Hamburg. Neue Serie „Ein Tag mit dem Spitzenkandidaten“: Marcus Weinberg (CDU) über Kramp-Karrenbauers Rückzug und den Wahlkampf.

Der Wind weht eisig über den Parkplatz am Ratsmühlendamm. Um 10 Uhr morgens ist auf dem Fuhlsbüttler Wochenmarkt an diesem Tag wenig los. Marcus Weinberg schwärmt zusammen mit Helfern aus, um seine Broschüren unters Volk zu bringen. Der 52-Jährige flachst mit den Marktbeschickern; das kann er gut, er ist sehr kommunikativ. „Haben Sie schon gewählt?“, fragt er den Geflügelhändler. Der hebt bedauernd die Arme. Er darf in Hamburg gar nicht abstimmen, denn er kommt aus Schleswig-Holstein. Doch sein Herz schlägt für einen Hamburger Fußballverein. An der Jacke des Mannes entdeckt Weinberg das St.-Pauli-Em­blem. Begeisterung auf beiden Seiten. Weinberg ist leidenschaftlicher Fan der Kiezkicker – seit 30 Jahren hat er eine Dauerkarte. „Da sprechen wir ja doch eine gemeinsame Sprache“, frotzelt der Christdemokrat.

Viele Stimmen dürfte er an diesem Vormittag auf dem Wochenmarkt nicht eingesammelt haben; auch andere Marktbeschicker kommen aus dem Umland. „Viel Erfolg“, hört er immerhin noch vom Würstchenverkäufer. Eine Böe peitscht jetzt Regen über den Platz. Es sind mehr Händler da als Kunden.

Ein scharfer Wind weht dem Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl, aber auch aus Berlin entgegen und wirbelt den ohnehin mühsamen Wahlkampf der Hamburger Christdemokraten durcheinander. Erst der Tabubruch von Thüringen, dann die Turbulenzen in der Bundes-CDU nach der Rückzugs­ankündigung von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. „Das war schon ein Schlag“, sagt Weinberg. „Als ob einem jemand von hinten in die Hacken grätscht.“ Der 52-Jährige zieht die Schultern hoch. Hilft ja nichts. Er findet klare Worte, grenzt sich von der AfD ab, bringt eine Troika an der Spitze der CDU ins Spiel. Und macht weiter.

Er oder sie – diese Zuspitzung der Auseinandersetzung hat es dem Spitzenkandidaten der Union seit Wochen schwer gemacht, zu den Wählern durchzudringen. Das Duell zwischen Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und der Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank von den Grünen ist es, das dem Wahlkampf seine Spannung gibt. Wie viele Prozentpunkte ihn die Bundespolitik nun am Ende kosten wird, mag Weinberg nicht schätzen. Umfragen sehen die CDU bei 13 oder 14 Prozent. Er macht eine andere Rechnung auf: Wenn diejenigen Hamburger, die zuvor vielleicht zu 51 Prozent gewogen waren, die CDU zu wählen, nur auf 49 Prozent zurückfielen, könnte die Union noch Stimmen verlieren. Vor allem in manchen innerstädtischen Quartieren droht sie marginalisiert zu werden. Vom einstigen Wahlziel von 20 Prozent plus jedenfalls sind die Christdemokraten weit entfernt.

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Die Berliner Union scheint die Hamburg-Wahl in diesen Tagen nicht übermäßig zu interessieren, selbst wenn sie absehbar die einzige Landtagswahl in diesem Jahr ist. Die gegenwärtige Krise ist halt drängender als die Abstimmung an der Elbe. Wenn die CDU kurz vor dem Sprung ins Bürgermeisteramt stünde – ja, dann wäre das Augenmerk vielleicht größer. Doch ob die Hamburg-CDU nun 12, 14 oder 16 Prozent holt, spielt bundesweit kaum eine Rolle. Immerhin kann Weinberg bei einem schlechten Abschneiden auf Berlin verweisen.

Wirtschaft und Hafen müssen gestärkt werden, Sicherheit ist wichtig

Er ist schon unterwegs zum nächsten Termin: Die Senioren-Union hat eine Kaffeetafel in einem schicken Seniorenheim nahe Hagenbecks Tierpark organisiert. Rund 30 Menschen sind gekommen, am Tisch ist kein einziger Platz mehr frei. Der Kuchen ist gut, die Stimmung auch. Weinberg zollt erst einmal Annegret Kramp-Karrenbauer „Respekt und Anerkennung“. Sie habe Verantwortung übernommen in einer schwierigen Zeit. Kopfnicken, die Runde stimmt zu. Der Spitzenkandidat grenzt sich scharf gegen die rechtskonservative Werte-Union ab. „Wir brauchen jetzt keine neuen Sektierergruppen innerhalb der Union, wir haben auch ein konservatives Profil“, sagt er.

Was dann folgt, ist ein Streifzug durch die Wahlkampfklassiker der CDU: Wirtschaft und Hafen müssen gestärkt werden, Sicherheit ist wichtig, Wohnungen müssen gebaut werden, aber bitte auch das Grün und den Charakter der Stadtteile erhalten. Nicken an der Kaffeetafel. Bei Stadtentwicklung und Mobilität müsse man manches auch neu denken, gibt Weinberg zu bedenken.

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    Und dann erzählt er von sich: dass er in einem Energiesparhaus wohnt und eine Elektrovespa fährt. Sein Wahlkampfauto sei ein Hybridwagen. Überhaupt ist der 52-Jährige für einen Konservativen eher unkonventionell. Mit seiner Persönlichkeit steht er für eine liberale Großstadt-CDU. Weinberg und seine Lebensgefährtin leben ohne Trauschein mit ihren beiden Kindern in Bahrenfeld zusammen, Tochter Paula Fritzi ist erst drei Monate alt. Weinberg wuchs in Altona-Altstadt auf, nahe der Neuen Großen Bergstraße. Daher habe er seinen „christlich-sozialen Touch“. Für die Politik entflammte der CDU-Mann ausgerechnet durch den SPD-Kanzler Helmut Schmidt, den er als Kind „glühend verehrt“ habe.

    Bis 2005 arbeitete Weinberg, der Geschichte studierte, als Lehrer; erst während des Referendariats am Christianeum, dann an der katholischen St. Bonifatiusschule in Wilhelmsburg. Als CDU-Kreischef in Altona hob er die erste schwarz-grüne Koalition auf Bezirksebene mit aus der Taufe. 2005 zog er in den Bundestag ein, seit 2014 ist er familienpolitischer Fachsprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Zu Weinbergs liberalem Profil passt, dass er Ole von Beust mit seinem engagierten Eintreten für die Primarschulreform des schwarz-grünen Senats unterstützte. Das brachte ihm damals in den Elbvororten nicht nur Freunde ein. Mittlerweile grenzt er sich im Wahlkampf scharf von den Grünen ab. Auch in der Hoffnung vermutlich, dass Wähler, die eine grüne Bürgermeisterin Katharina Fegebank verhindern wollen, nicht die SPD, sondern eben die Union wählen.

    Nicht sicher, dass Weinberg ins Parlament einzieht

    Die CDU könnte den Sozialdemokraten ins Bürgermeisteramt verhelfen, heißt also die neue Machtoption. Zwar sind SPD und Grüne füreinander erklärtermaßen die bevorzugten Partner. Doch wenn es für die Sozialdemokraten auch mit der CDU reicht, könnten sie dies als Druckmittel in Koalitionsgesprächen mit den Grünen nutzen. Motto: Wenn’s mit euch nicht klappt, sprechen wir mit der CDU. „Pseudogespräche führen wir nicht“, stellt Weinberg klar. „Ein Gesprächsangebot muss schon ernsthaft sein.“

    Dabei kann sich der Spitzenkandidat nicht absolut und völlig sicher sein, dass er tatsächlich in die Bürgerschaft einzieht – das ist dem Hamburger Wahlsystem geschuldet. Weinberg hatte darauf verzichtet, selbst in einem Wahlkreis anzutreten. Nach dem letzten Urnengang 2015 waren nur zwei CDU-Kandidaten über die Landesliste ins Parlament gelangt, und auch hier kommt es auf die Persönlichkeitsstimmen an.

    Am Abend steht ein letzter Termin an: Die katholische Kirche hat zu einer Gesprächsrunde am Dom geladen zum Thema „Sucht das Wohl der Stadt“ (Jer 29,7). Neben Weinberg sitzt Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) auf dem Podium; dazu Vertreter von Grünen und FDP.

    Es geht friedlich zu, zum Auftakt wird gemeinsam gesungen. Gesprochen wird über den eigenen Glauben, aber auch über Wohnungsbau, Obdachlosigkeit, Flüchtlinge. Die Politiker auf dem Podium sind sich in vielen Dingen einig; höchstens bei den Akzenten werden Unterschiede deutlich.

    Wahlkampf ist ein mühsames Geschäft. Weitermachen, immer weitermachen, das ist Weinbergs Devise – Termin um Termin, Stimme um Stimme. Abgerechnet wird am 23. Februar. Am Tag zuvor spielt Weinbergs Lieblingsverein im Stadtderby gegen den HSV. Der FC St. Pauli steht im Abstiegskampf.