Hamburg. Die SPD hat in der Verkehrspolitik hart verhandelt. Das erhöht paradoxerweise die Chance der Ökopartei, die Behörde zu übernehmen.
Die Pause des Gesprächspartners von den Grünen am Telefon war dann doch ungewöhnlich lang. Welche wichtigen Verkehrsprojekte die Grünen in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD außer der Verdoppelung der Anstrengungen beim Bau neuer Radwege denn noch durchgesetzt hätten, lautete die Frage. „Viele kleine Projekte“, war schließlich die Antwort nach einem relativ langen Schweigen.
Viele kleine Projekte also. Das entspricht nicht ganz dem grünen Selbstbewusstsein im Wahlkampf und erst recht nicht den Erwartungen unmittelbar danach mit dem sensationellen Ergebnis von 24,2 Prozent im Rücken. Viel war von der Verkehrswende die Rede, die in der Metropole zentraler Bestandteil des Kampfes gegen den Klimawandel sein solle und die man nun den zaudernden Sozialdemokraten abtrotzen wolle.
Die SPD setzte ihr Konzept der „autoarmen City“ durch
Immerhin: SPD und Grüne vereinbarten Anfang der Woche, jährlich künftig zwischen 60 und 80 Kilometer neue Radwege zu bauen. Das bedeutet in der Tat eine Verdoppelung gegenüber dem Tempo der vergangenen fünf Jahre. Die Grünen hatten in ihrem Wahlprogramm allerdings jährlich 100 Kilometer gefordert. Nun wollen die Koalitionspartner in spe die 100 Kilometer als Ziel lediglich weiterhin „fest im Blick“ behalten, wie Grünen-Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks es ausdrückte.
Aus einem zweiten Wahlkampfschlager der Grünen ist in den Verhandlungen ein eher zartes sozialdemokratisches Pflänzchen geworden: Das Grünen-Konzept der „autoarmen Innenstadt“ hatte bereits vor der Wahl für heftige Diskussionen gesorgt. Hamburg verdiene, so steht es im Wahlprogramm der Grünen, „eine autoarme Innenstadt, in der es zwischen Ring 1 und Ost-West-Straße keinen Durchgangsverkehr mehr gibt und der Kernbereich der Innenstadt rund um den Jungfernstieg für die Hamburger und ihre Gäste reserviert ist“.
Herausgekommen ist im Grunde genau das, was Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zwei Wochen vor der Wahl als sein Innenstadtkonzept vorgestellt hatte. Die Vorschläge der SPD decken sich zwar in einigen Punkten mit dem Konzept der Grünen, gehen aber längst nicht so weit.
Von der Sperrung der gesamten City nördlich der Ost-West-Straße für den Durchgangsverkehr ist keine Rede mehr. Nur der Jungfernstieg soll für den motorisierten Individualverkehr gesperrt werden und nur Bussen und Radfahrern vorbehalten sein. Ob die Autos aus dem Passagenviertel verbannt werden, ist offen. Denkbar sind Sperrungen am Wochenende.
Behutsame Politik der autoarmen Innenstadt
Die jetzt vereinbarte rot-grüne Politik der autoärmeren Innenstadt ist insgesamt eher behutsam und betont den Dialog mit Anwohnern, Grundeigentümern und Geschäftsleuten. Das ist aus gesamtstädtischer Sicht sicherlich klug. Die Frage ist, ob die Resultate an der grünen Basis auch so gut ankommen, wo die Erwartungen nach dem Wahlerfolg besonders groß sind.
Erstmals wird keine Landesmitgliederversammlung der Grünen über den Koalitionsvertrag abstimmen, wenn er denn zustande kommt, woran aber kaum jemand zweifelt. Wegen der Kontakteinschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie entscheidet der nur rund 40-köpfige sogenannte Landesausschuss – eine Art erweiterter Landesvorstand – über das Vertragswerk.
Nach Einschätzung grüner Parteistrategen bedeutet das allerdings keinen leichteren Gang. Zwar seien die Beratungen im Landesausschuss weniger emotional als auf einer Mitgliederversammlung, aber dafür seien die Delegierten des „kleinen Parteitages“ sehr gut informiert und hätten klare Erwartungen an die Verhandlungskommission.
Viele Grüne sitzen schon in den Behörden
Die Grünen hatten sich für diese Koalitionsverhandlungen besonders viel vorgenommen und so gut wie nie zuvor vorbereitet. Erstmals führt die Partei Gespräche über die Bildung einer Koalition aus der Regierungsverantwortung heraus. Nicht nur die grünen Senatoren und Staatsräte kennen die internen Abläufe und die Strukturen der Macht im Stadtstaat mittlerweile genau.
Viele Grüne sitzen inzwischen an unterschiedlichen Stellen der Behörden. Herrschaftswissen ist kein Privileg der SPD mehr. Und dann noch der grandiose Wahlerfolg am 23. Februar, der das politische Gewicht der Ökopartei gestärkt hat.
Und doch scheint es an vielen Stellen der Verhandlungen wie immer zu sein: Die SPD setzt sich letztlich durch. Die Roten lassen die Grünen spüren, dass sie trotz ihres Wahlerfolgs der kleinere Partner geblieben sind. „Wenn die Grundfunktionen der Stadt berührt sind, ist die grüne Handschrift etwas schwächer“, heißt es aus der SPD, und man muss sich bemühen, die leise Ironie des Satzes zu überhören. Es kommt hinzu, dass die SPD stets damit drohen kann, mit der CDU noch eine Alternative für die Senatsbildung zu haben …
Oben auf der grünen Wunschliste: das Verkehrsressort
Letztlich wird über die Akzeptanz des rot-grünen Vertragswerks wohl die Ressortverteilung entscheiden. Und da sind die Erwartungen der Grünen klar: fünf (statt bislang drei) der elf Senatsposten, die es neben dem Bürgermeisteramt gibt, müssen es diesmal sein.
Ganz oben auf der grünen Wunschliste steht das Verkehrsressort, bislang Teil der Wirtschaftsbehörde unter Führung des parteilosen Senators Michael Westhagemann. Hier könnte die bislang strikte Linie der SPD paradoxerweise einen Hoffnungsschimmer für die Grünen bedeuten. „Die SPD hat die Räume durch harte Verhandlungen dicht gestellt“, sagt ein grüner Verhandler. Das bedeutet: Alles Wesentliche ist im Vertragsentwurf festgezurrt. Daran wäre eben auch ein grüner Verkehrssenator – wohl Fraktionschef Tjarks – gebunden.
Andererseits: Die SPD wird die Verantwortung für die Wirtschaft und den Hafen nicht aus der Hand geben. Die Herauslösung des Verkehrsressorts aus der Behörde ist aber durchaus kompliziert. So wird die SPD vermutlich darauf bestehen, die Zuständigkeit für die großen Verkehrsinfrastrukturprojekte – den jetzt beschlossenen Bau der A 26-Ost und der neuen Köhlbrandquerung – im Wirtschaftsressort zu behalten.
Die Grünen wiederum könnten darauf drängen, dass Kompetenzen der Innenbehörde und der Bezirke in der Verkehrspolitik, die aus grüner Sicht manchmal zu Blockaden führen, abgebaut werden.
Die Schaffung von mehr Senatsposten ist unpopulär
Eine eigenständige Verkehrsbehörde schafft ein neues Problem, weil die Zahl der Senatsposten dadurch von elf auf zwölf erhöht würde. Rot-Grün müsste für diese Erweiterung das Senatsgesetz per Bürgerschaftsbeschluss ändern, was beide Seiten vermeiden wollen. Postenvermehrungen nach Wahlen sind sehr unpopulär.
Alternativ könnte das Verkehrsressort der Stadtentwicklungsbehörde zugeschlagen werden, was sachlich begründbar ist und übrigens von 2001 bis 2011 schon einmal der Fall war. Allerdings stellte damals die CDU mit Ole von Beust den Ersten Bürgermeister.
Zwar hat sich Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) noch nicht eindeutig zu einem Amtsverzicht bereit erklärt, nachdem sie nicht mehr für die Bürgerschaft kandidiert hatte. Aber Stapelfeldt, die dem Senat bereits seit 2011 angehört, würde einem Neuschnitt unter dann grüner Führung letztlich wohl kaum im Wege stehen.
SPD setzt auf Wohnungsbau
Leicht wird der SPD die Zustimmung zu dieser Variante jedoch nicht fallen, denn die Stadtentwicklungsbehörde verantwortet das Wohnungsbauprogramm mit dem in den Verhandlungen bekräftigten Neubau von jährlich 10.000 Wohnungen – ein Herzstück der SPD-Politik seit 2011.
Denkbar ist auch die Überführung der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz in die Sozialbehörde. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) will dem neuen Senat bekanntlich nicht mehr angehören. Die Bedeutung der Gesundheitspolitik hat aber die Corona-Pandemie sehr klar vor Augen geführt – ein Argument gegen die Aufgabe der Eigenständigkeit.
Sollte es am Ende auf eine Behörde für Stadtentwicklung und Verkehr unter grüner Führung hinauslaufen, wäre die spannende Frage: vier oder fünf? Zwar kämen die Grünen mit Justiz, Umwelt und Wissenschaft sowie Stadtentwicklung und Verkehr dann auf fünf Ressorts, aber nur auf vier Senatoren. Ob das der grünen Basis reicht?