Hamburg. Leidenschaftliche Debatte in der Bürgerschaft: Doch was kann Hamburg zur Lösung eines globalen Problems beitragen?
Der rot-grüne Senat will bis Jahresende einen umfangreichen „Klimaplan“ vorlegen, die CDU fordert ein Klimaschutzgesetz (das SPD und Grüne auch wollen), und die Linkspartei will sogar den Klimanotstand ausrufen lassen – keine Frage: Der Klimawandel mit all seinen realen Auswirkungen, düsteren Prognosen und dem Streit um mögliche Lösungen beherrscht nicht nur bundesweit die Schlagzeilen, er wird auch eines der Top-Themen vor der Bürgerschaftswahl am 23. Februar.
Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwochvormittag im Bundestag einen „gewaltigen Kraftakt“ in Sachen Klimaschutz angekündigt hatte, stürzte sich am Nachmittag auch die Bürgerschaft mit Leidenschaft in eine von den Grünen angemeldete Aktuelle Stunde zu dem Thema.
„Der Amazonas brennt, die Polkappen schmelzen und Deutschland verdörrt“, eröffnete Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks die Debatte. „Das sind Nachrichten, die uns zum Handeln auffordern.“ Doch während Hamburg mit dem beschlossenen Kohleausstieg, der angeschobenen Verkehrswende, der Decarbonisierung der Industrie und dem neuen Klimafonds voranschreite, gebe es in der CDU-geführten Bundesregierung ein „Handlungsdefizit“, kritisierte Tjarks. Das könne sich die Gesellschaft aber nicht leisten, denn: „Weder die Grüne Partei noch die Hamburgische Bürgerschaft werden den Klimawandel aufhalten, dafür brauchen wir einen großen Gesellschaftsvertrag.“ Alle politischen Parteien, gesellschaftlichen Gruppen und die gesamte Wirtschaft mit den Sektoren Industrie, Wohnen, Verkehr und Landwirtschaft müssten diese „große Herausforderung für die Menschheit“ gemeinsam meistern.
SPD steht zu den Klimazielen von Paris
Bemerkenswert: Während sich nach Tjarks Rede beim Koalitionspartner SPD kaum eine Hand rührte, was unterstrich, dass die beiden Parteien mit Blick auf die Wahl nicht nur bei dem Thema eben auch Konkurrenten sind, lobte ausgerechnet der bei der SPD nicht sonderlich wohlgelittene Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) später, dass „dieser Senat unter Bürgermeister Tschentscher“ beim Klimaschutz vorangehe.
Das hob auch SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hervor und erinnerte an Tschentschers Vorstoß, in einem Bündnis mit der Industrie Maßnahmen für den Klimaschutz zu vereinbaren. „Wir stehen zu den Klimazielen von Paris und werden bis 2030 den CO2-Ausstoß in unserer Stadt gegenüber 1990 um 55 Prozent senken“, so Kienscherf. Er verstehe die Ungeduld vieler junger Menschen, die im Rahmen der Bewegung „Fridays for Future“ auf die Straße gehen (für den 20. September ist erneut ein „globaler Klimastreik“ angekündigt), weil ihnen die Bekämpfung des Klimawandels zu lange dauere: „Wir unterstützen das.“ Er erwarte von der Bundesregierung, dass das „Klimakabinett“ am 20. September endlich Beschlüsse fasse: „Wir müssen in ganz Deutschland gemeinsam aufs Tempo drücken“, so Kienscherf. Der Netzausbau sowie der Ausbau der Windenergie müssten endlich wieder vorangetrieben werden.
Umweltsenator Kerstan reagiert erbost auf Kritik
Stephan Gamm (CDU) hielt dagegen: „Dieser rot-grüne Senat ist klimapolitisch weitgehend handlungsunfähig.“ Die bisherigen Maßnahmen seien „äußerst dürftig“, und der lange angekündigte Klimaplan verzögere sich immer wieder und solle nun mitten im Wahlkampf vorgelegt werden, was eine sachliche Debatte erschwere. Den bundesweiten Netzausbau würden in Wahrheit in vielen Kommunen die Grünen wegen der Eingriffe in die Umwelt blockieren, so der CDU-Politiker. Und in Hamburg sei die Ökopartei wegen der Verzögerungen beim Fernwärmekonzept dafür verantwortlich, dass das alte Kohlekraftwerk Wedel (Gamm: „Dreckschleuder“) doch noch länger am Netz bleibe.
Das rief erneut Umweltsenator Kerstan erbost auf den Plan. Der „entscheidende Punkt“, warum die Energiewende in Deutschland ins Stocken geraten sei, sei die von der Bundesregierung gedeckelte Förderung für alternative Energien. Hamburg brauche aber viel mehr Windenergie, um künftig auch den großen Strombedarf der Industrie decken und etwa grünen Wasserstoff herstellen zu können. „Volkswirtschaftlicher Unsinn“, konterte Gamm. Schon jetzt produziere Schleswig-Holstein mehr Windstrom, als im Norden abgenommen werden könne.
Die Linke fordert sozial gerechte Energiewende
Diesen Schlagabtausch nahm Andrea Oelschläger (AfD) aufs Korn: „Wenn jeder die Schuld auf den anderen schiebt, geht es gar nicht voran. Das ist albern, das ist Wahlkampf.“
Stephan Jersch (Linke) warb dafür, ähnlich wie in anderen Städten, auch in Hamburg den Klimanotstand auszurufen, um höhere Investitionen in dem Bereich zu ermöglichen. Positiv sei zwar, dass der Klimawandel und die nötige Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad unumstritten seien. „Traurig“ sei hingegen, dass sich die Parteien nur „um die beste Klimaschlagzeile“ streiten und vor allem sagen würden, was nicht geht. Allerdings markierte auch Jersch eine rote Linie: „Die sozial gerechte Gestaltung der Energiewende ist für uns ein absolutes Muss.“
Das sei wieder „typisch linke Bedenkenträgerei“, kritisierte Kurt Duwe (FDP). Die Partei wolle zwar das Weltklima retten, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Rot-Grün in der Bürgerschaft riet er, nicht nur kleinteilige Konzepte für mehr Klimaschutz anzupreisen, sondern sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: „Wir müssen dafür sorgen, CO2 möglichst effizient einzusparen.“ Bei der Stadtentwicklung müssten Klima-Phänomene wie vermehrte Starkregenereignisse und Hitze stärker berücksichtigt werden. Doch auch der FDP-Politiker hatte eine Forderung, was nicht geschehen dürfe: „Klima-Sozialismus brauchen wir nicht.“