Hamburg. CDU-Oppositionschef André Trepoll grenzt sich klar vom möglichen Koalitionspartner ab und fordert eine Reform der Bürgerschaft.

Er gilt als einer der besten Redner der Bürgerschaft, der er seit 2004 angehört: CDU-Fraktionschef André Trepoll zieht nach fast fünf Jahren im Amt Bilanz, äußert sich zu den Chancen der CDU bei der Bürgerschaftswahl und zu seinen politischen Ambitionen für die Zukunft.

Hamburger Abendblatt: Zwei Monate vor der Bürgerschaftswahl kann die CDU die 20-Prozent-Marke in Umfragen nicht knacken. Woran liegt das?

André Trepoll: Wir leben einfach in politisch veränderten Zeiten. Ich vergleiche das mit dem skandinavischen Modell: Wir haben mehrere Parteien, die sich in der Regel zwischen 15 und 25 Prozent einpendeln. Bei guten Bürgermeistern oder Spitzenkandidaten kann es Ausreißer nach oben geben, aber die Parteien rücken enger zusammen. Aber: Wir haben uns leicht verbessert. Die Vormachtstellung der SPD ist beendet, deswegen ist das für uns eine gute Ausgangsposition.

Gerät die Union beim forcierten Zweikampf zwischen SPD und Grünen, namentlich zwischen Peter Tschentscher und Katharina Fegebank, aufs Abstellgleis?

Trepoll: Das ist eine große Herausforderung für uns, und wir müssen sehr deutlich machen, dass das hier keine Bürgermeisterwahl, sondern eine Landtagswahl ist. Hier werden die Richtlinien der Politik der nächsten fünf Jahre bestimmt! Das ist mein Appell an die Hamburgerinnen und Hamburger, bei der Wahl auch darauf zu achten, was die Parteien im Angebot haben.

Es geht aber schon auch darum, welche Partei die stärkste Kraft wird und damit die Richtlinien der Politik bestimmen kann. Wie lautet das Angebot der CDU?

Trepoll: Wir stehen für eine kluge, zukunftsorientierte und ideologiefreie Verkehrspolitik, eine starke Wirtschaftspolitik und einen klaren Kurs in der inneren Sicherheit. Wir wissen auch, wohin wir mit der Stadt wollen. Und wir haben mit Marcus Weinberg einen nahbaren und sympathischen Spitzenkandidaten, dem jeder ein Regierungsamt zutraut. Wir müssen den Wählern deutlich machen, dass bei Rot-Grün nichts mehr funktioniert, seit die beiden Partner in Umfragen auf Augenhöhe sind. Streit in allen politischen Themenbereichen. Wir sollten Hamburg auf jeden Fall eine rot-grüne GroKo ersparen.

Die CDU versucht mit den gleichen Top­themen zu punkten wie Rot und Grün auch: Klimaschutz, Verkehr und Stadtentwicklung/Wohnungsbau. Ein Fehler?

Trepoll: Ich bin kein Freund davon, dass man den Bürgern Themen überstülpen kann. Wir müssen das aufnehmen, was die Menschen bewegt. Beispiel Verkehr: U-, S-Bahnen und Busse sind unzuverlässig, viele von uns stehen täglich im Stau, die Baustellen sind schlecht koordiniert. Die Menschen sind frustriert, und deswegen sind wir gut beraten, diese Themen auch im Wahlkampf zu diskutieren.

Die CDU erweckt gerade beim Thema Verkehr bisweilen den Eindruck, dass sie fast so grün in ihren Forderungen ist wie die Grünen selbst. Kann das funktionieren?

Trepoll: Das sehe ich anders. Wir haben einen praxisorientierten Ansatz. Wenn wir feststellen, dass ein Schnellbahnanschluss, wie von Rot-Grün geplant, frühestens 2040, eher 2050 fertig wird, dann ist es unsere Aufgabe zu überlegen, ob es ein anderes System gibt, das schneller ist. Mit unserem Vorschlag, eine MetroTram in Altona zu bauen, haben wir eine schnell zu realisierende Alternative vorgestellt. Ich finde, da müssen alle aus den alten Schützengräben herauskommen.

Dennoch: Lange hat sich die CDU als Anwältin der Autofahrer verstanden. Mit der Kür von Marcus Weinberg hat die CDU einen abrupten Wechsel vollzogen und setzt nun verstärkt auf grüne Themen. Kaufen Ihnen das die Wähler ab, oder verschrecken Sie damit Ihre Stammwähler?

Trepoll: Wir haben den großen Vorteil, als Volkspartei in der ganzen Stadt verankert zu sein. Wir haben sehr früh wahrgenommen, dass Rot-Grün eine Verkehrspolitik macht, die sich sehr auf den inneren Kern der Stadt ausrichtet. Bei kürzeren Strecken sind die Menschen bereit, auf das Fahrrad umzusteigen. Das hilft aber nicht, wenn Sie in Bergedorf oder im Als­tertal wohnen und auf das Auto angewiesen sind. Deswegen haben wir den ideologischen Kampf gegen das Auto nicht mitgemacht. Gerade eine Stadt wie Hamburg ist auf einen funktionierenden Wirtschaftsverkehr angewiesen.

Sie sind seit fast fünf Jahren CDU-Fraktionschef und Oppositionsführer. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Trepoll: Ganz ordentlich. Ich habe mich ja nach kurzer Bedenkzeit entschieden, diese Herausforderung anzunehmen. Es gab sieben Regierungserklärungen, die ich parieren musste, zwei Haushaltsdebatten, einen Bürgermeisterwechsel, Olympia, G 20 und nicht zuletzt die Bezirks-, Europa- und Bundestagswahl. Wir können mit unserer Arbeit als CDU-Fraktion zufrieden sein: Kontrolle der Regierung auch mit pointierter Kritik. Und wir haben eigene Konzepte erarbeitet: Wir haben als Erste das Magistralenkonzept vorgelegt, eine eigene Radverkehrsstrategie, die wir zu einem Mobilitätskonzept ausgebaut haben, und spektakuläre Vorschläge wie die Untertunnelung der Willy-Brandt-Straße oder die Alsterpromenade. Zudem habe ich eine Parlamentsreform angestoßen, und wir haben zusammen mit anderen die Einführung einer Reinigungsgebühr verhindert. Fraktionsvorsitzender zu sein ist eine tolle Aufgabe, ich bin in der ganzen Stadt unterwegs und lerne immer wieder neue Menschen kennen.

Sie gelten als einer der besten Redner des Parlaments. Frustriert es Sie, dass sich die Debattenmeriten so wenig in Unterstützung für die CDU auszahlen?

Trepoll: Mir geht es nicht so sehr um die eigene Leistung, sondern um die Sichtbarkeit des Parlaments. Wenn überhaupt, dann wird häufig nur noch aus der aktuellen Stunde der Bürgerschaft berichtet. Viele im Senat sehen die Parlamentssitzungen eher als Pflichtveranstaltung. Das Parlament ist nicht mehr der Raum, in dem man über Politik debattiert. Das wurmt mich schon sehr als jemand, der seit 16 Jahren Abgeordneter ist.

Zum ersten Mal hat die Bürgerschaft jetzt sechs Fraktionen. Inwieweit haben sich die Streitkultur und das Klima verändert, insbesondere durch die Tatsache, dass auch die AfD der Bürgerschaft seit 2015 angehört?

Trepoll: Die politische Mitte hat es schwieriger, differenzierte Positionen zu erklären, angesichts der Antipoden, die sich links und rechts schnell hochschaukeln. Das spiegelt aber eben den Trend in unserer Gesellschaft wider. Grundsätzlich finde ich den Umgang miteinander gut. Da kennt jeder seine Rolle. Auch wenn wir uns am Pult der Bürgerschaft mal ein bisschen härter zusetzen, kann man sich trotzdem mit allen Kollegen im Anschluss in die Augen schauen. Dass die demokratische Mitte trotz allen Streits zu gemeinsamen Lösungen kommen kann, zeigt das gute Beispiel des Schulfriedens.

Ist es für die Opposition nach dem Bürgermeisterwechsel von Olaf Scholz zu Peter Tschentscher leichter geworden?

Trepoll: Kurzfristig war es sicherlich schwieriger, weil jemand, der neu im Amt ist, eine Schonfrist verdient hat. Olaf Scholz war nach den G-20-Chaostagen deutlich angeschlagen, und ist dann ja auch mit etwas Verzögerung zurückgetreten. Scholz hat nach meiner Einschätzung, was die Führung des Senats angeht, weniger Angriffsfläche geboten. Da waren die Grünen noch der Anbau, oben und unten war klar definiert. Jetzt ist alles in Bewegung und wird sich bis zur Wahl nicht mehr ändern. Und Tschentscher hat keinen Bürgermeister-Bonus.

Sie hatten zu Scholz’ Zeiten beklagt, dass der Bürgermeister die Opposition bei großen Fragen nicht einbindet, sondern praktisch ignoriert. Hat sich das geändert?

Trepoll: Im Wesentlichen nicht. Das scheint auch insgesamt der Regierungsstil der SPD zu sein. Grundsätzlich müssen wir uns in der nächsten Legislaturperiode mit der Frage der Gewichtung von Senat und Bürgerschaft beschäftigen. Wir haben in Hamburg einen überrepräsentierten Senat, die drittgrößte Landesregierung Deutschlands, und ein Parlament, das auf der Ebene der Kontrolle nur sehr schwer mithalten kann. Deswegen auch die Diskussion über Teilzeit- und Vollzeitparlament. Ich bevorzuge dabei ein echtes Teilzeitparlament.

Was meinen Sie damit?

Trepoll: Im Berliner Abgeordnetenhaus ist es so, dass die Parlamentsausschüsse auch tagsüber tagen. Wir hingegen sitzen häufig bis in die späten Abend- und Nachtstunden zusammen, das ist wenig familienfreundlich. Aber letztlich geht es darum, dass die Abgeordneten in der Ausübung ihres Mandats die notwendige Zeit haben, den Senat zu kontrollieren. In den 90er-Jahren wurde das Feierabendparlament abgeschafft und das Teilzeitparlament eingeführt, aber die alten Strukturen sind geblieben, und da müssen wir jetzt ran.

Nach der Bürgerschaftswahl kann es mehrere Koalitionsoptionen geben, bei denen die CDU in die Rolle der Königsmacherin geraten kann. Würde ein Bündnis besser mit der SPD oder den Grünen funktionieren?

Trepoll: Es ergibt wenig Sinn, jetzt darüber zu spekulieren. Ich kann mir grundsätzlich die eine wie die andere Konstellation vorstellen. Ich persönlich muss allerdings sagen, dass Frau Fegebank und die Grünen für mich aktuell kein interessanter Gesprächspartner sind. Das Programm der Grünen ist so mit der CDU nicht machbar: Die Grünen wollen das Parken in ganz Hamburg kostenpflichtig machen, das Schwarzfahren nicht mehr bestrafen, das Vermummungsverbot aufheben, Cannabis legalisieren und das Wahlalter auf 14 Jahre absenken. Das ist kein Programm der bürgerlichen Mitte.

Gibt es da rote Linien?

Trepoll: Wenn man Gespräche führt, führt man Gespräche. Da gibt es keine Vorfest­legungen. Aber auch das politische Gegenüber muss am Ende wissen, was dem potenziellen Partner zuzumuten ist und was nicht. Ich warne davor, so zu verfahren wie bei der Primarschulreform zu Zeiten der schwarz-grünen Koalition. Die wollte in dieser Form damals niemand so wirklich. Deswegen haben die Bürger daraufhin beim Volksentscheid zu Recht gesagt, dann lasst das mal schön bleiben. In einzelnen Politikbereichen muss sich in Koalitionen zum Teil auch die reine Lehre wiederfinden.

Sollte die CDU nicht Teil des Senats werden, beansprucht Marcus Weinberg den Posten des Fraktionsvorsitzenden. Welche Rolle sehen Sie für sich?

Trepoll: Das ist ja das Spannende in der Politik, dass man solche Dinge nicht planen kann. Ich war jetzt fünf Jahre lang Oppositionschef. Das Feedback aus Fraktion und Partei für meine Arbeit ist sehr gut. Ich möchte eine starke Stimme der Hamburger CDU bleiben. Und bin mir mit Marcus Weinberg einig: Wir streben beide an, Verantwortung zu übernehmen.

Aber Sie würden nicht gegen ihn antreten?

Trepoll: Das sind Diskussionen, für die genug Zeit nach den Wahlen ist. Marcus Weinberg ist jemand, der in seiner Arbeit immer klargemacht hat, dass er sehr regierungsaffin ist. Als Bundestagsabgeordneter macht er jetzt auch Regierungsarbeit. Das ist seine große Stärke. Jetzt haben wir alle das Ziel, ihn dabei zu unterstützen, dass er für die CDU Regierungsarbeit in Hamburg übernehmen kann.

Klingt im Umkehrschluss so, als ob Weinberg kein guter Oppositionsführer wäre.

Trepoll: Das würde dann die nächste Fraktion entscheiden. Im Übrigen könnte ich mir zum Beispiel Frau Fegebank in dieser Rolle auch ganz gut vorstellen.

Gilt denn der Grundsatz, dass der Spitzenkandidat das erste Zugriffsrecht hat?

Trepoll: Klar, der Spitzenkandidat hat da seine besondere Rolle.

Sie haben mit der Spitzenkandidatur zur Bürgerschaftswahl eine Zeit lang geliebäugelt und sich dann anders entschieden. Bereuen Sie das?

Trepoll: Nein, das war die richtige Entscheidung. Für mich waren in erster Linie persönliche Gründe ausschlaggebend. Da bin ich mit mir im Reinen.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Bald nach Ihrer Entscheidung gegen eine Spitzenkandidatur haben Sie sich einen Bart stehen lassen. Würden Sie sagen, ein Spitzenkandidat mit Vollbart ist nicht vermittelbar?

Trepoll: (lacht) Andere sprechen schon von einem Hipster-Bart. Die Wahrheit ist ein bisschen profaner: Es gefällt meiner Frau so. Natürlich kann man sagen, alles Private ist auch politisch, aber in meinem Fall gilt das nicht. Vielleicht kommt er auch wieder ab. Was das angeht, bin ich immer für Überraschungen gut.