Hamburg. Heute stellt sich Bürgermeister Peter Tschentscher in der Bürgerschaft zur Wiederwahl und beruft die Regierungsmitglieder.

Diese Wahl geht in die Geschichtsbücher der Stadt ein: weniger, weil es mit knapp vier Monaten ungewöhnlich lange gedauert hat von der Bürgerschaftswahl bis zur Bildung einer neuen rot-grünen Koalition und damit zur Wahl des Ersten Bürgermeisters an diesem Mittwoch. Sondern, weil mit dem Sozialdemokraten Peter Tschen­tscher vermutlich erstmals seit der Einweihung des Rathauses 1897 ein Bürgermeister nicht im Plenarsaal des Parlaments gewählt wird, sondern im Großen Festsaal – hundertprozentig sicher ist die Aktenlage dazu allerdings nicht.

In den repräsentativen Saal ist die Bürgerschaft seit Ende März wegen der coronabedingten Abstandsregeln umgezogen. Hatten bislang nur jeweils gut die Hälfte der Abgeordneten an den Sitzungen teilgenommen, kommen heute wieder alle 123 Parlamentarier zusammen. Denn die Verfassung schreibt vor, dass die Bürgerschaft den Regierungschef „mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitgliederzahl“ wählt, also mit mindestens 62 von 123 Stimmen. Trennschutzwände zwischen den Plätzen ermöglichen die volle Besetzung. Besucher sind aber weiterhin nicht zugelassen – was besonders für die neuen Senatsmitglieder bedauerlich ist.

Im Anschluss an seine Wahl wird Tschentscher seine elf Senatsmitglieder berufen und die Bürgerschaft um deren Bestätigung bitten – en bloc. Dass darunter nur vier Frauen sind und auf SPD-Seite gar nur zwei von acht Senatsposten weiblich besetzt sind, hatte in der SPD für Protest gesorgt. Letztlich gab es aber ebenso wie bei den Grünen eine große Zustimmung zum Koalitionsvertrag und zum Personaltableau.

Peter Tschentscher

Als der langjährige Finanzsenator, der dem Senat seit 2011 angehört, im März 2018 die Nachfolge von Olaf Scholz als Erster Bürgermeister antrat, gab es selbst in seiner SPD einige Zweifler. Doch Tschentscher hat sich mit seiner sachlichen und bedächtigen Art große Anerkennung in der Bevölkerung erworben.

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Dass der 54-Jährige seine Partei mit einem überraschend offensiven Wahlkampf nahe an die 40-Prozent-Marke geführt hat und wie er die Stadt mit ruhiger Hand durch die Corona-Krise lotst, hat den habilitierten Labormediziner nahezu unumstritten gemacht – selbst die unterirdische Frauenquote im Senat ließ die SPD ihm durchgehen. Seine größte Herausforderung bleibt, Hamburg durch die größte Wirtschaftskrise seit Kriegsende zu steuern und parallel den Klimaschutz voranzutreiben. dey

Anjes Tjarks

Als Senator für Verkehr und Mobilitätswende ist der Grüne der Aufsteiger im Senat. Denn diese Behörde überhaupt zu schaffen und damit die Zuständigkeit über viele wichtige Themen der Grünen zu bekommen war eines der zentralen Ziele der Partei. Entsprechend groß sind die Erwartungen an den bisherigen Fraktionschef.

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Der 39-Jährige promovierte Lehrer soll Hamburg nicht nur zur „Fahrradstadt“ machen, sondern generell seinem Titel entsprechend eine „Mobilitätswende“ fördern, weg vom Auto, hin zu mehr Rad-, Fußgänger- und öffentlichem Nahverkehr. Die Fallstricke sind zahlreich: Baustellen-Chaos, Staus, aufbegehrende Autolobby, komplizierte Großprojekte wie die neue U 5, S 32 und, und, und. Sein gutes Verhältnis zur SPD und die Bereitschaft zum Kompromiss dürften Tjarks helfen. dey

Ties Rabe

Eine Rekordmarke hat der Senator für Schule und Berufsbildung schon erreicht: Mit einer Amtszeit von neun Jahren ist Ties Rabe (SPD) dienstältester Kultusminister der 16 Bundesländer. Mit dem Start in die neue Legislaturperiode kann der 59 Jahre alte Lehrer den nächsten Titel ansteuern: den des Schulsenators mit der längsten Amtszeit.

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Der Posten galt einmal als Schleudersitz, doch in den vergangenen Jahren war es an den traditionell kritikfreudigen Schulen relativ ruhig. Das hängt nicht zuletzt auch mit dem beharrlichen und kompetenten Auftreten Rabes zusammen. Seine größte Herausforderung ist der enorme Anstieg der Schülerzahlen in den kommenden Jahren. pum

Katharina Fegebank

Dass Hamburg als Wissenschaftsstadt in der ersten Liga spielt, ist auch dem großen Engagement der Wissenschaftssenatorin zu verdanken, die seit April 2015 im Amt ist. Nun warten Herausforderungen auf Fegebank, bei denen die 43-Jährige sich ganz besonders als Netzwerkerin, Motivatorin und Moderatorin einbringen muss, weil so viele Akteure mitmischen.

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Das gilt etwa für den Ausbau der Infektionsforschung und die Einrichtung eines neuen Naturkundemuseums. Weitere Punkte auf ihrer Agenda: der geplante Gesundheitscampus der HAW in Oberbillwerder, der Aufwuchs der Technischen Universität und ein Zukunftskonzept für die HafenCity Uni. mha

Michael Westhagemann

Seit November 2018 ist Michael Westhagemann Wirtschaftssenator. Der 62-jährige gebürtige Westfale löste Frank Horch ab und kommt wie sein Vorgänger aus der Wirtschaft. Der gelernte Elektriker arbeitete lange Zeit für Siemens, leitete dort das Norddeutschland-Geschäft. Schon damals setzte er sich für erneuerbare Energien ein.

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Als parteiloser Senator auf SPD-Ticket macht er sich nicht nur für den Hafen, die Luftfahrt, den Mittelstand und die vielen Start-ups in der Stadt stark. Besonders große Bedeutung misst er Wasserstoff als Energieträger der Zukunft bei. Bei dieser Technologie will er Hamburg zum Vorreiter machen. Dass seine Behörde den Verkehrsbereich an die Grünen verloren hat, dürfte er verschmerzen. Denn damit ist er nicht länger „Stau-Senator“ . ode

Andy Grote

Nein, eine wirklich ruhige Zeit hat Andy Grote seit seinem Amtsantritt als Innensenator im Januar 2016 kaum erlebt – aber nicht nur in der SPD wird dem 51-Jährigen bescheinigt, selbst G-20-Gipfel und die akute Corona-Krise sehr seriös und umsichtig durchstanden zu haben. Mit einer Kriminalität auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren kann Grote im Kernbereich seiner Behörde auf eine hervorragende Bilanz verweisen.

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Die Gefahr durch Islamisten, Links- und Rechtsextremisten nimmt jedoch weiter zu, im Dezember wurde Grote selbst Opfer eines Anschlags. Mit Warnungen vor dem Verlust der Diskurskultur kämpft der Innensenator gegen die politische Großwetterlage. Seine Achillesferse und größte Baustelle bleibt die teils eklatant veraltete Technik der Polizei. crh

Melanie Leonhard

Der Titel Senatorin für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration sagt schon alles: Hatte Melanie Leonhard als SPD-Landesvorsitzende und Chefin der früheren BASFI, die sie seit Oktober 2015 führt, schon bisher eine herausgehobene Stellung im Senat, wurde diese noch einmal gestärkt, weil der Bürgermeister der 42-Jährigen zusätzlich das Amt für Gesundheit übertragen hat.

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Damit verwaltet die promovierte Historikerin nicht nur den größten Etat von rund drei Milliarden Euro, sondern ist außer für Kitas, Flüchtlinge und Arbeitslose (nur einige Beispiele) zudem für die Bewältigung der Corona-Krise zuständig. Hier liegen auch die größten Herausforderungen: Es gilt, nicht nur das Virus selbst aufzuhalten, sondern auch den Anstieg der Arbeitslosenzahl in Grenzen zu halten und die sozialen Folgen abzufedern. dey

Andreas Dressel

Als langjähriger Fraktionschef in der Bürgerschaft, Chef des größten SPD-Kreisverbands Wandsbek und Finanzsenator ist Andreas Dressel ein Schwergewicht im Senat, dem er seit seit März 2018 angehört. Allerdings ändert sich die Rolle des 45-Jährigen künftig: Konnte er bisher dank sprudelnder Steuern das Geld großzügig verteilen und dennoch Rekordüberschüsse vermelden, klafft nun ein riesiges Loch im Etat.

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Auch wenn der Senat nicht gegen die Krise ansparen will, wird der promovierte Jurist häufiger Nein sagen müssen – was seine Stellung eher noch stärkt. Ein Dämpfer war dagegen, dass er die Zuständigkeit für die Bezirke an die Wissenschaftsbehörde abgeben muss, denn so engagiert wie Dressel hat noch niemand die Rolle des „Bezirkssenators“ ausgefüllt. dey

Jens Kerstan

Von heute an darf der streitbare Grüne sich Senator für Umwelt, Klima und Energie nennen. Er ist durch den neuen Behördennamen nun offiziell auch für das Jahrhundertthema Klimaschutz zuständig. In den Koalitionsverhandlungen hat sich der 54-Jährige zudem die bisher in der Wirtschaftsbehörde angesiedelte Verantwortung für Landwirtschaft gesichert.

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Auch für das Hygieneinstitut ist er nun zuständig, also für Lebensmittelkon­trollen, Krankenhaushygiene und Umweltüberwachung. Das schwierigste Vorhaben der Wahlperiode dürfte für Kerstan der Umbau der Fernwärmeversorgung sein – mit dem Ziel, das Kohlekraftwerk Wedel abzuschalten. Ebenso ehrgeizig ist der Plan, das Kraftwerk Moorburg zu einem Wasserstoff-Elektrolyseur umzurüsten. jmw

Carsten Brosda

„Alternativlos“ ist eine Vokabel, die zur Entscheidung passt, ihn als Senator für Kultur und Medien zu behalten. Die Spezialtalente des promovierten Kulturwissenschaftlers: rhetorisch geschmeidig, vielseitig interessiert, belesen und selbst schreibend. Bei vielen seiner Termine war der 45-Jährige kurz davor, an mehreren Orten gleichzeitig Grußworte frei und druckreif zu sprechen.

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Seit er im Februar 2017 Barbara Kisselers Nachfolger wurde, hat sich in seinem Aufgabenbereich einiges beruhigt. Die Elbphilharmonie war chronisch ein voller Erfolg. An langfristigen Problemen wie der Kalibrierung der Museumslandschaft ist auch er dran, viele Verträge von Intendanten und Intendantinnen verlängerte er. Vieles lief, vieles davon glatt. Wie es der Kultur wegen und nach Corona geht? Eine Aufgabe, um die ihn niemand beneidet. jomi

Anna Gallina

Die neue Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz führt ein Ressort, das es in dieser Kombination noch nicht gegeben hat. Die Grünen-Landesvorsitzende Anna Gallina, die dem Senat erstmals angehört, ist nach sehr langer Zeit die erste Nicht-Juristin auf dem Chefsessel der Justizbehörde. Eine der wichtigsten Aufgaben der 36-Jährigen wird es sein, Richter, Staatsanwälte und weitere Behörden­juristen von ihrem Einsatz und ihrer Arbeit zu überzeugen.

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Als Starthypothek ist zu werten, dass gegen Gallina noch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren wegen übler Nachrede und Verleumdung läuft. Herausforderung: Trotz Schaffung von rund 250 zusätzlichen Stellen für Gerichte und Staatsanwaltschaften seit 2015 sind die Arbeitsbelastung hoch und die Verfahrensdauern lang. pum

Dorothee Stapelfeldt

Viele Beobachter hatten erwartet, dass Dorothee Stapelfeldt nach neun Jahren im Senat und bald 64 Jahren in den Ruhestand treten würde. Doch der Bürgermeister schätzt die Dienste der Stadtentwicklungssenatorin ebenso wie die Wohnungswirtschaft – mit der die promovierte Kunsthistorikerin verlässlich für die versprochenen 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr sorgt.

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Diese Herausforderung wird noch größer: Der Platz in der Stadt wird weniger, die Verteilungskonflikte größer, zumal künftig sogar 4000 Sozialwohnungen jährlich geplant sind. Auch die Entwicklung des Kleinen Grasbrooks und das Thema „autoarme City“ werden die Senatorin fordern. dey

Bürgermeister Tschentscher stellt den Koalitionsvertrag vor:

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