Hamburg. SPD und Grüne wollen den Koalitionsvertrag und die Senatsbesetzung absegnen. Doch vor allem Sozialdemokratinnen leisten Widerstand.
Derart offene Kritik muss sich ein Bürgermeister selten anhören. „Damit verstößt du gegen unsere Grundsätze“, schimpfte eine Delegierte. Und eine andere monierte: „Ich dachte immer, dass Rot-Grün für Frauenförderung steht.“ Was war passiert? Bei der Bildung des neuen, rot-grünen Senats war das selbst gesteckte Ziel, diesen zur Hälfte mit Frauen zu besetzen, gründlich verfehlt worden. „Eine unschöne Nachricht“, räumte der Bürgermeister daher ein. „Die 50-Prozent-Frauenquote haut nicht mehr hin. Es ist nicht gelungen, und das ist nicht gut“, sagte Olaf Scholz.
Gut fünf Jahre ist es her, dass der heutige Bundesfinanzminister vor die SPD-Delegierten trat, und sie um Zustimmung zur Koalition mit den Grünen sowie zu einem Senat zu bitten, dem nur vier Frauen, aber acht Männer angehören sollten – ihn selbst eingerechnet.
Rot-Grün hat schlechte Frauenquote
Wie heikel diese Frage ist, hatte Scholz schon erkannt, bevor er überhaupt Bürgermeister wurde. „Klar ist: Der Senat wird hälftig aus Frauen und Männern bestehen“, hatte er kurz vor der Bürgerschaftswahl im Februar 2011 angekündigt – und danach auch fast Wort gehalten. Unter den zehn Senatsmitgliedern, die er im Frühjahr berief, waren tatsächlich fünf Frauen. Sich selbst hatte Scholz zwar nicht mitgerechnet, aber sei’s drum, an der Front hatte er vier Jahre Ruhe.
Das änderte sich 2015 jedoch schlagartig – wozu kurioserweise auch die sonst so auf Gleichberechtigung pochenden Grünen beitrugen, indem sie für ihre drei Senatsposten mit Katharina Fegebank nur eine Frau nominierten. Angesichts der heftigen Kritik versprach Scholz, den Frauenanteil baldmöglichst zu erhöhen: „Das ist der selbst gestellte Auftrag.“ Erfüllt hat er den nicht.
Zwar wurde das Verhältnis ausgeglichener, als Melanie Leonhard im Herbst 2015 den scheidenden Sozialsenator Detlef Scheele ablöste. Doch nach dem Tod von Kultursenatorin Barbara Kisseler stellte sich die alte Situation wieder ein, als Scholz auf dringende Bitte der Kulturszene 2017 den bisherigen Staatsrat Carsten Brosda zum Senator beförderte.
Peter Tschentscher hält an seiner Mannschaft fest
In ein vergleichbares Dilemma hat sich nun auch Peter Tschentscher (SPD) manövriert. Seinem neuen Senat sollen ebenfalls acht Männer und vier Frauen angehören. Dabei hatten die Grünen dem Bürgermeister diesmal sogar geholfen, indem sie ihre künftig vier Sitze paritätisch besetzen. Doch die acht SPD-Tickets gehen an sechs Männer und zwei Frauen, weil Tschentscher unbedingt an seiner bewährten Mannschaft – das kann fast wörtlich genommen werden – festhalten möchte. Diese Verhältnis von 3:1 ist bei den Genossen „ein Riesenthema“, wie ein Vorstandsmitglied einräumt.
Doch auch außerhalb der Partei hagelt es Kritik. „Mit Entsetzen“ reagierte etwa der Landesfrauenrat Hamburg und betonte drohend, dass er etwa 300.000 Wählerinnen vertrete. „Die geplante Besetzung der SPD-Senator/-innenposten mit sechs Männern und nur zwei Frauen ist nicht hinnehmbar“, teilte die Vorsitzende Cornelia Creischer mit. Ver.di-Vizechefin Sandra Goldschmidt war „fassungslos“. Selbst Handelskammer-Präses Norbert Aust meldete sich zu Wort: „Das ist sicherlich kein gutes Beispiel.“
So unerfreulich diese Äußerungen für Tschentscher sind – wirklich gefährlich ist für ihn nur die Kritik aus den eigenen Reihen, denn die müssen den Koalitionsvertrag und das Senatstableau am heutigen Sonnabend schließlich absegnen. Per Gesetz ist zwar nur der Erste Bürgermeister dafür verantwortlich, wen er in seinen Senat beruft und von der Bürgerschaft bestätigen lässt – was für Mittwoch geplant ist. De facto ist Tschentscher aber auch an die SPD-Satzung gebunden.
Tschentscher auch an SPD-Satzung gebunden
Dort wird zwar kein Frauenanteil für den Senat erwähnt, aber an mehreren Stellen vorgeschrieben, dass Frauen und Männer in einem Gremium „zu jeweils 40 Prozent“ vertreten sein sollen. Selbstverständlich hat das nach sozialdemokratischer Lesart auch für einen SPD-geführten Senat zu gelten. Zweitens heißt es zu den Personalplänen des Bürgermeisters: „Der Gesamtvorschlag bedarf … der Zustimmung des Landesparteitages.“ Das bedeutet: Ohne grünes Licht aus der Partei kann Tschentscher keinen Senat bilden.
Der Parteitag kann zwar coronabedingt nicht stattfinden. Aber das Votum der 350 Delegierten wird dennoch eingeholt, per Online-Abstimmung. Zwischen 18 und 19 Uhr am Sonnabend – beste „Sportschau“-Zeit – soll das Ergebnis verkündet werden. Und angesichts der internen Kritik ist keineswegs ausgemacht, wie es ausfällt.
„Alles andere als erfreulich“ sei diese Senatsbesetzung, sagte Sandra Goetz, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, und schickte sogar ein Protestschreiben an den Bürgermeister. „Wer will, findet Wege“, sagte Goetz, schob aber aber zumindest versöhnlich nach: „Ich setze mein Vertrauen in Peter Tschentscher.“
Deutliche Kritik in zwei internen Konferenzen
Ähnliche Töne waren aus zwei Telefonkonferenzen zu vernehmen, bei denen Tschentscher, Parteichefin Melanie Leonhard (neben Dorothee Stapelfeldt zugleich eine der beiden SPD-Senatorinnen) und Fraktionschef Dirk Kienscherf den Delegierten am Mittwoch- und Donnerstagabend den Koalitionsvertrag und die Zusammensetzung des Senats erklärten. Das Format war als Ersatz für die Parteitagsdebatte angeboten worden und immerhin von rund 220 der 350 Delegierten genutzt worden.
Dabei sei zwar an beiden Abenden „deutliche Kritik“ an der Frauenquote geübt worden, so Teilnehmer. Aber es habe auch Verständnis für den Bürgermeister gegeben. Der wählte in den Konferenzen eine ähnliche Taktik wie sein Vorgänger: Tschentscher wiederholte zwar seine Worte vom Dienstag, die bisherigen Senatsmitglieder hätten alle gute Arbeit geleistet und er wolle sie daher „an Bord“ behalten. Aber er räumte auch gleich ein, dass die angestrebte Frauenquote leider verfehlt und er sich bemühen werde, das baldmöglichst zu ändern. Das nahm den Kritikern zumindest etwas den Wind aus den Segeln, ebenso wie der Hinweis, dass bei der Besetzung von Staatsratsposten zuletzt vermehrt Frauen zum Zug gekommen seien. Dem Vernehmen nach soll auch der vakante Staatsratsposten im Bereich Gesundheit, der künftig zur Sozialbehörde gehören wird, mit einer Frau besetzt werden.
Ob das reicht? Die Stimmung in der Partei sei mangels persönlicher Treffen schwer einzuschätzen, heißt es. Dennoch gehe man davon aus, dass das Personaltableau ebenso eine Mehrheit finde wie der Koalitionsvertrag, über den separat abgestimmt wird. Schließlich sei die Unterstützung für den Bürgermeister, der die Partei sensationell an die 40-Prozent-Marke geführt hatte, enorm groß. Allerdings wird beim Personal nur ein „ehrliches Ergebnis“ erwartet, also eine zustimmende Watsch’n.
Die Grünen stimmen übrigens auch am Sonnabend ab, allerdings persönlich bei einem abgespeckten „Landesausschuss“. Vermutlich werden sie um 18 Uhr schon durch sein – und dann mit Spannung auf das SPD-Ergebnis warten.