Hamburg. Der Spitzenkandidat der SPD über die Cum-Ex-Geschäfte, die Verkehrswende und das „bedeutendste Amt, das man haben kann“.

Der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) ist der letzte Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar, der sich dem Kreuzverhör von Herbert Schalthoff (Hamburg 1) und Peter Ulrich Meyer (Hamburger Abendblatt) stellt. Hamburg 1 sendet das Gespräch am Freitag um 17.15 Uhr, 18.15 Uhr, 19.15 Uhr, 20.15 Uhr und 22.15 Uhr. Das Abendblatt dokumentiert die zentralen Passagen.

Herr Tschentscher, Sie haben im Wahlkampf mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gesprochen. Was brennt den Menschen am meisten unter den Nägeln?

Peter Tschentscher Dass sie weiterhin eine bezahlbare Wohnung behalten können. Der Mietenanstieg in den letzten Jahren war sehr stark. Wir haben das jetzt gestoppt, der Anstieg beträgt nur noch 1,3 Prozent. Wir sind die einzige große deutsche Stadt, die den Mietenanstieg so gestoppt hat. Deswegen war es gut, dass wir die Wohnungsbauaktivität in den letzten Jahren stark erhöht haben.

Schlagzeilenträchtig ist aber ein ganz anderes Thema: Stichwort Cum-Ex, die Geschäfte der Warburg-Bank und der angebliche Verzicht der Stadt auf eine Rückzahlung der Bank von 47 Millionen Euro. Werden Sie darauf auch angesprochen?

Die Menschen sind schon irritiert, weil sie sagen: Einerseits sind das schwere Vorwürfe, aber andererseits heißt es, dass es dafür keine Belege gibt. Auf die Frage, ob man diese Anschuldigungen und Behauptungen beweisen kann, lautet die Antwort: Nein.

Aber es gibt vielleicht Indizien, Hinweise.

Es gibt, wie Sie richtig formulieren, einen angeblichen Verzicht. Dieser Punkt wird derzeit gerichtlich aufgeklärt. Ich bin sehr sicher, dass sich unsere Finanzämter nicht von außen sagen lassen, wie sie ihre Entscheidungen zu treffen haben. Es ist vom Leiter der Hamburger Steuerverwaltung jetzt noch einmal sehr klar festgestellt worden, dass es keine Einflussnahme von außen gibt. Und es gibt auch keine Vergleichsverhandlungen, sogenannte Billigkeitslösungen. Er hat sich nicht zum Einzelfall geäußert, weil man das wegen des Steuergeheimnisses nicht darf, sondern generell.

Trotzdem fordern die Oppositionsfraktionen, aber auch Ihr Koalitionspartner eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses. Ist das ein unfreundlicher Akt der Grünen?

Das ist doch klar. Man kann nicht Opposition und Regierung gleichzeitig sein. Natürlich war die grüne Seite in alle Entscheidungen umfassend eingebunden, und wir haben vor zwei Jahren mit den grünen Abgeordneten wie mit allen anderen im Haushaltsausschuss gesprochen. Ich bewerte es als Wahlkampfgetöse. Jeder versucht, gerade wenn die Umfragen schlecht laufen, für sich Potenzial zu ziehen aus solchen Vorgängen.

Der Senat prüft, ob ein Antrag auf Aufhebung des Steuergeheimnisses möglich ist. Ist das realistisch noch vor der Wahl?

Die Finanzbehörde prüft immer, was zu tun ist. Ich gehe davon aus, dass diese Fragen zur Ruhe kommen, nachdem sich die Steuerverwaltung jetzt sehr eindeutig erklärt hat.

Zum Thema Verkehr: Bürgermeister einer „Stauhauptstadt“ zu sein, ist vermutlich ein Titel, auf den Sie gern verzichten können. Aber das Problem existiert seit Jahren.

Erst einmal stehe ich auch nicht gern im Stau und ärgere mich, wenn ich nicht vorankomme. Das mit der Stauhauptstadt stimmt natürlich nicht. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist in Hamburg sehr viel höher als in vergleichbaren großen Städten, wenn man belastbare Bewegungsdaten nimmt. Hier wurde ein veraltetes Navigationssystem genutzt, um Abweichungen von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu ermitteln. Das hat mit Stau nichts zu tun. Trotzdem haben wir Probleme, wir haben zu viele Staus. Vieles liegt daran, dass wir im Straßenraum viele Baustellen haben.

Und jetzt schaltet der Senat die Ampeln auf bestimmten Strecken so, dass es unkoordinierte Rotphasen gibt.

(lacht) Das kann man so formulieren, ist aber nicht Sinn der Übung. Wir haben Stickoxid-Grenzwerte einzuhalten. Wir sind deswegen von der Deutschen Umwelthilfe verklagt worden, großflächige Fahrverbote einzuführen. Das wollen wir vermeiden. Deswegen gibt es die Idee, dass wir durch eine differenziertere Lenkung des Verkehrs zu einer geringeren Konzentration der Stickoxide kommen. Das betrifft im Wesentlichen zwei Stellen. Ansonsten haben wir ein Rieseninteresse, dass wir den Verkehr optimal lenken. Das tun wir durch eine völlig neue Software, die eine Planung der Baustellen fünf Jahre im Voraus ermöglicht.

Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) im Studio mit Herbert Schalthoff (M.) und Abendblatt-Redakteur Peter Ulrich Meyer.
Bürgermeister Peter Tschentscher (r.) im Studio mit Herbert Schalthoff (M.) und Abendblatt-Redakteur Peter Ulrich Meyer. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Es bleibt das Grundproblem, dass es immer mehr Autos gibt. Hilft am Ende doch nur ein radikaler Schritt wie eine City-Maut?

Nein. Wir sind den richtigen Schritt gegangen. Der SPD-Senat hat 2011 begonnen, wieder U- und S-Bahnen zu bauen. Damit haben wir den eigentlichen Entlastungsschritt getan, weil U- und S-Bahnen im Zentrum unterirdisch verlaufen.

Es dauert aber Jahrzehnte, bis die neuen Strecken, wie die U 5, fertig sind.

Wir sind ja schon unterwegs. Die U-Bahn-Station Oldenfelde ist zum Beispiel gerade eröffnet. Das sind sofort Entlastungsschritte. Alle, die umsteigen, machen Straßenraum frei, für Fußgänger, für Radfahrer und die, die auf das Auto angewiesen sind.

Gehört dazu nicht auch eine radikale Preissenkung beim HVV, um das Umsteigen attraktiver zu machen?

Das ist eine soziale Frage. Wir sind ja schon ausgelastet und müssen niemanden locken.

Aber Sie wollen doch mehr Menschen zum Umsteigen bewegen.

Ja, wir wollen das Angebot vergrößern. Alle neuen Angebote werden sofort genutzt. Es gibt eine große Nachfrage. Die Ticketpreise sind wichtig, um das Leben bezahlbar zu halten. Da wollen wir mit denjenigen beginnen, die ein geringes Einkommen haben: die Senioren, die Azubis und die Schüler. Wir wollen in den nächsten fünf Jahren ein kostenloses Schülerticket einführen.

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    Frageportal und Kandidatencheck von abgeordnetenwatch.de

    Wenn es Ihnen gelingen sollte, 38 Prozent zu erreichen, dann steht den höheren Weihen für Sie in Berlin nichts mehr entgegen, oder?

    Mir hat ein früherer Erster Bürgermeister gesagt: Das schönste, wichtigste und bedeutendste Amt, das man haben kann, ist das des Ersten Bürgermeisters.

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    Nein, das war Klaus von Dohnanyi. Es ist das schönste Amt, und deswegen möchte ich es gern noch fünf Jahre behalten.