Hamburg. In der letzten Sitzung vor der Hamburg-Wahl debattierte die Bürgerschaft den Eklat in Thüringen und die Rolle der AfD.
Auf sie waren alle Augen gerichtet: Es war eine der wichtigsten Reden von FDP-Spitzenkandidatin Anna von Treuenfels in diesem Bürgerschaftswahlkampf. In der letzten Aktuellen Stunde dieser Legislaturperiode ging es um die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten mit den Stimmen von AfD und CDU – ein Vorgang, der die FDP den Wiedereinzug in die Hamburgische Bürgerschaft kosten könnte. Mut voran – die Liberalen selbst hatten das Thema unter der Überschrift „Demokraten müssen zusammenhalten – im Parlament und auf der Straße“ angemeldet.
Und Anna von Treuenfels redete Klartext. „Es sind gerade die Krisen, in denen unsere Demokratie sich beweisen muss, auch der Umgang mit schweren politischen Fehlern gehört dazu, wie die, die in Thüringen und später in Berlin gemacht wurden“, begann die FDP-Politikerin. Kemmerich hätte die Wahl nie annehmen dürfen. „Und in Berlin, das sage ich ganz deutlich, hat es an einer unmittelbar klaren Haltung unserer Parteispitze gefehlt. Diese Fehler wurden, wenn auch spät, korrigiert“, sagte von Treuenfels und fügte hinzu: „Diese gesamten Vorgänge tun uns leid.“
Anna von Treuenfels: Spitzenkandidatin startet zum Gegenangriff
Doch dann startete die liberale Spitzenkandidatin gewissermaßen zum Gegenangriff. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir in Hamburg als Demokraten in einer solchen Situation mehr zusammenstehen und uns nicht auseinander treiben lassen“, rief von Treuenfels vor allem in Richtung Grüne, SPD und Linke. „Auch Mitglieder dieses Hauses, mit denen wir seit neun Jahren gemeinsam Politik für diese Stadt machen, erklären uns plötzlich zu Feinden der Demokratie“, sagte von Treuenfels, ohne konkreter zu werden.
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Hintergrund: Es war kritisiert worden, dass auch Hamburger FDP- und CDU-Mitglieder die Wahl Kemmerichs zunächst begrüßt hatten. Und plötzlich spielte eine Rolle, dass die FDP rund 50 AfD-Anträgen seit 2015 zugestimmt hatte. Treuenfels sprach von „unsäglichen Unterstellungen“ und empörte sich: „Meinen diejenigen wirklich, was sie da sagen: Uns Freie Demokraten in die Faschisten-Ecke zu stellen?“
Der Konter folgte schnell. „Wir haben als SPD-Fraktion immer jegliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD abgelehnt. Wir hätten uns eine derartig konsequente Haltung auch von allen anderen Parteien gewünscht und fordern erneut alle Fraktionen auf, die bisher AfD-Anträge in der Bürgerschaft unterstützt haben, dies zu unterlassen“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf und erhielt dafür kräftigen Beifall. Er habe bis heute nicht verstanden, „warum einzelne AfD-Anträge in diesem Haus unterstützt wurden“.
Die Stadt und das Parlament hätten heute „eine klare Entschuldigung der FDP-Fraktion erwartet und keinen Angriff gegen andere“. Die AfD sei „vom Kern her antidemokratisch und rechtsradikal“. Dass die AfD auch in der Bürgerschaft vertreten sei, sei „eine Schande für das Haus“, so der SPD-Fraktionschef, der dafür einen Ordnungsruf kassierte.
CDU-Fraktionschef André Trepoll schonte die eigene Partei nicht
CDU-Fraktionschef André Trepoll hielt eine bemerkenswerte Rede, in der er auch die eigene Partei nicht schonte. „Der Vorgang in Thüringen war ein Tabubruch. Es darf keinen Regierungschef geben, der mit den Stimmen der AfD gewählt wird, auch nicht zufällig“, sagte Trepoll. Ihn persönlich habe die Wahl betroffen und nachdenklich gemacht. Trepoll sagte mit Blick auf die CDU: „Wenn andere es nicht schaffen, Entschuldigung zu sagen, will ich es aussprechen: Mir tut es leid, dass unser politisches System und unsere Partei Schaden genommen haben.“
Trepoll erinnerte daran, dass 1933 Sozialdemokraten gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis gestimmt und das zum Teil mit ihrem Leben bezahlt haben. „Es waren leider nicht konservative Kräfte, die den Mut und die Einsicht hatten, sich dem entgegenzustellen. Das Versagen der konservativen Kräfte war damals nicht die einzige Ursache dafür, dass die Nazis das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte begehen konnten“, sagte Trepoll. „Aber als moderner Konservativer muss man klar hinzufügen: Es darf gar keinen Zweifel geben, dass man mit offen rassistischen und rechtsextremen Parteien in Deutschland nicht zusammenarbeitet. Nie wieder!“ Da brandete kräftiger Beifall auf.
Innensenator Grote (SPD) spendete ungewöhnliches Lob
Was bald darauf passierte, zählt zu den eher ungewöhnlichen Vorgängen einer Debatte – noch dazu mitten im Wahlkampf. „Ich danke André Trepoll für seine deutlichen und überzeugenden Äußerungen“, sagte Innensenator Andy Grote (SPD), der die Thüringen-Wahl eine „Grenzverschiebung“ nannte. „Kein Demokrat darf sich in die Hände der AfD begeben“, so Grote, der deren „totale parlamentarische Isolierung“ forderte.
„Höcke ist kein Einzelfall“, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Auch in Hamburg gebe es Unterstützer seines extremen Kurses. „Thüringen hat gezeigt: Der Firnis der Zivilisation ist dünn, und CDU und FDP haben uns in den Abgrund blicken lassen“, sagte Tjarks. Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus warf FDP-Fraktionschefin von Treuenfels vor, ihre Äußerungen zur Distanzierung von der AfD seien „unglaubwürdig“, weil die FDP etlichen AfD-Anträgen zugestimmt hat. „Es gab auch fünf Bürgerschaftsanträge, die alle Fraktionen gemeinsam gestellt haben, auch die AfD. Wir müssen als Demokraten aufhören mit der Aufrechnerei“, konterte Anna von Treuenfels.
AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann befand, die Kritik an seiner Partei habe „jedes zulässige Maß“ überschritten. „Nicht die Wahl in Thüringen, die Reaktion von Kanzlerin Angela Merkel ist ein Anschlag auf die Demokratie gewesen. Motto: Wir wählen so lange, bis auch der Kanzlerin das Ergebnis gefällt“, sagte der AfD-Fraktionschef.
So wählt man in Hamburg