Hamburg. Anders als Schwarz-Grün in der Finanzkrise vor zehn Jahren setzt Rot-Grün im Kampf gegen Corona auf Investitionen.

Wenn die Regierenden im Hamburger Rathaus etwas wirklich Wichtiges in einem angemessenen Rahmen verkünden wollen, wählen sie dafür gern den Kaisersaal. So auch an diesem Herbsttag. Der Bürgermeister saß mit ernster Mine vor dem düsteren Ölgemälde eines Vorgängers, an seiner Seite den Finanzsenator. Ein hartes Sparprogramm in Höhe von 510 Millionen Euro pro Jahr habe der Senat soeben beschlossen, verkündeten beide im Anschluss an eine dreitägige Haushaltsklausur.

Zwar werde der Einspareffekt erst in einigen Jahren voll wirksam, aber dennoch sei man zufrieden: „Schuldenabbau und Haushaltssanierung sind aktive Zukunftsgestaltung“, sagte der Bürgermeister, der an jenem 22. September 2010 Christoph Ahlhaus hieß, und an dessen Seite außer Finanzsenator Carsten Frigge (beide CDU) auch die Zweite Bürgermeisterin Christa Goetsch (Grüne) saß.

Zwar ging es gar nicht um „Sparen“ im engeren Sinn, sondern nur darum, die Ausgaben und die ohnehin nötige gigantische Kreditaufnahme nicht noch weiter ausufern zu lassen. Doch dass vor dem Hintergrund der Finanzkrise und eines historischen Einbruchs der Steuereinnahmen der Gürtel enger geschnallt werden muss, sah damals auch die oppositionelle SPD so. Deren finanzpolitischer Sprecher, der auch in Regierungskreisen einen guten Ruf genoss, hatte die schwarz-grüne Koalition mehrfach aufgefordert, das Ruder herumzureißen: „Statt endlich mit dem Sparen an den richtigen Stellen zu beginnen, setzen CDU und GAL die Ausgaben hoch und vergrößern das Defizit“, hatte er im Juli in der Bürgerschaft kritisiert. Sein Name: Peter Tschentscher.

Wieder Krise, wieder ein Loch im Etat, wieder Kaisersaal

Fast auf den Tag genau zehn Jahre und einen Monat nach jenem denkwürdigen Auftritt von Ahlhaus, Frigge und
Goetsch trat nun der Bürgermeister Tschentscher in vergleichbarer Situation an die Öffentlichkeit. Wieder Krise – statt Lehman Brothers nun Corona –, wieder brechen die Steuereinnahmen um Milliarden ein, wieder hat sich der Senat zur Haushaltsklausur getroffen, wieder ein Auftritt im Kaisersaal.

"Das ist Legendenbildung": Tschentscher verärgert über Frage (20.10.):

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Und doch war einiges anders. Abgesehen davon, dass der Bürgermeister auf Begleitung des grünen Koalitionspartners verzichtete und nur Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) an seiner Seite hatte und dass die Protagonisten diesmal an der Längs- und nicht an der Stirnseite des Saals Platz nahmen, war die politische Botschaft um 180 Grad anders.

Trotz Steuermindereinnahmen von fast fünf Milliarden bis 2024 werde der Senat „die Schwerpunkte des Regierungsprogramms konsequent weiterverfolgen“, betonte Tschentscher. Und Dressel erneuerte das Senats-Mantra, dass man „nicht gegen die Krise ansparen“ wolle.

Statt zu sparen wird investiert

Mehr als vier Milliarden Euro neue Schulden seien im neuen Doppelhaushalt 2021/22 geplant, und zwar nicht nur, um die Einnahmelücke auszugleichen und die krisenbedingt höheren Kosten finanzieren zu können – etwa für Gesundheitsämter, Testzentren und Sozialausgaben, – sondern auch, um als Stadt die Konjunktur mit einem fast eine Milliarde Euro schweren „Wirtschaftsstabilisierungsprogramm“ anzukurbeln. Also: Statt zu sparen wird investiert.

Auf die Frage, warum Rot-Grün heute völlig anders auf die Krise reagiert als seinerzeit Schwarz-Grün, sind sich die Koalitionspartner relativ einig – obwohl der eine damals beteiligt war und der andere nicht. „Die haben damals die Stadt angezündet und nichts erreicht“, erinnert sich ein führender Sozialdemokrat. Und ein ranghohes Mitglied der Grünen räumt selbstkritisch ein: „Wir haben für viel Aufruhr gesorgt, aber nur wenig umgesetzt.“

Das trifft es zwar im Kern, doch ganz so einfach war es dann doch nicht. Das zeigt ein Blick auf die damals von Ahlhaus präsentierte „Liste des Grauens“: Tatsächlich ist die umstrittenste Maßnahme, die Schließung des Altonaer Museums, ebenso nie umgesetzt worden wie andere angekündigte Einschnitte im Kulturbereich, die sogar zum Rücktritt von Schauspielhaus-Intendant Friedrich Schirmer geführt hatten – was aber im Wesentlichen daran lag, dass Schwarz-Grün im November 2010 zerbrach und der kurz darauf abgewählte Senat Ahlhaus nicht mehr dazu kam, die Maßnahmen umzusetzen. Das gilt auch für die finanzielle Beteiligung von Proficlubs an Polizeieinsätzen, die Auflösung der Fahrradstaffel der Polizei, die zumindest angedachte Abschaffung der Bezirke und vieles mehr.

Kulturtaxe gilt bis heute

Die kräftige Kürzung des Weihnachtsgeldes für Beamte, mit einem Volumen von 100 Millionen Euro der härteste Einschnitt, wurde dagegen vom neuen Scholz-Senat zwar halbiert, aber dennoch umgesetzt. Eine andere Maßnahme wurde sogar erst von der SPD richtig mit Leben gefüllt und gilt bis heute: die Kulturtaxe. Diese „Bettensteuer“ auf touristische Übernachtungen wurde Anfang 2013 eingeführt, und obwohl sie nicht fünf Prozent beträgt, wie noch von der CDU geplant, sondern nur zwei Prozent des Zimmerpreises, liegen die jährlichen Einnahmen mit zuletzt 16 Millionen Euro sogar über den Erwartungen.

Dass derartige Kürzungen und Steuererhöhungen heute bei der Krisenbewältigung (noch) keine Rolle spielen, hat auch mit den Ereignissen zwischen den beiden Krisen zu tun. Im Unterschied zur aktuellen Corona-Lage war die Finanzkrise von 2010 bereits am Abflauen, die Steuereinnahmen stiegen schon wieder, und es ging „nur“ noch um die Bewältigung der finanziellen Folgen. Tatsächlich erholte sich die Wirtschaft viel schneller als erwartet, der neue SPD-Senat verzichtete auf harte Einschnitte und sanierte den Haushalt durch eine rigorose Begrenzung des Ausgabenanstiegs – die berühmten 0,88 Prozent.

„Wir kommen aus einer enorm starken wirtschaftlichen Lage“

Sogar die Einlösung von Wahlversprechen war drin: So wurde die massive Kita-Gebühren-Erhöhung, die Schwarz-Grün unabhängig von der Sparklausur noch zu Ole von Beusts Zeiten beschlossen hatte, von der SPD nicht nur rückgängig gemacht, sondern die Gebühren für die fünfstündige Grundbetreuung wurden gleich ganz abgeschafft, ebenso wie die Studiengebühren.

Dank der brummenden Konjunktur erwirtschaftete die Stadt dennoch von 2014 bis 2019 hohe Überschüsse, insgesamt mehr als vier Milliarden. Auch wenn das Geld nicht auf dem Sparbuch liegt, sondern investiert oder zum Schuldentilgen genutzt wurde, schafft es heute doch Spielräume.

Denn die Hamburger Schuldenbremse gestattet es, dass die Überschüsse von einst in schlechten Zeiten quasi in Kredite umgewandelt werden dürfen – die dann in besseren Zeiten wieder getilgt werden müssen. „Wir kommen aus einer enorm starken wirtschaftlichen Lage“, fasste Tschen­tscher am Mittwoch zusammen, warum man sich derzeit neue Kredite „leisten“ kann. Am Rande: Dass die Zinsen seit 2010 nahezu auf null gesunken sind, spielt natürlich auch eine Rolle.

Von 2022 an muss Rot-Grün den Gürtel enger schnallen

Doch während die damalige Krise viel schneller und nachhaltiger überwunden wurde als selbst von Optimisten erhofft, könnte es diesmal auch anders herum laufen. Denn erstens ist unabsehbar, wie lange Corona noch sein Unwesen treiben wird, und zweitens ist den Beteiligten schon jetzt klar, dass die Haltung „Wir sparen nicht gegen die Krise an“ endlich ist. Denn von 2022 an wird der Ausgaberahmen der Stadt schrumpfen.

Das hat mit dem Hamburger Finanzkonzept zu tun, wonach sich die erlaubten Ausgaben von den tatsächlichen Einnahmen der vergangenen 14 Jahre ableiten – und die sinken halt gerade massiv. Um mindestens 250 Millionen Euro wird Rot-Grün dann den Gürtel enger schnallen müssen. Wo und wie, ist noch offen.

Vielleicht braucht es dann auch eine Sparklausur wie 2010 – mit anschließender Verkündung im Kaisersaal.