Hamburg. Die FDP fordert den Senat auf, neue Nutzungsmöglichkeiten vorhandener Flächen zu prüfen. Vorbild ist Berlin.

Der vertikale Pass ist spätestens seit der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 als Alternative jener Quer- oder Rückpässe bekannt, die damals die deutsche Nationalelf in Russland erfolglos pflegte. Geht es nach dem Willen der FDP-Bürgerschaftsfraktion, soll Hamburg nun auch beim Bau seiner Sportanlagen steil gehen, sie in luftigen Höhen auf Dächern bestehender Gebäude planen. Daniel Oetzel (31) jedenfalls, sportpolitischer Sprecher der Liberalen, hat mit seinen Kollegen einen entsprechenden Antrag an die Bürgerschaft gestellt.

Der Senat solle „im Rahmen eines Modellprojekts prüfen, welche besondern Anforderungen bei der Errichtung vertikaler Sportflächen zu beachten sind und welche Grundstücke sich in Hamburg dafür konkret eignen“. Am Mittwoch könnte im Parlament über den Vorschlag abgestimmt werden.

Gewerbe, Wohnungsbau, Sport und Natur konkurrieren in Hamburg seit Jahren um die weniger werdenden freien Flächen. Ein bekannter Sündenfall bleibt die HafenCity, in der bis heute kein normgerechtes Fußballspielfeld existiert (Abendblatt berichtete). In anderen neuen Quartieren wie am Diebsteich, dort soll ein Regionalliga-Fußballstadion entstehen, und der Neuen Mitte Altona wird der Sport inzwischen mehr oder weniger mitgedacht oder ist wie in Oberbillwerder sogar Ausgangspunkt der Planungen.

Vorbild ist der „Fußballhimmel“ in Berlin

„Eine Lösung zum Ausgleich verschiedener Bedarfe könnten vertikale Sportflächen darstellen“, sagt FDP-Politiker Oetzel. „Anstatt in der Breite Flächen entweder nur als Wohn- oder Gewerbefläche zu bewirtschaften und dabei eine sportliche Nutzung zu verdrängen, könnten künftig die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten übereinander gebaut und damit mehrere Bedarfe in einem Komplex realisiert werden.“

Das geschieht zum Teil bereits. Schulsporthallen werden heute in Hamburg auch zwei- oder dreistöckig geplant und gebaut – wie etwa die doppelgeschossigen Hallen der Stadtteilschule an der Neustädter Straße und des Gymnasiums Hoheluft – oder wandern unter die Erde. Ein bundesweit viel zitiertes Beispiel ist die Spielstätte der SG Blau-Weiß Friedrichs­hain in Berlin.

Auf dem Dach eines Großmarktes entstand vor 13 Jahren in der Nähe des Ostbahnhofes in zwölf Metern Höhe ein 8750 Quadratmeter großer Kunststoffrasenplatz mit einer Tribüne für 300 Zuschauer. Die Berliner nennen ihn den „Fußballhimmel“. Passenderweise ist am Sonntag, gewöhnlicherweise einer der Hauptspieltage im Amateurfußball, Ruhetag, weil dann die Metro geschlossen ist. Auch die Windverhältnisse sind gewöhnungsbedürftig. Weder Bäume noch Hauswände bieten Schutz, wenn es stürmt oder gewittert, ruht aus Sicherheitsgründen der Spiel- oder Trainingsbetrieb. Dass hin und wieder Bälle über die Zäune fliegen, hat bislang zu keinen unlösbaren Problemen geführt.

Ziel: Viele Sportflächen auf immer engerem Raum

Die Handelskammer Hamburg hatte schon vor Jahren dieses Projekt aufgegriffen und vorgeschlagen, auf dem Me­tro-Großmarkt Altona (Plöner Straße) ein Spielfeld zu errichten – um in dem Gebiet mehr Platz für Wohnungen und Gewerbe zu schaffen. Diesem Gedanken wurde bisher nicht weiter nachgegangen. „In einer verdichteten Großstadt müssen wir auch innovative Modelle verfolgen, um möglichst viele Sportflächen zu realisieren“, sagt jetzt Innen- und Sportsenator Andy Grote (SPD). „Wo immer es geht, sind aber ebenerdige Sportanlagen, die für jedermann leicht zugänglich sind, die deutlich bessere Option.“

Martin Brinkmann ist geschäftsführender Gesellschafter der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbh (steg). Seine Bedenken sind ebenfalls grundsätzlicher Art: „Den Berliner Projekten fehlt nach unseren Recherchen oft der richtige Bezug/Zugang zum sozialen Umfeld. Dadurch wird der Sport isoliert, verliert einen Großteil seines sozialen Bindekitts. Bei Planung solcher Anlagen in der ‚Höhe‘ bleibt das eine Herausforderung, und das hat natürlich auch viel mit der Nutzung im Gebäude zu tun.“

In Teilen Südamerikas, erzählt Brinkmann, entstünden eine Reihe interessanter „Sporthäuser“ am Rande vernachlässigter Quartiere, die dem Bewegungsdrang von Kindern, Jugendlichen und Jungerwachsenen Raum geben und das soziale Gefüge stärken, „weil die Nutzer und Nutzerinnen sich selbst in diesen Häusern organisieren müssen“.

Unterirdische Plätze als Alternative?

Eine Alternative zum sportlichen Turmbau wäre es, Gewerbe und Sport unter die Erde zu bringen. Helsinki ist dafür ein Beispiel. Mehr als 400 unterirdische Bauten gibt es in der finnischen Hauptstadt bereits, darunter eine Müllanlage, den weltweit größten unterirdischen Busbahnhof, ein Rechenzentrum, Nordeuropas größte Shoppingmall, eine Leichtathletik-Laufbahn, eine Eishalle als Trainingsstätte der führenden Eishockeyteams des Landes und eine Kirche.

Ein Fußballverein im Bezirk Nord plant seit Längerem Ähnliches. Ein Rechenzentrum soll unter seinen Sportplatz ziehen, die Firma will dem Club dafür einen Kunststoffrasenplatz bauen, die Anlage modernisieren. Dass der Bebauungsplan nur die sportliche Nutzung erlaubte, für das Erdreich darunter keine Regelung vorsah, stellte sich anfangs als Hindernis heraus. Inzwischen ist dieses Problem auch mithilfe der Stadt gelöst. Demnächst wollen Verein und Investor an die Öffentlichkeit gehen.

„Was in Hamburg nach wie vor an vielen Stellen und in vielen Köpfen fehlt, auch bei der Nutzung bestehender oder in Planung befindlicher Sportanlagen, ist der Wille vieler Beteiligter zur Kooperation und zur Suche nach kreativen Lösungen. Damit könnte viel mehr Nutzen gestiftet und die Angebote auf bestehenden Flächen/Sportanlagen ausgeweitet werden, als sich auf Dächern oder im Keller und damit auch in teuren Lösungen zu verkriechen“, sagt Brinkmann.