Hamburg. Senat will Stellplätze abbauen und das Passagenviertel zeitweise für Autos sperren. Pflicht zum Bau günstiger Wohnungen.

Mehr bezahlbarer Wohnraum, weniger Autos und Parkplätze: Dadurch soll die Hamburger City nach den Vorstellungen des Senats attraktiver werden – auch für Kunden, die sonst in den Onlinehandel oder in das geplante Einkaufszentrum in der HafenCity abwandern würden.

„Die gesamte Innenstadt vom Verkehr zu befreien, ist ein Vorschlag der in der Praxis nicht umzusetzen ist – wir gehen schrittweise voran“, sagt Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). Er hat die Pläne – zwei Wochen vor der Bürgerschaftswahl – gemeinsam mit Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und Oberbaudirektor Franz-Josef Höing vorgestellt.

Grünen werfen Koalitionspartner ein Plagiat vor

In solchen Zeiten wird fast alles zum Wahlkampfthema. Selbst die Koalitionspartner von SPD und Grünen beharken sich immer heftiger. Kaum hat der Bürgermeister die Senatspläne für eine Aufwertung der Innenstadt vorgestellt, werfen ihnen die Grünen ein Plagiat vor.

„Wir freuen uns wirklich sehr, dass die SPD unser Konzept für eine weitestgehend autofreie Innenstadt quasi eins zu eins übernommen und dazu auch noch so schön illustriert hat“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Anjes Tjarks nicht ohne süffisanten Unterton.

Innenstadt soll vor allem für Fußgänger attraktiver werden

Die schon damals SPD-geführte Stadtentwicklungsbehörde habe 2014 ein Innenstadtkonzept vorgelegt, das eine Verkehrsberuhigung praktisch ausschloss. Kurz vor der Wahl mache sie eine erstaunliche Kehrtwende. „Bei praktisch allen Kernpunkten hat die SPD bei uns abgeschrieben“, sagt Tjarks. Tatsächlich hat der Vorschlag des Senats einige Ähnlichkeit mit dem der Grünen – geht aber an vielen Stellen nicht ganz so weit.

Im Kern geht es darum, die Innenstadt deutlich attraktiver zu machen – vor allem für Fußgänger. Die sollen künftig deutlich mehr Platz bekommen, der Autofahrern weggenommen wird. Straßen sollen zu Fußgängerzonen und Parkplätzen zu Freiflächen werden. Neu gebaut werden soll vorerst nichts, dafür aber Bestehendes umgestaltet und aufgehübscht werden.

Jungfernstieg: Keine Privatautos mehr

Sieht so der autofreie Jungfernstieg aus? Eine Illustration zeigt einen Entwurf, den die Hamburger SPD noch vor der Bürgerschaftswahl präsentiert hatte.
Hamburg: Neugestaltung am Jungfernstieg © moka-studio/moka-studio 2020

Demnach sollen auf dem Jungfernstieg keine privaten Autos mehr fahren und mehr Platz für Fußgänger und Fahrradfahrer entstehen.

Immer am Wochenende sollen Teile des Neuen Walls und der Großen Bleichen – also das Passagenviertel – zur Fußgängerzone werden. Am Rathaus sollen die Kleine Johannisstraße und ein Teil der Schauenburgerstraße, die in einem Pilotversuch bereits drei Monate lang gesperrt waren, bald dauerhaft autofrei bleiben. Tschentscher: „Wir achten darauf, dass hierdurch keine neuen Staus entstehen und die Menschen noch besser mit Bussen und Bahnen in die Innenstadt kommen.“Neben dem Jungfernstieg, der für den Individualverkehr gesperrt werden soll, ist eins der Vorzeigeprojekte die Umgestaltung des südlichen Gleisfelds des Hauptbahnhof.

Zwischen Bahnhof und Museum für Kunst und Gewerbe klafft momentan noch ein eher unansehnliches Loch mit Abstellgleisen. Das „könnte“ einen Deckel bekommen, der begrünt und zu einem Park werden soll, so Tschen­tschers Plan. Dafür müsse allerdings noch viel geprüft werden. Auch andere Teile des Vorschlags befinden sich noch im Ideen-Stadium und sind keine konkreten Pläne. „Wir sind weitsichtig, aber auch realistisch bei der Frage, was wir erreichen können“, sagt Tschentscher. Erst mal sei es wichtig, dass man ein Ziel habe.

Aus Parkplätzen sollen Freiflächen werden

Und ein solches hat der Senat. Wie das umgesetzt werden soll, zeigen die vielen Visualisierungen prominenter Orte Hamburgs. Eine davon zeigt den vom typischen Backsteinexpressionismus geprägten Burchardplatz. Genau wie an vielen anderen Orten sollen hier Parkplätze in Freiflächen verwandelt werden.

Auf der Visualisierung ist anstelle der dort sonst parkenden Autos bereits eine große Asphaltfläche mit Sitzgelegenheiten und Bäumen zu sehen. Grüner soll es auch in anderen Teilen der Innenstadt werden. „Attraktiv gestaltete Freiräume mit mehr Grün als bestimmendem Element sind uns sehr wichtig, da sie die Qualität der Innenstadt heben“, sagte Senatorin Stapelfeldt.

Mönckebergstraße: Busverkehr wird verlegt

Um die für Privatautos schon gesperrte, aber von Bussen befahrene Mönckebergstraße zu entlasten, soll der Busverkehr auf die Steinstraße verlegt werden. Auch im Kontorhausviertel, am Rathaus und am Gertrudenkirchhof sollen künftig kaum noch Autos parken dürfen. Für weitere Teile der Innenstadt soll geprüft werden, wo Parkplätze wegfallen können. Die frei werdenden Flächen sollen begrünt und „aufgewertet“ werden. Sieben weitere zentrale Orte sollen umgestaltet werden.

Besucher der City sollen sich künftig über zahlreiche „schöne Gestaltungselemente“, Spielplätze und Kunst im öffentlichen Raum freuen können. Davon profitieren natürlich auch die rund 15.200 Innenstadtbewohner, deren Anzahl weiter steigen soll. Zusätzlich zu den derzeit anstehenden Neubauprojekten mit 706 Wohnungen sollen Investoren bei künftigen Bauprojekten zu einem Anteil von Wohnungen verpflichtet werden.

„Bündnis für die Innenstadt" begrüßt den Vorschlag

Außerdem soll die Innenstadt besser mit den angrenzenden Quartieren wie St. Georg, St. Pauli oder dem Gerichtsviertel verknüpft werden. So sollen beispielsweise Möglichkeiten gefunden werden, um angenehmer über die Willy- Brandt-Straße in die HafenCity zu kommen. Konkret wurden die zu schaffenden „Querungsmöglichkeiten“ aber noch nicht vorgestellt.

Das „Bündnis für die Innenstadt“ begrüßt den Vorschlag trotzdem. „Es ist wichtig, neue Verbindungen von der HafenCity in die Kerncity zu schaffen“, sagte Einzelhandelsverbands-Vorsitzender Volker Tschirch, der auch einer der Gründer der Initiative ist. Die Allianz aus Spitzenvertretern der Hamburger Wirtschaft forderte die Stadt im Oktober vergangenen Jahres dazu auf, mehr für die aus ihrer Sicht vernachlässigte Innenstadt zu tun. Tschirch hält es für sehr realistisch, dass die Pläne auch umgesetzt werden.

Kritik kommt von der Opposition

Ganz anders sieht das die Opposition. „Neun Jahre regiert, aber erst zwei Wochen vor der Wahl ein Konzept für die Innenstadt vorgelegt“, sagt CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg. Die Innenstadt sei aber zu bedeutend für „hastig zusammengetragene Entwürfe“. Für die FDP kritisiert Fraktionsvorsitzende Anna von Treuenfels, dass ein konkreter Zeitplan fehle und die Finanzierung nicht geklärt sei.

Außerdem werde durch die offensichtlich fehlende Abstimmung mit der grün geführten Umweltbehörde die Spaltung im rot-grünen Senat offensichtlich. Bei den Grünen bemerkt Tjarks bei allem Ärger an, dass die Sache im Kern ja auch etwas Gutes hätte: „Die Innenstadt wird sich entlang unserer Ideen weiterentwickeln.“

Zudem will der Senat die Investoren bei allen künftigen Bauprojekten in der City zu einem bestimmten Anteil preiswerter Wohnungen verpflichten. Diese Vorschläge sind eine Antwort auf einen „Hilferuf“ von 2019. Das „Bündnis für die Innenstadt“, eine Allianz aus Vertretern der Wirtschaft, hatte die Stadt aufgefordert, mehr für die City zu tun.