Hamburg . Der Chef des Bezirksamts Mitte setzt dabei auf Sozialpolitik. Für den Wahlkampf will er sich beurlauben lassen.

In seinem Büro im zehnten Stock des Bezirksamts Mitte stehen der UN-Blauhelm – Erinnerung an eine Mission mit den Friedenstruppen der Vereinten Nationen – und ein Foto des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau direkt nebeneinander. „Er ist mein Vorbild“, sagt Bezirksamtschef Falko Droßmann (46). Der Sozialdemokrat hat große Pläne. Er will für die SPD bei der Bundestagswahl 2021 die Nachfolge von Johannes Kahrs als Direktkandidat im Wahlkreis Hamburg-Mitte antreten. Kahrs hatte im Mai seinen Rückzug von allen politischen Ämtern erklärt.

Herr Droßmann, die SPD dümpelt bundesweit in Umfragen zwischen 16 und 17 Prozent. Sie sind Oberstleutnant der Luftwaffe. Militärisch könnte man Ihre Kandidatur-Pläne auch ein Himmelfahrtskommando nennen. Warum tun Sie sich das?

Falko Droßmann Es gibt keinen Sinn, in eine Schlacht zu ziehen, wenn man weiß, dass man sie nicht gewinnen kann. Ich bin aber der Überzeugung, durch meine Erfahrung und meine politischen Themen sehr wohl Menschen überzeugen zu können, der richtige Kandidat zu sein.

Johannes Kahrs war 1998 noch mit 50,9 Prozent der Erststimmen erstmals in den Bundestag eingezogen. Bei der Wahl 2017 konnte er mit 30,9 Prozent nicht einmal jeden dritten Wähler überzeugen. Und Sie müssten, so Sie Ihre Partei nominiert, auch noch ohne Amtsbonus antreten.

Das sind strategische, taktische Überlegungen, die überlasse ich gern anderen. Im Übrigen muss ich zunächst mal meine Partei überzeugen.

Mit Meryem D. Celikkol und Yannick Regh haben bereits zwei Konkurrenten ihre Bereitschaft zur Kandidatur hinterlegt. Das kann bis zur parteiinternen Wahl des Direktkandidaten im November zu einer Schlammschlacht führen.

Mit beiden mache ich seit Jahren Politik. Beide gehören der Bezirksversammlung Mitte an. Ich bin mir sicher, dass wir während der Ausscheidung, aber auch danach, gut miteinander klar kommen werden. Am Ende werden wir hier eine Kandidatin oder einen Kandidaten haben, hinter dem sich alle versammeln müssen. Sonst können wir es gleich sein lassen.

Das Klima in der SPD Hamburg-Mitte ist nach dem überraschenden Kahrs-Rückzug nicht das Beste. So wird noch immer der Maulwurf gesucht, der die illegale Party des Innensenators Andy Grote nach der Bürgerschaftswahl durchgestochen hat.

Natürlich war es für uns alle eine Zäsur, als Johannes Kahrs von allen Ämtern zurückgetreten ist. Dann muss man nach 21 Jahren auch mal einer Organisation erlauben, sich neu zu erfinden. Das ist völlig normal. Und zu Andy Grote: Er hat sich mehrfach für seinen Fehler entschuldigt. Als Senator macht er einen großartigen Job. Jetzt sollte es mal wieder um seine Leistungen gehen.

Sind Sie als Bezirksamtschef nach viereinhalb Jahren amtsmüde?

Nein, im Gegenteil. Deshalb habe ich ja auch so lange überlegt. Wenn ich nach Berlin gehen darf, gebe ich die Leitung des vielleicht nicht größten, aber auf jeden Fall spannendsten Bezirks auf.

Was treibt Sie an?

Ich habe mich neben vielen anderen Themen intensiv mit Sozialpolitik beschäftigt. Ich sehe, wie hart viele Menschen in diesem Bereich arbeiten. Und ich sehe, wie wenig dennoch bei den Menschen ankommt, die das wirklich brauchen. Es geht um sozialdemokratische Kernthemen wie Rente, Gesundheit, Pflege, Grundsicherung und Chancengerechtigkeit. Ja, wir haben hier viel erreicht, aber wir müssen über grundsätzliche Dinge reden. Und wenn Sie Johannes Kahrs ansprechen. Er war für Mitte ein sehr guter Bundestagsabgeordneter. Aber er hat sich um ganz andere Themen gekümmert.

Sie gelten als ein enger Vertrauter. Er war Ihr Trauzeuge, Sie waren seiner.

Das ändert nichts daran, dass Johannes am Anfang Verteidigungs-, dann Haushaltspolitiker war. Und ich bin leidenschaftlicher Sozialpolitiker, dies sind unterschiedliche Themenschwerpunkte. Ich biete mich zunächst meiner Partei, dann hoffentlich den Wählern, mit dem Schwerpunkt soziale Gerechtigkeit an.

Konjunktur haben aber andere Themen, etwa der Klimawandel.

Da haben Sie Recht. Aber das wird sich ändern, ganz sicher. Soziale Gerechtigkeit wird das Thema der Zukunft. Gucken Sie sich meinen Bezirk an. In Horn, in Billstedt, in Wilhelmsburg sind immer mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen. Und schauen Sie nach Deutschland. Wir haben hier sechs Millionen Mini-Jobs, 91 Prozent haben Frauen inne. Dann die Befristerietis, sowohl in den Firmen wie im öffentlichen Dienst. Es gibt fast nur noch befristete Stellen. Dazu kommt das Lohngefälle. Ich könnte Hunderte von diesen Dingen nennen, über die wir endlich diskutieren müssen. Zumal die Folgen der Pandemie noch ganz viele Menschen in wirtschaftliche Nöte stürzen werden.

Dafür taucht das Wort Klima in Ihrem Bewerbungsflyer nicht ein einziges Mal auf. Aus der Öko-Bewegung werden Sie mit Ihrem Programm niemanden begeistern.

Moment, meine Kampagne hat noch gar nicht begonnen. Natürlich ist Klima wichtig, natürlich ist Wohnen wichtig. Aber das kann man in einem einseitigen Flyer nicht alles darstellen.

In Berlin wäre Ihr Einfluss geringer. Da sitzen Sie in irgendwelchen Ausschüssen. Im Bezirk an den Schalthebeln der Macht.

Natürlich werde ich nicht am ersten und auch nicht am hundertsten Tag in Berlin Paragrafen aus dem Sozialgesetzbuch ändern können. Aber es geht um grundsätzliche Fragen, die wir nur im Bund lösen können. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Eine Familie hat Probleme bei der Erziehung ihrer Kinder. Das bekommt jemand mit, meldet das dem Jugendamt. Das Jugendamt beauftragt einen Träger mit Hilfen zur Erziehung. Dieser Träger berät dann die Familie. Für diese Dienstleistung geben wir im Bezirksamt Mitte pro Jahr 70 Millionen Euro aus. Das Geld fließt nur so lange, wie ein Beratungsbedarf da ist. Die Träger bekommen also nur so lange Geld, wie es Familien schlecht geht. Das ist ein Kernproblem des Systems. Ist es wirklich richtig, dass mit den Problemen der Menschen Geld verdient wird? Es geht viel zu wenig um Prävention. Wie machen wir Quartiere so stabil, dass wir bestimmte Leistungen nicht mehr brauchen. Darüber müssen wir in Berlin reden.

Es gibt also aus Ihrer Sicht genügend Geld in den sozialen Sicherungssystemen. Es muss nur anders verteilt werden.

Genau das habe ich immer gesagt. Derzeit schaffen wir keine Anreize, kein Selbstbewusstsein. Vielen Menschen nimmt dieses System auch die Würde. Wir doktern an den Symptomen rum, statt die Ursachen zu bekämpfen.

Werden Sie sich für den Wahlkampf beurlauben lassen, wenn sich Ihre Partei für Sie entscheiden sollte?

Meine Amtszeit als Bezirksamtsleiter würde ja ohnehin vier Monate nach der Bundestagswahl enden. Daher käme eine Kandidatur zu einem günstigen Zeitpunkt. Aber natürlich würde ich mich für einen Wahlkampf beurlauben lassen, ohne Bezüge und Sachleistungen. Ob das acht oder zwölf Wochen vor der Wahl ist, muss man sehen. Das Bezirksamt ist zu einer neutralen Position verpflichtet, daran habe ich mich immer gehalten.

Werden Sie versuchen, sich über einen guten Platz auf der Landesliste abzusichern?

Nein, ich setze auf das direkte Mandat der Wähler. Sonst lasse ich es lieber.