Hamburg. SPD-Fraktionschef Kienscherf äußert sich zum Ärger mit den Grünen, Treffen mit der CDU und den künftigen Umgang mit der Opposition.

Nach der Bürgerschaftswahl haben sich die Spitzen von SPD und Grünen am vergangenen Freitag zu einem ersten Sondierungsgespräch getroffen. In der kommenden Woche soll ein weiteres Gespräch stattfinden. Was erwarten die Sozialdemokraten?

Mit SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf sprach das Abendblatt über Aus­einandersetzungen in der rot-grünen Koalition, über eine mögliche Zusammenarbeit mit der CDU, wichtige Vorhaben zum Wohnungsbau und Klimaschutz und über den künftigen Umgang mit der Opposition.

Die Grünen gehen davon aus, dass es zu einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition kommt – allerdings wird sich die SPD am 9. März auch zu Sondierungen mit der CDU treffen. Unter welchen Bedingungen wäre eine Koalition mit der Union für Sie denkbar?

Dirk Kienscherf: Zunächst einmal: Unsere Präferenz ist eine Neuauflage von Rot-Grün. Eine Koalition mit der CDU käme für uns nur infrage, wenn wir feststellten, dass es mit den Grünen gar nicht funktionieren kann. Wir werden am 9. März klären, ob es überhaupt eine gewisse Verlässlichkeit der CDU gibt, bestimmte Dinge in Hamburg voranzutreiben. Beispiel Wohnen: Die CDU war zuletzt dafür, nicht so viele neue Wohnungen zu bauen, wie wir es anstreben und wie es nötig ist. Beispiel Mobilität: Wir brauchen eine Zusage zu den von uns geplanten neuen Bahnlinien S 4, S 32, U 4 und U 5. Es kann in den kommenden Jahren nicht noch um ein drittes System wie die von der CDU vorgeschlagene Stadtbahn in Altona gehen.

Ihr Parteifreund, der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs, hat mehrfach seine Sympathie für ein Bündnis mit der CDU ausgesprochen …

Kienscherf: Im Wahlkampf hat es Aussagen aus Reihen der Grünen gegeben, die von Sozialdemokraten als Foulspiele wahrgenommen worden sind. Auch deshalb gibt es Stimmen in der SPD, die sagen: Wir sollten nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit der CDU nach Gemeinsamkeiten suchen und Letzteres nicht von vornherein ausschließen. Für diese Haltung habe ich Verständnis.

Was die erwähnten „Foulspiele“ angeht – es gab bis kurz vor der Wahl mehrfach Ärger in der rot-grünen Koalition. Die Grünen hatten ebenso wie die Opposition Aufklärung in Sachen Cum-Ex gefordert. SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher nannte das einen „unfreundlichen Akt“. Trägt die SPD das den Grünen nach?

Kienscherf: Diese Äußerungen seitens der Grünen haben im Wahlkampf die Atmosphäre in der Koalition belastet. Einige Sozialdemokraten haben es so empfunden, dass es den Grünen nicht so sehr um die Sachaufklärung ging, sondern eher um persönliche Angriffe gegen den Bürgermeister. Ich glaube aber, wir sind nun auf einem guten Weg, das miteinander auszuräumen.

Gilt das auch für Äußerungen des grünen Umweltsenators Jens Kerstan? Nachdem Hamburg sich bei der Abstimmung über ein Tempolimit auf Autobahnen im Bundesrat enthalten hatte, schrieb Jens Kerstan auf Facebook: „Typisch für den Bürgermeister. Trotz wohlfeiler Reden für den Klimaschutz. Wenn es dann zum Schwur kommt, kneift er.“

Kienscherf: Das ist sicherlich nicht der Umgang unter Koalitionspartnern, den wir uns für eine weitere Zusammenarbeit vorstellen. Selbstverständlich kann im Senat und in den Regierungsfraktionen über unterschiedliche Meinungen diskutiert werden. Aber das geht einfach nicht, solche Foulspiele darf es nicht mehr geben. Es wird daher mit den Grünen nicht nur um inhaltliche Punkte gehen, sondern auch darüber, wie künftig immer eine vertrauensvolle Zusammenarbeit garantiert werden kann.

Die Grünen haben ihr Wahlergebnis verdoppelt. Kann das auch doppelt so viel Einfluss im künftigen Senat bedeuten?

Kienscherf: Dass die Grünen etwas mehr Verantwortung bekommen können, ist wohl klar. Wir haben sie allerdings schon in den vergangenen Jahren nicht mehr nur als „Anbau“ betrachtet …

… wie es noch 2015 der frühere SPD-Bürgermeister Olaf Scholz getan hatte.

Kienscherf: Wir werden mit den Grünen erst über Themen reden und anschließend über Personalfragen. Gerade dabei sollten sich die Grünen allerdings nicht überschätzen.

Die Grünen haben in ihrem Wahlprogramm erklärt, sie wollten den „Kernbereich der Innenstadt autofrei machen und die Durchfahrtsmöglichkeiten einschränken“. Wird die SPD das mitgehen?

Kienscherf: Es entstand ja zunächst der Eindruck, dass die Grünen für eine komplett autofreie Innenstadt sind. Dann sind sie aber zurückgerudert. Katharina Fegebank hat den Vorschlag der Initiative zum Thema autofreie Innenstadt ja sogar als ‚irre‘ bezeichnet. Inzwischen liegen unsere Positionen eng beieinander. Es wird darum gehen müssen, in der Innenstadt mehr autofreie Bereiche zu schaffen, mehr Platz für Fußgänger, für die Gastronomie und für weitere Aktivitäten. Dafür würden wir – SPD und Grüne – zusammen mit den Geschäftsleuten in der Innenstadt eine Lösung finden.

Die Grünen wollen städtische Grundstücke nur noch in Erbpacht vergeben, den Anteil öffentlich geförderter Wohnungen auf 50 Prozent bei Neubauten in begehrten Wohnlagen erhöhen und durchsetzen, dass die Bindung bei Sozialwohnungen künftig 30 Jahre gilt statt wie bisher 15 Jahre. Wie steht die SPD zu diesen Positionen?

Kienscherf: Auch hier kann ich mir nicht vorstellen, dass das große Streitpunkte zwischen SPD und Grünen sein werden. Beispiel Erbbaurecht: Wir haben schon vor zwei Monaten in der Bürgerschaft eine Drucksache verabschiedet, die vorsieht, dass das Erbbaurecht grundsätzlich bevorzugt wird. Das wird auch größere Entwicklungsgebiete wie die Science City in Bahrenfeld und den Grasbrook betreffen. Auch die SPD will Bindungsfristen von möglichst bis zu 30 Jahren im sozialen Wohnungsbau. Wir haben erklärt, pro Jahr künftig 4000 statt bisher 3000 neue Sozial- und 8-Euro-Wohnungen bauen zu wollen. Die Grünen wollen 5000 neue Sozialwohnungen schaffen. Das sind Nuancen, aber keine grundsätzlichen Unterschiede. Eine zusätzliche städtische Wohnungsbaugesellschaft, wie von den Grünen vorgeschlagen, halten wir allerdings für überflüssig.

Kurz vor der Wahl präsentierte Bürgermeister Peter Tschentscher die Idee, das Kohlekraftwerk Moorburg früher als geplant abzuschalten und dort Wasserstoff zu erzeugen. Dieses Vorhaben würde wahrscheinlich einige Milliarden Euro kosten. Die Grünen haben große Zweifel daran, dass es so funktionieren kann, wie Tschentscher sich das vorstellt.

Kienscherf: Dann wird die SPD die Grünen überzeugen müssen (lacht). Ich bin mir aber sicher, dass auch die Grünen am Ende akzeptieren können, dass dieser SPD-Plan funktionieren wird.

Wenn es zu einer Fortsetzung von Rot-Grün kommt, dann wird es auch zum Bau neuer Bahnlinien kommen und zur Ausweitung von Fahrradstraßen, es werden weniger Autos in der Innenstadt erlaubt sein, es wird eine Pflicht zu Solardächer bei Neubauten kommen. Ist das bei den Bürgern schon ausreichend angekommen?

Kienscherf: Klimaschutz ist eine riesige Aufgabe, die wir alle gemeinsam stemmen müssen. Der Klimaschutzplan wird uns mindestens ein Jahrzehnt lang beschäftigen, und er wird uns Hamburgerinnen und Hamburgern einiges abverlangen. Mein Eindruck ist allerdings, dass vielen Menschen schon klar ist, dass wir alle handeln müssen. Wenn Hamburg weiter wächst, wenn wir genauso mobil bleiben wollen wie bisher, wenn wir nicht durch zunehmende Staus und schlechte Luft belastet werden wollen und nicht weiter zum Klimawandel beitragen wollen, dann muss unter anderem der Autoverkehr zurückgehen und der ÖPNV deutlich ausgebaut werden. Andererseits darf es durch bestimmte Maßnahmen des Klimaplans nicht zu deutlich teureren Energie- und Mietpreisen kommen. Wir haben hier auch eine soziale Verantwortung. Bei der Umsetzung des Klimaplans wird es darauf ankommen, die Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Institutionen frühzeitig einzubinden und so Akzeptanz zu schaffen.

Apropos Beteiligung: SPD und Grüne hätten in einer Koalition in der Bürgerschaft künftig zusammen eine Zweidrittelmehrheit, mit der sie sogar die Verfassung ändern könnten. CDU-Fraktionschef André Trepoll befürchtet eine „Marginalisierung der Opposition“.

Kienscherf: Zunächst möchte ich festhalten: Die CDU hat sich selber marginalisiert. Das setzt sich jetzt anscheinend fort. Wir sind nicht verantwortlich für deren schlechtes Wahlergebnis. Davon abgesehen gilt aber: Wir werden darüber nachdenken, wie wir die Minderheitenrechte im Parlament so ausgestalten, dass sie auch künftig wahrgenommen werden können.

Wie wird die SPD künftig mit der AfD umgehen?

Kienscherf: Was in der künftigen AfD-Fraktion an neuem Personal hinzukommt, lässt befürchten, dass diese Fraktion noch extremer werden wird. Daher wird es auch weiterhin eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD geben. Für Rechtsextreme ist in Hamburg kein Platz. Niemand muss AfD wählen.