St. Pauli. Zwar wird Katharina Fegebank nicht Erste Bürgermeisterin, doch die Partei bekommt so viele Stimmen wie nie. Was sie jetzt fordert.

Der erste Jubel brandet bereits auf, noch bevor die Prognose bekannt wird. Es ist drei Minuten vor sechs, als Bürgermeisterkandidatin Katharina Fegebank zusammen mit der Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Landeschefin Anna Gallina bei der Wahlparty der Grünen im Live-Club Knust an der Feldstraße – genau choreografiert – Einzug hält. Die reichlich versammelte Menge feiert Fegebank, als hätte sie für ihre Partei die absolute Mehrheit geholt. Wenig später wächst der grüne Balken der ARD-Wahlprognose auf der großen Leinwand auf 25,5 Prozent. Da gibt es für die Grünen-Anhänger im Knust kein Halten mehr.

„Das ist sensationell“, sagt Spitzenkandidatin Fegebank wenig später auf der Bühne. „Wir wissen nicht, was der Abend noch bringt, aber wenn es so bleibt, ist dies das beste Ergebnis, das die Grünen je bei einer Landtagswahl erzielt haben – nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg“, sagt sie und macht eine Kunstpause. „Das nehmen wir uns dann nächstes Mal vor, man braucht ja noch Ziele.“ Die Menge johlt. Die 42-Jährige dankt den vielen Helfern, die bei jedem Wetter Wahlkampf gemacht hätten. „Und jetzt: Feiert, feiert, feiert!“

Doch bevor es so weit ist, feiert erst einmal die Bundesvorsitzende Annalena Baerbock die Frontfrau der Hamburger Grünen. „Katha, Katha“, lässt sie die Menge skandieren und sagt: „Du kannst stolz auf dich sein, wir sind es auch.“ Dann gratuliert Baerbock noch artig Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zum Wahlsieg, und die beiden Frauen machen sich auf den Weg – zu den Fernsehkameras.

Ihr Spiel auf Sieg sehen Grüne nicht als Fehler

Die 12,3 Prozent der vergangenen Bürgerschaftswahl 2015 fast verdoppelt – das sehen die meisten der zurückbleibenden Politiker und Mitglieder unbedingt als Grund zu feiern, auch wenn es mit dem eigentlichen Wahlsieg nicht geklappt hat. Fegebank wollte Erste Bürgermeisterin werden, hatte sie im September vergangenen Jahres auf einem Parteitag verkündet und damit den Koalitionspartner SPD herausgefordert – beflügelt von den Spitzenergebnissen bei den Bezirkswahlen im vergangenen Mai, als die Grünen mit 31,1 Prozent erstmals stärkste Kraft wurden und vier von sieben Bezirken gewannen.

Sie spiele auf Sieg, nicht auf Platz, ließ Fegebank seither bei jeder Gelegenheit wissen. Und kurz hatte es Mitte Januar so ausgesehen, als hätten die Grünen eine realistische Chance, den Koalitionspartner womöglich zu überholen. Sie lagen nur knapp hinter den Sozialdemokraten, in einer Umfrage vom 9. Januar sogar gleichauf bei 29 Prozent. Nun hat es doch nur für Platz gereicht: immerhin den zweiten Platz unter den Parteien – das ist den Hamburger Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte bei einer Bürgerschafts- oder einer Bundestagswahl gelungen. Den Sieg aber haben sie eben verfehlt.

War es also ein Fehler, die Ziele zu hoch zu stecken? Fegebank selbst ist immer noch davon überzeugt: „Es war genau richtig, aus der Regierungskonstellation heraus zu sagen: Wir greifen an und fordern heraus. Wir haben die anderen mit unseren Themen vor uns hergetrieben.“ Und so sehen es auch ihre Parteifreunde. „Man braucht den Ehrgeiz. Es wäre doch hasenfüßig gewesen, wenn wir bei unseren starken Werten nicht den Anspruch gehabt hätten, die Nummer eins zu werden“, sagt Justiz­senator Till Steffen. „Zu einem klugen demokratischen Wettstreit gehört es, dass man andere herausfordert“, meint auch Parteichefin Baerbock. „Davon lebt starke Demokratie.“

„Jetzt liegt der Ball bei Peter Tschentscher“

Unisono streben die Grünen nun eine Wiederauflage der rot-grünen Koalition an, „aber mit deutlich mehr grünem Anstrich“, wie Fegebank sagt. „Das muss jetzt unser Anspruch sein.“ Man habe im Wahlkampf klar gesagt, dass die Präferenz in der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten liege, erklärt Grünen-Landeschefin Gallina. „Jetzt liegt der Ball bei Peter Tschentscher. Der Auftrag der Wähler ist deutlich.“

Justizsenator Steffen empfahl der SPD am Wahlabend schon einmal, „sich schnell und klar zu entscheiden, damit die Gespräche beginnen können“. „Die Bürger wollen Rot-Grün“, glaubt auch Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Er sei zuversichtlich, nach erneuten Koalitionsverhandlungen mit der SPD „wieder gemeinsam durch die Tür zu kommen“. Es gebe viele Anknüpfungspunkte, darunter beispielsweise eine autofreie Innenstadt und die Neugestaltung der HVV-Ticketpreise. „Wir können gut gemeinsam weiterarbeiten.“

Umweltsenator Kerstan: „Risse können gekittet werden“

Angesichts des Duells zwischen den Koalitionspartnern, zu dem sich der Wahlkampf immer mehr entwickelte, war das Klima im Senat zuletzt reichlich angespannt. Die Sozialdemokraten hatten sich vor allem über den grünen Umweltsenator Jens Kerstan geärgert. Doch der Grünen-Politiker gibt sich am Wahlabend ausgesprochen versöhnlich und gratuliert als Erstes Wahlsieger Tschentscher. Er sieht das Verhältnis der Koalitionspartner nicht nachhaltig gestört. „Es ist schon Porzellan zerschlagen worden“, sagt er dem Abendblatt. „Aber das kann man durchaus kitten, wenn man will – und wir wollen das.“

Er freut sich auch aus anderem Grund über das „wirklich gute Ergebnis“ der Grünen: „Die anderen Parteien haben gegen uns Wahlkampf gemacht.“ Tatsächlich sind den Grünen nicht nur eigene Fehler unterlaufen – Stichworte Vermummungsverbot und an EU-Fristen vorerst gescheiterter Klimaplan. Als die Grünen in den Umfragen im Januar mit ihrem Koalitionspartner gleichzogen und eine grün regierte Stadt plötzlich in greifbare Nähe zu rücken schien, regte sich im konservativen Bürgertum gewaltiger Widerstand. „Fegebank verhindern“ schien die gemeinsame Losung, auch bei Wirtschaftsverbänden und im Hafen. Viele konservative Wähler, die sonst vielleicht der FDP oder der CDU zuneigen, versammelten sich hinter Tschentscher.

Oppositionsparteien CDU und FDP selbst schuld?

Kerstan gibt den Oppositionsparteien selbst die Schuld: „Wenn CDU und FDP hauptsächlich vor einer grünen Bürgermeisterin warnen, dürfen sie sich nicht beschweren, wenn die Menschen SPD wählen.“ CDU, FDP sowie Wirtschaftsverbände hätten dieselbe Botschaft formuliert: Wenn die Stadt grün werde, sei die Wirtschaft in Gefahr, meint auch Steffen. „Viele Wähler haben daraus den Schluss gezogen, SPD zu wählen.“ Die Bluttat von Hanau, so meinen hier viele auf der Wahlparty, habe bei den Wählern zudem zu einem Bedürfnis nach Stabilität geführt, von dem die SPD profitiert habe.

36 Prozent der Erstwähler stimmen für Grüne

Die Grünen sind in diesem Wahlkampf ein Wagnis eingegangen. Sie haben alles gewollt und viel erreicht. Von den Erstwählern haben sogar 36 Prozent die Öko-Partei gewählt, wie eine Auswertung des Instituts Infratest dimap ergab. Noch nie war der Wahlkampf der Grünen so stark personalisiert: Die Kampagne war ganz und gar auf die Bürgermeisterkandidatin und Wissenschaftssenatorin zugeschnitten. Fegebank, Mutter von einjährigen Zwillingen, hielt sich in der Auseinandersetzung mit harscher Kritik am Koalitionspartner zurück und schlug einen eher moderaten Ton an. Sie halte nichts davon, sich „aus Selbstzweck auf einer Bühne zu duellieren“, sagte sie. Das dürfte es ihr jetzt erleichtern, mit der SPD ins Gespräch über einen neuen Koalitionsvertrag zu kommen.

Bei der Wahlparty im Knust wird weiter gefeiert. „Grün lebt mehr denn je“, freut sich ein Mitglied. „Die Mitte lebt.“ Das ist der Wahlkampfslogan der Freien Demokraten.