Hamburg. Anja Domres führt die SPD Hamburg-Nord – und als Co-Chefin den Verfassungsschutz. Ihr Mann leitet die Fraktion. Das stößt auf Kritik.
Wie weit weg Olaf Scholz mittlerweile ist, zeigt sich daran, dass sie ihm in Berlin schon einen neuen Spitznamen verpasst haben. „Die rote Null“ taufte die „taz“ den früheren Bürgermeister jetzt auf ihrer Titelseite – aus Enttäuschung über dessen ersten als Bundesfinanzminister vorgelegten Haushalt. In Hamburg entfalten sich derweil die Kollateralschäden seines so lange ausgeschlossenen Abgangs. Vor allem im SPD-Kreis Nord zeigt sich, was passieren kann, wenn ein allmächtig wirkender Senats- und Parteichef abdankt, ohne sein Erbe ordentlich geregelt zu haben: Mit dem königlichen Frieden ist es schnell vorbei, und das Parteivolk schreitet zur Saalschlacht.
In Nord musste wegen des Scholz-Weggangs nämlich der langjährige SPD-Kreischef Peter Tschentscher holterdiepolter vom Parteiamt zurücktreten – weil er überraschend selbst den Bürgermeister geben muss. Da bleibt einfach keine Zeit mehr für das Schlichten von Genossen-Zoff zwischen Eppendorf und Barmbek-Uhlenhorst. Der brach im Kampf um die Nachfolge des Nachfolgers dafür gleich umso heftiger aus.
Kleinow wollte Tschentscher als Kreischef beerben
Die Hauptrolle spielte dabei zunächst ein 37 Jahre alter Intensivstudent: Alexander Kleinow, einst CDU-Mitglied und seit vielen Jahren mit seinem ersten Jura-Staatsexamen beschäftigt, wollte den habilitierten Mediziner Tschentscher als Kreischef beerben – sehr zum Unmut mancher Nord-Genossen. Die werfen Kleinow vor, beruflich nichts auf die Kette zu kriegen und daher von der Politik abhängig zu sein. Und sie erwähnen mit Vorliebe, welch dubiose Rolle der Jurastudent beim Streit um die Busbeschleunigung gespielt habe. Dabei habe sich Kleinow unter falschen Identitäten in Facebook-Gruppen der Initiative gegen die Busbeschleunigung angemeldet – um dort mit Provokationen für Unfrieden zu sorgen. Bei Gesprächen mit dem damaligen SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel habe die Initiative Beweise für die seltsamen Methoden des SPD-Mannes vorgelegt: Sie hatte ihn per IP-Adresse identifiziert.
Um den digitalen Hobby-Schlapphut Kleinow (der sich inzwischen für sein Verhalten entschuldigt hat) zu verhindern, entschloss sich der Barmbeker Bürgerschaftsabgeordnete Sven Tode zur Kandidatur für den Kreisvorsitz. Zusammen mit Kleinow zog dann aber der Eppendorfer Distriktschef Sebastian Haffke eine neue Kandidatin aus dem Ärmel: Anja Domres, Ehefrau des SPD-Nord-Fraktionschefs Thomas Domres und Vizechefin des Hamburger Verfassungsschutzes. Die Juristin setzte sich schließlich vor einer Woche mit 55 zu 37 Stimmen gegen den überrumpelten Historiker Tode durch. Damit aber waren die Probleme mitnichten beendet.
Die Rede ist bereits von den Nord-„Corleones“ und „Unseren Domres“
Denn nun werden ganz andere Fragen diskutiert. Erstens: Ist es okay, dass ein Ehepaar mit Partei- und Fraktionsvorsitz die wichtigsten Ämter unter sich aufteilt? Führen die Familienbande womöglich dazu, dass Domres ihrem Mann 2020 ein Bürgerschaftsmandat zuschanzt? Manche sprechen mit Blick auf „Der Pate“ von den Nord-„Corleones“ – oder in Anlehnung an die Serie „Unsere Drombruschs“ von „Unseren Domres“.
Zweitens: Wieso reißen sich ausgerechnet die Eppendorfer die wichtigsten Ämter im Kreis unter den Nagel, obwohl die doch immer die schlechtesten Wahlergebnisse in Nord holen und oft sogar hinter den Grünen landen?
Der dritte Punkt berührt eine Grundsatzfrage politischer Hygiene: Ist es in Ordnung, dass jemand, der hauptberuflich einen Geheimdienst mitführt, zugleich intensiv Parteipolitik betreibt?
Jarchow: "Domres begibt sich in eine Zwickmühle"
Nein, sagen Rechtsexperten und Opposition. „Die Gefahr von gravierenden Interessenkollisionen liegt auf der Hand“, sagt der renommierte Jurist Gerhard Strate. „Der Verfassungsschutz hat neben seiner Aufgabe der Beobachtung von extremistischen Bestrebungen vor allem auch umfassende Kompetenzen in der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen arbeiten.“ So gewonnenes „Herrschaftswissen“ könne Domres „bei Entscheidungen des Parteivorstandes nicht ausblenden, selbst wenn sie nichts ausplaudert“. Verfassungsjurist Ulrich Karpen (CDU) wird noch deutlicher. „Aus verfassungsrechtlicher Sicht geht das so nicht“, sagt Karpen. „Jeder Beamte ist zu politischer Zurückhaltung aufgerufen. In dem sehr herausgehobenen und wichtigen Amt der Leitung des Verfassungsschutzes ist parteipolitische Neutralität sogar absolut unabdingbar.“
Auch der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollausschusses (PKA) zur Kontrolle des Verfassungsschutzes, Dennis Gladiator (CDU), sagt: „In vielen Führungspositionen des Staatsdienstes ist politische Neutralität dringend geboten. Für den Verfassungsschutz gilt das ganz besonders.“ Für FDP-Innenpolitiker Carl Jarchow begibt sich Domres „in eine Zwickmühle – in doppelter Hinsicht“. Zum einen könne es schwierig werden, die gebotene politische Neutralität zu wahren. Zum anderen sei jemand, der für den Verfassungsschutz verantwortlich ist, formal verpflichtet, in manchen Fällen auch Erkenntnisse aus Parteisitzungen an die Sicherheitsbehörden zu melden.
Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider sieht die Kombination ebenfalls kritisch. „Jemand, der für einen Geheimdienst verantwortlich ist, sollte sich im politischen Meinungskampf zurückhalten“, so Schneider. Es bestehe immer die Möglichkeit, durch das Amt beim Geheimdienst Zugang zu geheimen Unterlagen zu bekommen, die sich in der Politik verwerten lassen könnten. „Gerade deswegen ist hier große parteipolitische Zurückhaltung geboten.“
Das Ganze wirft kein gutes Licht auf den Bürgermeister
Anja Domres selbst sieht dagegen keine Probleme. „Ich habe das vorher abklären lassen, und es wurde auch intern als unproblematisch gesehen, dass ich neben meinem Beruf noch ein Ehrenamt anstrebe“, sagt sie. „Es gibt da ja auch keinerlei Überschneidungen.“
Auch die familiäre Kombination sei in Ordnung. „Es geht ja um zwei voneinander unabhängige Ehrenämter. Als Kreisvorsitzende habe ich keinen Einfluss darauf, wen die Fraktion zu ihrem Vorsitzenden wählt“, so die gebürtige Osnabrückerin. „Und die Kandidaten für die anstehenden Wahlen werden von einem Parteigremium und nicht von mir aufgestellt.“ Sie sei im Übrigen in Kenntnis aller Fakten gewählt worden. „Da ich bisher nicht an Auseinandersetzungen im Kreis beteiligt war und auch kein öffentliches Mandat anstrebe, traue ich mir zu, den Kreis Nord wieder zusammenzuführen.“
Dass das nach den vergangenen Wochen schnell gelingt, ist unwahrscheinlich. Der unterlegene Sven Tode weist intern nach wie vor darauf hin, dass es die Diskussionen über Familienfilz und Doppelrolle im Fall seiner Wahl nicht gegeben hätte – und hofft womöglich auf eine zweite Chance. Vor allem einfache Genossen sehen die jüngsten Schlammschlachten derweil mit Unbehagen. Das Ganze wirft nebenbei auch kein gutes Licht auf den neuen Bürgermeister Peter Tschentscher.
„Es ist schwer nachvollziehbar, dass er seine Angelegenheiten in Nord nicht ordentlich geregelt und solche Deals zugelassen hat“, schreibt ein Genosse dem Abendblatt, der aber nicht namentlich genannt werden will. Ein anderer weist nebenbei auf ein vermutlich zentrales Motiv für das Handgemenge hin. „Da ist die nackte Angst ausgebrochen“, so der SPD-Mann. „Nach den Umfragen verlieren wir 2020 womöglich jedes dritte Bürgerschaftsmandat. Das gibt harte Kämpfe um die sicheren Plätze. Denn für viele geht es bei der Wahl um ihre wirtschaftliche Existenz.“