Hamburg. Die frühere Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg wurde in Altona mit großer Mehrheit zur Nachfolgerin von Liane Melzer gewählt.

Es ist ein Novum in der Hamburger Politik: Erstmals überhaupt stellen die Grünen in der Hansestadt eine Bezirksamtsleiterin. Die frühere Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg wurde am Donnerstagabend in der Bezirksversammlung Altona mit großer Mehrheit zur Nachfolgerin von Liane Melzer (SPD) gewählt, die kürzlich in den Ruhestand getreten war. 33 der 45 Abgeordneten (sechs waren nicht anwesend) stimmten in geheimer Wahl für von Berg, zehn gegen sie, zwei enthielten sich. Außer den Grünen hatten auch SPD und CDU angekündigt, für von Berg zu stimmen.

Ihr Amt als Chefin von mehr als 1000 Mitarbeitern antreten wird die 55-Jährige aber erst zum 1. Dezember, nach der offiziellen Ernennung durch den Senat. In einer ersten Reaktion bedankte sich von Berg für den "Riesen-Vorschuss" derer, die sie gewählt haben, und bot allen anderen auch eine "gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit" an. "Nur gemeinsam können wir die riesigen Herausforderungen im Bezirk Altona meistern."

Stefanie von Berg hat parteiübergreifend einen guten Ruf

Die Neubesetzung ist auch Ausdruck der veränderten Mehrheiten: Die Grünen waren bei den Bezirkswahlen Ende Mai hamburgweit sowie in vier von sieben Bezirken zum Teil deutlich stärkste Kraft geworden – so auch in Altona, wo sie 35,1 Prozent errungen hatten und damit die SPD (20,4) als bislang stärkste Kraft abgelöst hatten. Die CDU war auf 16,6 Prozent gekommen. Anders als in anderen Bezirken legen die Grünen in Altona auf eine feste Koalition keinen Wert, sondern setzen auf wechselnde Mehrheiten. Das dürfte auch der neuen Bezirksamtsleiterin ein großes Maß an Flexibilität abverlangen.

Dabei dürfte ihr zugute kommen, dass sie sich in den knapp acht Jahren im Landesparlament parteiübergreifend einen guten Ruf erarbeitet hat. Kompetent, streitbar und durchsetzungsfähig – dieser Dreiklang charakterisierte die Bürgerschaftsabgeordnete Stefanie von Berg. Dass sie eine leidenschaftliche Politikerin ist, die sich von ihren Überzeugungen leiten lässt, bewies sie bisweilen auch zum Leidwesen von Parteifreunden und Koalitionspartnern.

Unangenehme Oppositionspolitikerin für die Regierenden

Rückblende: Die Leiterin des Studienseminars Stade für das Lehramt an berufsbildenden Schulen blieb politisch im Fach. Sie wurde nach ihrem Einzug in die Bürgerschaft 2011 schulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Die Grünen waren damals in der Opposition und von Berg attackierte Schulsenator Ties Rabe (SPD) ein ums andere Mal in Parlamentsreden und mit kleinen Anfragen.

Wenn die Grüne fand, dass Rabes Behörde ausweichend oder gar nicht auf eine Frage geantwortet hatte, legte sie bei Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) Beschwerde ein. Stefanie von Berg war für die Regierenden eine unangenehme Oppositionspolitikerin – was in einer Demokratie ein starkes Lob ist.

Stefanie von Berg ist bereit, für ihre politischen Überzeugungen zu streiten

In welch großem Maße von Berg bereit ist, für ihre politischen Überzeugungen zu streiten, zeigte sich im Frühjahr 2015 nach der Bürgerschaftswahl und der Einigung von SPD und Grünen auf eine Koalition. Von Berg waren die schulpolitischen Vereinbarungen aus grüner Sicht bei weitem nicht ausreichend, und sie verbarg ihre Kritik und Enttäuschung keinesfalls.

Im Gegenteil: Sie stimmte dem Koalitionsvertrag nicht zu und lieferte gleich einen Beleg dafür, dass sie zugespitzt formulieren kann. „Beim Thema Schule sind wir im Vertrag nicht die grüne Sättigungsbeilage der SPD. Wir sind nicht mal der Salat, sondern höchstens die Petersilie“, gab von Berg damals zu Protokoll. Harter Tobak. Das erfreute die Sozialdemokraten nicht, aber noch weniger die eigenen Parteifreunde, die das Vertragswerk ausgehandelt hatten.

Überzeugte Vertreterin des längeren gemeinsamen Lernens

Von Berg blieb schulpolitische Sprecherin und musste nun mit Rabe in der Koalition zusammenarbeiten. Der Start verlief durchaus holprig, auch weil zwei unterschiedliche Temperamente aufeinandertrafen: der eher bedächtige Rabe und die lebhafte Grünen-Politikerin. Von Berg arrangierte sich, erwies sich aber auch als hartnäckig und beharrlich. Als ihren größten Erfolg sieht sie die Neuordnung der Lehrerbildung mit der Schaffung eines einheitlichen Lehramtes an Gymnasien für alle weiterführenden Schulen, also auch die Stadtteilschulen, an.

Hier war ihre politische Herkunft als überzeugte Vertreterin des längeren gemeinsamen Lernens, also perspektivisch der Schule für alle, deutlich erkennbar. Von Berg hatte sich vor zehn Jahren auch für die Einführung der dann per Volksentscheid gekippten sechsjährigen Primarschule eingesetzt. Die Einigung mit der Volksinitiative „Guter Ganztag“ über den Ausbau der Nachmittagsangebote an Schulen schreibt sie sich ebenso auf ihre Fahnen wie die Verbesserung der Qualität des Schulessens.

Shitstorm nach Bürgerschafts-Rede

Mit ihrer Abgeordnetenzeit ist ein Ereignis verbunden, das bundesweit Wellen schlug. Nachdem sie 2015 in einer Rede vor der Bürgerschaft gesagt hatte, dass es in 20 Jahren in Hamburg keine ethnischen Mehrheiten mehr geben werde und das auch gut sei, stellte die AfD den Redeausschnitt ins Netz. Über Stefanie von Berg brach ein Shitstorm ausländerfeindlicher und rechtsextremer Äußerungen herein. Sie wurde beleidigt, verunglimpft und bedroht. „Davon habe ich mich noch nicht erholt. Ich bekomme noch immer zehn bis 30 Hassmails pro Woche“, bekannte sie im Oktober 2018.

Damals erklärte sie, dass sie ihr Bürgerschaftsmandat niederlegen werde. Der Grund: Die zeitintensive Ausübung des Abgeordnetenmandats und ihre berufliche Beanspruchung seien nicht länger vereinbar. Und noch mit ihrem Abgang „hinterließ“ von Berg eine politische Botschaft: Sie forderte die Reform der Bürgerschaft zu einem Vollzeit-Parlament als Konsequenz aus ihren eigenen Erfahrungen. Die Forderung nach einem Vollzeit-Parlament ist Teil des Regierungsprogramms der Grünen für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020.

Noch ist von Berg die einzige grüne Bezirksamtsleiterin

Jetzt kehrt Stefanie von Berg gerade einmal ein Jahr später auf die politische Bühne zurück, wenngleich als politische Beamtin und nicht als unabhängige Abgeordnete. Neben Durchsetzungsfähigkeit ist nun auch ihr Talent zum Ausgleich der Interessen und zur Konsensfindung gefragt. Und bei der Schulplanung im Bezirk sitzt auf der anderen Seite künftig wieder ein guter Bekannter: Schulsenator Ties Rabe.

Das Alleinstellungsmerkmal als einzige grüne Bezirksamtsleiterin wird Stefanie von Berg nicht lang behalten. Noch im Herbst wird mit Katja Husen in Eimsbüttel eine zweite grüne Bezirkschefin gewählt. Auch Hamburg-Nord dürfte bald eine grüne Amtsleitung bekommen.