Hamburg. SPD und Grüne fordern mehr Transparenz bei Berechnung von Bonität. Sonst drohten Verhältnisse wie in China.
Bei Vertragsabschlüssen und Einkäufen werden die Menschen heutzutage meist automatisch auf ihre Zahlungsfähigkeit (Bonität) geprüft. Das gilt vor allem, aber nicht nur für Käufe im Internet. Führender Anbieter von Bonitätsprüfungen, dem sogenannten Scoring, ist in Deutschland die Schufa, es gibt aber auch andere Auskunftsdateien, die diese Leistung anbieten.
Das Problem dabei: Es ist für die betroffenen Menschen immer weniger nachvollziehbar, nach welchen Kriterien ihr Bonitätswert (Score) festgelegt wird – denn durch die Digitalisierung stehen immer mehr Daten über alle Bürger zur Verfügung. Diese fallen bei jeder Bewegung im Netz an. Nicht nur soziale Medien wie Facebook speichern jeden Click und wissen mittlerweile anhand der Datenmassen, die ihre Nutzer hinterlassen, nicht nur sehr viel über deren persönliche Vorlieben, ihren Film- und Musikgeschmack oder ihre sexuelle Orientierung – sondern auch über ihre Finanzkraft. Auch für Plattformen wie Amazon sind ihre Kunden weitgehend gläsern.
Keine Reisen, keine Anstellungen bei negativem Score
Mancher fürchtet deshalb bereits, dass auch in Deutschland und Europa irgendwann Zustände wie in China herrschen könnten, wo der Staat derzeit ein umfassendes Bewertungssystem aufbaut, in das nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale und politische Aspekte einfließen. Folge: Wer negativ auffällt und einen schlechten „Score“ aufweist, dem können Reisen oder Anstellungen verweigert werden, oder er bekommt nicht die gewünschte Wohnung.
Zwar ist man in Deutschland wohl noch etwas entfernt von solchen Horrorszenarien – vor allem von der staatlichen Nutzung solcher Systeme. Allerdings ist auch hier kaum noch erkennbar, wie die Bonitätsbewertungen der Auskunfteien zustande kommen. So werten manche Algorithmen wohl längst auch die Vor- und Nachnamen aus und ziehen daraus mithilfe von statistischen Wahrscheinlichkeiten Schlüsse für die finanzielle Situation. Auch der Wohnort gilt als ein Kriterium für die finanzielle Lage.
Gesetzliche Klarstellung zur Datenberechnung
Die Hamburger SPD will nun zusammen mit den Grünen für mehr Transparenz in diesem Bereich sorgen. In einem Antrag, der am Mittwoch in der Bürgerschaft debattiert werden soll, fordern die Regierungsfraktionen den eigenen Senat auf, bis Jahresende zu berichten, „wie und mit welchem Erfolg er sich bisher auf Bundesebene für ein besseres Auskunftsrecht für Verbraucherinnen und Verbraucher bei Auskunfteien und Scoring-Unternehmen sowie einen sachgerechten Umgang mit algorithmenbasierten Verfahren eingesetzt hat“.
Zudem solle der Senat klären, „wie dabei auch die Transparenz der Gewichtung der zur Berechnung des Scoringwertes verwendeten Daten einbezogen wurde“. Auch soll der Senat darlegen, „wie er sich für eine gesetzliche Klarstellung darüber einsetzt, welche Daten zur Berechnung eines Scorewertes herangezogen werden dürfen“, heißt es in dem Antrag.
Besseres Auskunftsrecht
„Scoring betrifft sehr oft besonders sensible Lebensbereiche: z. B. bei der Kreditvergabe oder Vertragsabschlüssen“, sagte SPD-Wirtschafts- und Digitalpolitiker Hansjörg Schmidt, der den Antrag federführend verfasst hat. „Es kann nicht sein, dass zum Beispiel nur weil man in einem vermeintlich ärmeren Viertel wohnt, auf einmal nichts mehr im Internet bestellen kann. Deshalb brauchen wir ein besseres Auskunftsrecht für Verbraucherinnen und Verbraucher bei Auskunfteien und Scoring-Unternehmen und zwar so, dass die Menschen die Auskunft auch verstehen.“
Wenn „künstliche Intelligenz und Machine-Learning“ in Zukunft noch stärkeren Einfluss auf die Bonitätsüberprüfungen gewönnen, müsse „gesetzlich klarer gefasst werden, welche Daten zur Berechnung eines Scorewertes herangezogen werden dürfen“, so Schmidt. „Gerade im Hinblick auf die Entwicklungen in China müssen wir einen ,Super-Score‘ verhindern.“
Kein Anspruch auf detaillierte Erläuterungen
Die Verbraucherinnen und Verbraucher könnten sich über die Scoring-Verfahren bei den Unternehmen zwar schon heute informieren, heißt es in dem Bürgerschaftsantrag. „Aber an der Onlinekasse erfahren sie weder, ob sie gescort werden, noch mit welchem Ergebnis.“ Man könne zwar eine kostenlose Selbstauskunft anfordern, „einen Anspruch auf detaillierte Erläuterungen zum Zustandekommen des Wertes, also die Beantwortung der Frage, welche Daten wie gewichtet werden, gibt es nach geltender Rechtslage jedoch nicht“. Jeder Bürger müsse aber künftig „das Recht haben zu erfahren, welche wesentlichen Merkmale in die Berechnung der eigenen Bonität eingeflossen sind und wie diese gewichtet werden“.
SPD-Politiker Schmidt wies darauf hin, dass ein Gutachten zum Scoring kürzlich vom Sachverständigenrat an Justizministerin Katarina Barley (SPD) übergeben worden sei. Auch darin sei die Forderung nach mehr Transparenz erhoben worden. Für das dritte Quartal 2019 habe die von der Bundesregierung eingesetzte Daten-Ethikkommission einen Bericht zum „Umgang mit algorithmenbasierten Verfahren“ angekündigt.
Auch dessen Ergebnisse müssten in die Überlegungen zum besseren Verbraucherschutz einbezogen werden. Zwar seien die Entwicklungen in China besonders erschreckend, heißt es aus der SPD. Allerdings gebe es mittlerweile auch bei einigen deutschen und europäischen Unternehmen bereits den Wunsch, einen übergeordneten Gesamtscore für Kunden zu errechnen. Dem müsse die Politik dringend ein Riegel vorschieben.