Hamburg. Alter Senatsbeschluss verhindert Ehrung des großen Schriftstellers. Wie eine Kommission das jetzt ändern will.
Das Dilemma lässt sich gut am Beispiel Siegfried Lenz verdeutlichen. Der mit Dutzenden Literaturpreisen ausgezeichnete Schriftsteller und Hamburger Ehrenbürger wäre eigentlich dafür prädestiniert, dass seine Heimatstadt ihn mit einer Straßenbenennung ehrt – doch das geht schon aus rein formalen Gründen nicht. Denn der 2014 verstorbene Lenz war Mitglied der NSDAP – und ein Senatsbeschluss aus dem Jahr 1985 schließt für diesen Fall eine Benennung aus.
Und dabei spielt es keine Rolle, dass Lenz beim Eintritt erst 17 Jahre alt war und – nach eigener Aussage – gar nichts davon wusste.
Hamburger Straßennamen: Kommission erarbeitet neue Kriterien
Dieses Beispiel ist einer der Gründe, warum die Kulturbehörde jetzt eine Experten-Kommission einsetzen will, die neue Kriterien erarbeiten soll. Dabei soll auch Klarheit entstehen, ob und welche Straßen umbenannt werden müssen, weil die Geehrten zu sehr belastet sind.
„Die Kommission soll noch im ersten Quartal ihre Arbeit aufnehmen und bis Ende des Jahres Vorschläge erarbeiten“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Noch ist die Zusammensetzung der Kommission nicht endgültig geklärt, fest steht aber schon, dass Rita Bake mitmachen wird. Die Sozialhistorikerin – sie ist auch Gründerin des Gartens der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof – befasst sich seit Langem mit der Problematik. Neben Wissenschaftlern wie ihr sollen aber auch Experten aus anderen Bereichen einbezogen werden.
"Belastete" Namen: Strittige Fälle entscheiden
„Eine kritische Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit ist weiterhin wichtig. Dazu gehört auch die Frage, an wen wir mit der Benennung von Straßen und Plätzen erinnern wollen. Immer wieder ist es Thema, wie mit der Vergangenheit einzelner Personen in der Zeit des Nationalsozialismus umzugehen ist“, sagt Kultursenator Carsten Brosda (SPD).
Ziel sei es, belastbare Vergleichsmaßstäbe zu vereinbaren, auf deren Grundlage künftig strittige Fälle entschieden werden können. „Parallel arbeitet das Staatsarchiv zusammen mit dem Runden Tisch zur Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit auch an Vorschlägen zum Umgang mit kolonial belasteten Straßennamen“, so Brosda.
Anwohner meist gegen Straßen-Umbenennung
Bereits seit zwei Jahren liegt eine Studie des Historikers David Templin vor, der 58 Biografien hinsichtlich der NS-Belastung untersucht hatte – auch die von Siegfried Lenz. Dessen Aussage, nichts von seiner NSDAP-Mitgliedschaft gewusst zu haben, ist unter Historikern durchaus umstritten. Templin kommt zu dem Schluss, dass Lenz’ Belastung unabhängig davon als gering einzustufen sei. Dabei betont er, wie stark Lenz sich zeit seines Lebens literarisch mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt habe.
Wenn die Kommission einen neuen Kriterien-Katalog vorlegt (der allerdings ein nicht bindender Vorschlag sein wird und vom Senat beschlossen werden müsste), könnte also der Weg für eine Siegfried-Lenz-Straße frei werden. Andere müssten vielleicht umbenannt werden, auch wenn das bei Anwohnern meist auf Widerstände stößt.
Das formale Verfahren dafür ist dreigliedrig: Zunächst wird der jeweilige Bezirk eingebunden, der dann einen Vorschlag an das Staatsarchiv weiterleitet. Wenn es dort keine fachlichen Einwände gibt, liegt der endgültige Beschluss bei der „Senatskommission für die Benennung von Verkehrsflächen“.