Hamburg. Staatstragend oder ungestüm: Zwei große Empfänge am Wochenende im Hamburger Rathaus. Was sie verbindet, was sie trennt.

Die Dekorateure haben flott gearbeitet. Nur rund 36 Stunden, nachdem hier die Grünen ihren Neujahrsempfang gefeiert haben, ist im Großen Festsaal des Rathauses am Sonntagmorgen nun die Bühne für die SPD bereitet – im wahrsten Wortsinn.

Stand die am Freitagabend noch an der Stirnseite, unter Hugo Vogels mächtigem Hafengemälde, ist sie nun an die Längsseite gerückt, vor die mächtigen vergoldeten Figuren, die Bürgertugenden wie Gerechtigkeit und Fleiß symbolisieren. Regenbogenfahnen und Sonnenblumen aus Pappmaché sind weggeräumt, stattdessen steht mitten Saal ein Plastikbaum, in dem rote Schilder mit kurzen Botschaften baumeln: „60.000 neue Wohnungen seit 2011“, „Beitragsfreiheit in Krippen und Kitas“ oder „772 Kilometer Straßen saniert seit 2015“.

„Die Früchte unserer Arbeit“ solle das symbolisieren, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf, der Gastgeber. Rund 1100 Gäste begrüßt er – zumindest offiziell noch ein paar mehr als bei den Grünen („über 1000“, so deren Mitteilung), was insofern bemerkenswert ist, als vor der SPD-Bühne noch drei Reihen Stühle aufgestellt sind, um dem deutlich höheren Altersschnitt Rechnung zu tragen. Die Grünen hatten ihrem vergleichsweise jungen Publikum dagegen einen reinen Stehempfang verordnet. Doch eng ist hier wie da: Für Menschen mit Aversionen gegen körperliche Nähe sind beide Empfänge nichts.

SPD und Grüne liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Dass der Andrang auf solche Veranstaltungen dieses Jahr besonders groß ist, liegt auf der Hand. Fünf Wochen vor der Bürgerschaftswahl liefern sich ausgerechnet die Regierungspartner SPD und Grüne in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Macht im Rathaus. Und selbst reine Äußerlichkeiten wie die Inszenierung und Intonierung eines Neujahrsempfangs sagen schon einiges aus über die Gefechtslage – und über die Stimmungslage in der Stadt.

Hier die eher staatstragende SPD, die ihre Gäste mit dezenter Lounge-Musik einhüllt, den Älteren einen Sitzplatz anbietet, eine Kinderspielecke im Foyer aufbaut und inhaltlich vor allem eine Leistungsschau durchführt. „Die Sozis, die können das, das ist das Signal“, ruft Kienscherf den Gästen zu.

Grüner Empfang mit Fraktionschef Anjes Tjarks (v.l.), Spitzenkandidat Katharina Fegebank und Parteichef Robert Habeck.
Grüner Empfang mit Fraktionschef Anjes Tjarks (v.l.), Spitzenkandidat Katharina Fegebank und Parteichef Robert Habeck. © MARCELO HERNANDEZ / FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Dort die eher ungestümen Grünen, bei denen Jan Delay und Tom Jones aus den Boxen wummern, Paradiesvögel wie Olivia Jones daran erinnern, dass dies viele Jahre der „schwul-lesbische Neujahrsempfang“ war, und bei denen es inhaltlich fast immer um Visionen geht. „Wir können dieses Rathaus verändern“, ruft Fraktionschef Fraktionschef Anjes Tjarks zur Einstimmung. Der Jubel ist hier wie dort laut – die meisten Gäste sind ja nicht zufällig da.

Die personelle Auswahl spiegelt die Lage der Parteien wider

Auch die Dramaturgie ist weitgehend identisch: Auf den Fraktionschef folgen erst der Stargast und dann der Bürgermeister, beziehungsweise die Bürgermeister-Kandidatin. Die personelle Auswahl spiegelt die Lage der Parteien wider: Während die Grünen Rückenwind und nahezu unbegrenzte Unterstützung durch die Bundespartei genießen und vor allem für den Co-Vorsitzenden Robert Habeck Hamburg-Auftritte Heimspiel-Charakter haben (der ehemalige schleswig-holsteinische Umweltminister hat in der Hansestadt studiert), legt die Hamburger SPD keinen Wert auf die Anwesenheit ihrer neuen Parteispitze – weil die nur an die ernüchternde Lage im Bund erinnern würde, vor allem aber, weil die eher linken Parolen des Führungsduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht zur traditionell wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung der hiesigen Sozialdemokraten passen.

Mit Bundesfamilienministerin Franziska Giffey holen sie sich aber regelmäßig überzeugenden Ersatz. Auch beim Neujahrsempfang hat die 41-Jährige den Saal binnen Sekunden im Griff. „Wenn man von Berlin nach Hamburg kommt, kann man etwas lernen – in Hamburg laufen nun mal viel Dinge richtig gut“, umschmeichelt die Frau, die viele SPD-Mitglieder gern als ihre Vorsitzende gesehen hätten, das Publikum.

Sie lobt den SPD-Wahlkampfslogan, „Die ganze Stadt im Blick“ haben zu wollen: „Dass die Stadt funktioniert, dafür ist so ein Rathaus da“, ruft Giffey, die als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln die Mühen des Verwaltungsgeschäfts nur zu gut kennt.

Wie Robert Habeck, der unter dem Jubel seiner Parteifreunde an „die vielleicht erste Erste Bürgermeisterin“ Katharina Fegebank übergibt, löst auch Franziska Giffey („Ich kann verstehen, warum die Hamburger Dich so mögen...“) tosenden Applaus mit ihrer Charme-Offensive Richtung Bürgermeister Peter Tschentscher aus.

Tschentscher als letzter Redner gekonnter als Fegebank

Die Herausforderung, als letzter Redner Spannung und Stimmung hoch zu halten, meistert Tschentscher dagegen gekonnter als Fegebank. Während der Bürgermeister schon mit dem ersten Satz („Jetzt ist wirklich alles gesagt – nur noch nicht von mir“) für Gelächter sorgt und infolge auf die gute Vorrede noch einen draufsetzt, kann die Zweite Bürgermeisterin das Habeck-Niveau nicht ganz halten.

Zwar wird auch ihr finaler Satz („Wir spielen auf Sieg, nicht auf Platz“) frenetisch umjubelt. Doch das häufig bemühte Bild von der begeisterungsfähigen Grünen, gegen die der eher dröge Amtsinhaber blass aussehe, bestätigt sich dieser Tage nicht. Kämpferisch blickt Tschentscher darauf zurück, in welch’ schlechtem Zustand seine Partei Hamburg 2011 vorgefunden habe – Desaster bei HSH Nordbank und Elbphilharmonie, die höchsten Kita-Gebühren und kaum noch Wohnungsbau – und was sie in neun Jahren an der Regierung daraus gemacht habe. „Es geht nicht nur um Ziele, es geht auch darum es umzusetzen“, ruft er und fragt: „Wer ist glaubwürdig?“ Die Antwort gibt das applaudierende Publikum.

Bemerkenswert: Die beiden Bürgermeisterkandidaten haben jeweils auch den Empfang der Konkurrenzpartei besucht und sind dort freundlich empfangen worden. Tschentscher griff das in seiner Rede prompt auf. Bei den Grünen habe er ja viel Positives über Hamburg gehört, da habe er auch applaudiert, erzählt er und ruft seinen Gästen zu: „Diese Stadt ist großartig, sie ist eine zutiefst sozialdemokratische Stadt. Und ich möchte fünf weitere Jahre Bürgermeister dieser großartigen Stadt bleiben.“