 2020 wegen Corona ausgefallen

Auf Initiative Hamburgs verhandeln die Länder mit der Bundesregierung derzeit über eine finanzielle Unterstützung für ein bundesweites Lernförderprogramm zur Abmilderung der Pandemie-Auswirkungen. Schulsenator Ties Rabe (SPD) rechnet mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus Berlin, der in das neue Programm fließen könnte.

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 Im vergangenen Jahr ist für die Hamburger Schülerinnen und Schüler rund die Hälfte des regulären Unterrichts in der Schule ausgefallen. Seit Dezember waren die Schulen erneut weitgehend geschlossen. Derzeit nimmt etwa die Hälfte der Schülerinnen und Schüler am Wechselunterricht in der Schule teil. Bildungsexperten gehen davon aus, dass die aufgrund der Corona-Pandemie entstandenen Lernrückstände, aber auch die Folgen für die soziale und menschliche Entwicklung der Schüler zum Teil erheblich sind.

80 Unterrichtsstunden für zusätzliche Förderangebote

Um die Defizite möglichst frühzeitig abzubauen, hat die Schulbehörde bereits zweimal die sogenannten Lernferien durchgeführt, an denen mehr als 25.000 Schülerinnen und Schüler teilgenommen haben. Die Fraktionen von SPD und Grünen wollen jetzt mit einem Bürgerschaftsantrag das vermutlich umfangreichste Lernförderprogramm starten, das es bislang gegeben hat. Es richtet sich an alle Schülerinnen und Schüler, ist freiwillig und kostenlos.

„Die zusätzlichen Förderangebote sollen 80 Unterrichtsstunden umfassen und in den Jahren 2021 und 2022 realisiert werden“, heißt es in dem rot-grünen Antrag, der dem Abendblatt vorliegt. Berechnet auf ein Schuljahr bedeutet das zwei zusätzliche Schulstunden pro Woche. Die Lernangebote sollen unter dem Dach der Schule vorzugsweise am Nachmittag, also im Rahmen des schulischen Ganztags, realisiert werden. Die Schülerinnen und Schüler werden in kleinen Gruppen von vier bis acht Teilnehmern zusammengefasst.

Besonderes Augenmerk liegt auf den Kernfächern

SPD und Grünen geht es nicht ausschließlich um den Abbau von Lerndefiziten. „Bei den Förderangeboten ist auch das soziale Miteinander und die Stärkung der Sozialkompetenz von Schülern und Schülerinnen in den Fokus zu nehmen. Darüber hinaus sollen auch die Fähigkeiten des Lernens und der Selbstorganisation, die sogenannten Lernstrategien, Raum finden“, heißt es in dem rot-grünen Antrag, der in der Bürgerschaftssitzung am 21. April beraten werden soll.

Ein besonderes Augenmerk sollen die Schulen nach dem Willen von SPD und Grünen auf diejenigen Schüler legen, die schon vor der Pandemie die Mindestanforderungen in den Kernfächern Deutsch, Englisch und Mathematik nicht erreicht haben. Bildungsstudien haben ergeben, dass diese Gruppe 20 bis 25 Prozent aller Schüler umfasst. „Insbesondere Kinder und Jugendliche mit Lernschwächen und solche aus sozial benachteiligten Familien konnten ihre Fähigkeiten vermutlich nicht in dem Umfang entwickeln, wie es im Präsenzunterricht möglich gewesen wäre“, heißt es in dem rot-grünen Antrag.

Wer den Extra-Unterricht in Hamburg übernehmen soll

„Wir wollen allen Schülerinnen und Schülern ein individuelles und ganzheitliches Förderangebot machen. Dabei sehen wir die Lernentwicklungsgespräche als wirkmächtiges Instrument der Lehrer an, um gemeinsam mit Schülern und Eltern den Unterstützungsbedarf zu definieren“, sagt Ivy May Müller, schulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

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Für die Förderoffensive sollen pensionierte Lehrkräfte, aber auch aktive Lehrerinnen und Lehrer sowie Studierende der unterschiedlichen pädagogischen Berufe gewonnen werden. „Wir wollen sicherstellen, dass die Schulen diese wichtige und umfangreiche Aufgabe nicht on top bewältigen müssen, sondern Ressourcen und qualifiziertes Personal erhalten“, sagt Nils Springborn. schulpolitischer Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion.

Seit Monaten im Ausnahmezustand: Kinder und Jugendliche

„Kinder und Jugendliche leben seit Monaten in einem Ausnahmezustand: Ihre Bildung verlief und verläuft immer noch komplett anders als gewohnt. Wir wollen mit unserem Förderprogramm eine Möglichkeit schaffen, mit der die ausgebliebenen Bildungserlebnisse wieder Raum finden“, sagt Müller. „Wir lassen die Schülerinnen und Schüler in der belastenden Pandemie-Situation nicht allein“, sagt Springborn.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) möchte die diesjährigen Abiturprüfungen trotz steigender Infektionszahlen nicht absagen.
Finanzielle Unterstützung vom Bund? Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist zuversichtlich. © dpa picture alliance | Unbekannt

Auf Initiative Hamburgs hatte die Kultusministerkonferenz ein bundesweites Lernförderprogramm angeregt. Derzeit verhandeln die Länder mit der Bundesregierung über eine finanzielle Beteiligung des Bundes. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Verhandlungen zu einem guten Abschluss bringen und das Hamburger Lernförderprogramm mit einem zweistelligen Millionenbetrag aus Berlin gefördert wird“, hatte Schulsenator Ties Rabe (SPD) bereits Ende März gesagt.

1000 Lehramtsstudierende sollen in Hamburg unterrichten

Neben dem neuen 80-Stunden-Angebot und den Lernferien umfasst die coronabedingte Lernförderung ein weiteres Element: Zum kommenden Schuljahr wird die Schulbehörde in Kooperation mit der Zeit-Stiftung das Programm „Anschluss“ starten. Bis zu 1000 Lehramtsstudierende sollen dann zwischen 4000 und 5000 Schülerinnen und Schüler insbesondere vor und nach dem Übergang in die weiterführende Schule ebenfalls in kleinen Gruppen betreuen.