Hamburg. Unions-Chef Christoph Ploß will sich von AfD und Linkspartei gleichermaßen abgrenzen – doch die Realität sieht ganz anders aus.
Es war nur eine Randnotiz, aber eine mit Symbolgehalt. Während einer der vielen Bürgerschaftsdebatten zur Schieflage der HSH Nordbank im Jahr 2009 verließ der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) seinen Platz auf der Senatsbank und ging im Plenarsaal zum Abgeordneten Joachim Bischoff, setzte sich zu ihm auf die hölzerne Lehne und plauderte einen Moment mit ihm.
Das Ungewöhnliche daran war weniger, dass der Bürgermeister mit einem Parlamentarier sprach, sondern dass dieser der Linkspartei angehörte. Die noch junge Gruppierung war 2008 erstmals in die Bürgerschaft eingezogen und wurde von den Christdemokraten bis dato als „SED-Nachfolge-Partei“ noch argwöhnisch beäugt. Und nun setzte sich ausgerechnet der Bürgermeister in aller Öffentlichkeit zu einem Linken und gratulierte ihm augenscheinlich zu seiner Rede! Zwar hatte der gelernte Ökonom Bischoff das Talent, mit klugen und wortgewaltigen Beiträgen die Aufmerksamkeit der Parlamentarier zu gewinnen – auch derer, die nicht seiner Meinung waren. Aber diese Aufwartung war dann doch alles andere als alltäglich.
Verblüffende Beobachtung
Die Erinnerung an diese Episode hervorgerufen hat dieser Tage ein anderer Christdemokrat: CDU-Landeschef Christoph Ploß. Nachdem Anhänger des rechtspopulistischen US-Präsidenten Donald Trump, von diesem geradezu dazu angestachelt, das Kapitol in Washington gewaltsam gestürmt hatten, meldete sich Ploß per Pressemitteilung. Überschrift: „Bilder aus den USA sind Warnung auch für Deutschland!“ / „Brandmauer zur Linkspartei und AfD notwendiger denn je!“ Auch in Deutschland gebe es von Links- und Rechtsextremisten immer wieder Angriffe auf demokratische Strukturen und auf Institutionen, so Ploß, der exemplarisch die Antifa und Neo-Nazis nannte und daraus die Forderung ableitete, „eine klare Brandmauer zur Linkspartei und zur AfD zu ziehen“.
Verblüffend war für viele Beobachter dreierlei: Erstens, dass der CDU-Chef außer der AfD, die in der Tat kürzlich für eine ähnliche, wenn auch weniger folgenreiche Aktion im Bundestag verantwortlich war, auch die Linke mit dem Trump-Pöbel in einen Topf warf. Zweitens, dass er das an einem Tag tat, an dem nicht das linke, sondern das rechte Lager dafür einen Anlass geboten hatte. Und drittens, dass er die Partei gleich zweimal jeweils als erste nannte, wenn es um die Aufzählung der Feinde der Demokratie (aus seiner Sicht) ging.
Spott aus dem Regierungslager für Ploß
Die prompte Retourkutsche war ebenfalls deftig. „Wie verstrahlt muss man denn sein, ausgerechnet in so einem Moment gegen uns Linke zu hetzen?“, teilten Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft, mit und forderten ihrerseits „eine Brandmauer gegen politische Wirrköpfe“. Das Engagement von Antifaschisten mit den Gewaltexzessen von Neo-Nazis gleichzusetzen, sei seltsam: „Ob Sachsen-Anhalt oder Thüringen - immer wieder wirft die CDU sich begeistert irgendwelchen AfD-Faschisten an den Hals. Und wenn‘s dann schief geht, kommt das Hufeisen aus der Mottenkiste“, so die beiden Fraktionsvorsitzenden in Anspielung auf die Hufeisentheorie, wonach Links- und Rechtsextremismus im Prinzip gleichzusetzen sind.
Aus dem Regierungslager gab es vor allem Spott für Ploß. „Er tut ja gern jung“, schrieb SPD-Wirtschaftspolitiker Hansjörg Schmidt bei Twitter über den 35-Jährigen, „aber statt Sneaker trägt er Hufeisen.“ Und der Grünen-Abgeordnete und Ex-Justizsenator Till Steffen fragte: „Wie ist das bei der CDU in Hamburg? Wird nach solchen einschneidenden Ereignissen einmal nachgedacht oder gibt es für alle Anlässe nur zwei bis drei Texte, die ständig als Pressemitteilungen recycelt werden? Kommt mir irgendwie unterkomplex vor.“
Vor allem Parteifreunde wie die stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Christoph de Vries und Philipp Heißner verteidigten Ploß hingegen. Dieser habe nur eine Selbstverständlichkeit ausgesprochen: „Wer vor den Rändern von Links und Rechts warnt und dafür wie hier aus dem linken politischen Spektrum unsachliche Kritik erntet, hat alles richtiggemacht und braucht sich keine Vorhaltungen hinsichtlich seiner demokratischen Gesinnung machen zu lassen“, schrieb de Vries. Nun ist die Beobachtung, dass auch in der Linken manche(r) ein unklares Verhältnis zum Extremismus hat, keineswegs neu, sondern so alt wie die Partei selbst. In Hamburg am sichtbarsten wurde die Debatte 2017 geführt, nachdem sich Vertreter der Partei lange schwer damit taten, sich eindeutig von den Gewaltexzessen beim G20-Gipfel zu distanzieren.
„Brandmauer“ zur AfD gibt es in der Bürgerschaft tatsächlich
Dennoch gibt es im politischen Alltag einen fundamentalen Unterschied: Eine „Brandmauer“ zur AfD gibt es in der Bürgerschaft tatsächlich. Mit den Rechtsauslegern möchte niemand etwas zu tun haben. Zwischen CDU und Linkspartei existiert diese „Mauer“, die sich Ploß wünscht, hingegen nur auf dem Papier. „Für die CDU gibt es – aus unterschiedlichen Gründen – keine inhaltliche Zusammenarbeit mit AfD und Linken“, heißt es in einem Beschluss der Fraktion. Einschränkung: „In Verfahrensfragen gebietet es der parlamentarische Umgang, miteinander im Gespräch zu sein“ und auch die Minderheitenrechte wahrzunehmen.
Die Praxis sieht hingegen so aus: Mit der AfD wird keine gemeinsame Sache gemacht, mit der Linken schon. So beantragten SPD, Grüne, CDU und Linkspartei Ende März, also kurz nach der Wahl, gemeinsam (!), dass das Bürgerschaftspräsidium von sechs auf vier Vize-Präsidenten verkleinert wird – im Ergebnis sind dort nun alle Fraktionen vertreten, außer der AfD.
Im Juni beschlossen die gleichen Fraktionen gemeinsam (!) angesichts der erdrückenden Zweidrittel-Mehrheit von Rot-Grün eine „Stärkung der parlamentarischen Minderheitsrechte“. Seitdem kann zum Beispiel ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) mit einem Fünftel der Abgeordneten beschlossen werden statt wie vorher mit einem Viertel. Hätten vorher CDU, Linke und AfD gemeinsame Sache machen müssen, kann seitdem auch das Duo aus CDU und Linkspartei so einen Beschluss fassen. Zufälle gibt’s …
Zusammenarbeit auf Sachebene
Diese neue Möglichkeit haben sie prompt genutzt: Ende Oktober beantragten beide Fraktionen gemeinsam (!) die Einsetzung des PUA Cum-Ex, der aufklären soll, inwiefern die Stadt der Warburg-Bank möglicherweise Millionen an Steuern erlassen hat. Dass die Komplexität der Cum-Ex-Geschäfte und die Formulierung der aufzuklärenden Punkte intensive Vorarbeit nötig machten, liegt auf der Hand. So berichtete der Haushaltspolitiker der Linken, David Stoop, in der Bürgerschaft auch freimütig über die „Fragestellung, die wir gemeinsam mit der CDU ausgearbeitet haben“.
Ist das etwa keine Zusammenarbeit? Nein, befand Ploß auf Abendblatt-Nachfrage. „Keine Kooperation mit AfD und Linkspartei – diese Haltung gehört zur DNA der CDU“, betonte der CDU-Chef erneut. „Die von den Linken hofierte Antifa toleriert Gewalt gegen Polizisten oder ruft sogar dazu auf. Daher kann es für die CDU keine inhaltliche Zusammenarbeit mit dieser Partei geben.“ Und was war das bei der Präsidiumszusammensetzung, bei der Anpassung des PUA-Gesetzes und beim PUA selbst? „Parlamentarische Minderheitenrechte müssen davon unabhängig natürlich weiterhin wahrgenommen werden“, so Christoph Ploß.
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In den beiden Fraktionen windet man sich weniger. „Das Verhältnis zu den CDU-Abgeordneten ist solide und professionell – gerade weil wir gemeinsam den Gegenpol zur absoluten Mehrheit von Rot-Grün bilden“, sagt Linken-Fraktionschefin Boeddinghaus. Sie betonte aber auch: „Dennoch kennen wir unsere Differenzen und Grenzen.“
Ähnlich äußern sich CDU-Abgeordnete, wenn auch hinter vorgehaltener Hand: Auf der Sachebene gebe es, bei allen politischen Differenzen, durchaus eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, heißt es. Dabei komme es oft auf Personen und Themen an, wie gut diese laufe. Dass etwa CDU und Linke beim Thema Schulen in Corona-Zeiten ähnliche Kritik am Senat äußern, ist für jedermann sichtbar. In der Haushalts- oder Innenpolitik kommt man hingegen kaum zusammen.
So wie ihr Parteichef, räumen mehrere Abgeordnete ein, hätten sie sich daher nicht über die Linke geäußert. Vielleicht, sagte einer, hätte er sich besser gar nicht geäußert: „Man muss als Hamburger Provinzpolitiker nicht jedes Thema kommentieren.“