Hamburg. Der Bundesfinanzminister tritt nur einmal im Hamburger Wahlkampf auf – bei einem Business Lunch in der Europapassage.
Vor fünf Jahren reihte sich für Olaf Scholz ein Wahlkampfauftritt an den nächsten, es dürften am Ende einige Hundert gewesen sein. Fünf Jahre später ist der Bürgerschaftswahlkampf für den 61-Jährigen eine überschaubare Angelegenheit: Am Donnerstagmittag absolviert er einen SPD-Wahlkampfauftritt für Joachim Seeler. Im „Seven Oceans“ hält Scholz einen Vortrag zum Thema „Die ganze Immobilienwirtschaft im Blick“, angelehnt an das SPD-Motto „Die ganze Stadt im Blick“.
Aber überall im Land diskutieren die Menschen über Thüringen: Die Wahl eines FDP-Kandidaten durch CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsident erregt die Gemüter. Peter Maßmann, Mitorganisator des Business Lunch, flachst: „Hier sind ja mehr Gäste, als die FDP Mitglieder hat.“ Über Nacht haben es die Liberalen geschafft, vom Koalitionspartner zum Ausgestoßenen zu werden. „Der Tabubruch muss rückgängig gemacht werden“, fordert Vizekanzler Scholz - nicht wissend, dass während seiner Rede Thomas Kemmerich, Thüringens Ministerpräsident für einen Moment, aufgab.
Olaf Scholz' Selbstgewissheit hat gelitten
So „verunsichert“ und „ermattet“, wie der „Spiegel“ den Finanzminister in seiner aktuellen Ausgabe schildert, wirkt Scholz nicht. Aber seine Selbstgewissheit, die oft ins Arrogante changierte, hat gelitten. Die Niederlage bei der Wahl zum Parteivorsitzenden hat ihn persönlich getroffen. Natürlich kann man bei einem Mitgliederentscheid unterliegen – aber musste es ausgerechnet gegen das irrlichternde Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sein?
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Scholz Karriereplanung mit dem Ziel Kanzleramt sah anders aus: Die Bürgerschaftswahl, so hoffte er bis vor wenigen Wochen, hätte die Wende für die geschundene Sozialdemokratie bringen können – einen ersten Wahlerfolg nach einer Serie schmerzhafter Niederlagen. Und Olaf Scholz an der Spitze der SPD, so hoffte man zugleich im Rathaus, hätte den Trend gedreht und der Sozialdemokratie neuen Rückenwind verliehen. Hätte, hätte, Fahrradkette.
"Partei gut, Fraktion gut, Glückauf!"
Nun steht vor der Alsterkulisse ein Bundesfinanzminister, für den Hamburg fern scheint. Schon die Begrüßung geht mit „Schönen guten Tag“ fast daneben, dann schiebt er ein schnelles „Moin“ hinterher. Warum viele Worte machen? Es folgen ein paar Ausführungen zur Wohnungsbaupolitik der Bundesregierung, die das Baurecht vereinfacht und Flächen zur Verfügung gestellt habe. So knapp, so gut. Manche Gäste aus der Banken- und Immobilienbranche sind da längst mit ihren Telefonen beschäftigt.
Das ändert sich, als ein Gast fragt, was mit Saskia Esken passiere, „wenn wir gewinnen“? Werde der Sieg auch ihr Sieg? „Die SPD hat immer von einer gewissen Bandbreite gelebt“, windet sich Scholz. Und zitiert den alten SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering „Partei gut, Fraktion gut, Glückauf!“
Nur in Hamburg: SPD wählen, ohne rot zu werden
Nach diesem Stakkato fürs Poesiealbum gewährt der Vizekanzler doch noch einen Blick in seine Seele. Der Mann, dem Saskia Esken einst vorwarf, kein standhafter Sozialdemokrat zu sein, sagt dann: „Ein gutes Ergebnis der SPD ist erst einmal gut für Hamburg.“ Damit gehe die Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre weiter.
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Wie er da von Hamburg redet, taut Scholz sichtlich auf: Für Deutschland bedeute ein gutes Ergebnis, „dass man es so machen kann. Darüber freue ich mich als Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland.“ In diesen Worten schwingt Stolz auf sieben Jahre als Bürgermeister mit. Schließlich mahnt Scholz „Leadership“ an – den Mut zu führen und Ärger zu riskieren. Da blitzt sein eigener Führungsanspruch auf.
Den Spruch des Tages indes macht Maßmann: „In Hamburg können Bürgerliche die SPD wählen, ohne rot zu werden.“ In seiner Doppeldeutigkeit könnte darin das Geheimnis ihres Erfolges liegen – ein Geheimnis aber, das Saskia Esken wohl stets verborgen bleibt.