Hamburg. Der Innensenator diskutiert in der Schanze über den G20-Gipfel –mit überraschenden Erkenntnissen.
Pünktlich und entschlossen schreitet Andy Grote (SPD) mit seinen Leibwächtern in Richtung Podium – er will sich hineinlächeln in diesen Termin, einen der schwersten der vergangenen Monate. Beim „taz Salon“ im Kulturhaus 73 im Schanzenviertel lieferte sich ein angriffslustiger Innensenator am Dienstagabend Wortgefechte mit Vertretern der linken Szene zu G-20-Gipfel, Gewalt und politischer Aufarbeitung – keine 20 Meter Luftlinie von der Roten Flora entfernt.
Die „Nachbarn“ der linken Trutzburg schicken gleich einen sarkastischen Willkommensgruß: Aus Boxen dröhnt durchgehend Helikopterlärm herüber, es soll an den Ausnahmezustand bei G 20 erinnern. Auch die Moderatorin und „taz“-Journalistin Lena Kaiser beginnt unbequem: Wie er es eigentlich geschafft habe, sich im „Sattel zu halten?“, fragt sie den Innensenator. Da johlen sie, die vielen jungen Linken in Kapuzenpullovern im Saal, einige rufen schon „Rücktritt“, bevor Grote ein erstes Wort gesagt hat.
Andern Grote sieht Zeit für Selbstkritik gekommen
„Anstrengend war es nicht, im Amt zu bleiben“, sagt Grote. Aber die Geschehnisse beschäftigten ihn noch immer sehr. „Es waren sehr, sehr schmerzhafte, bittere Bilder.“ Es sei die Zeit für Selbstkritik, auch für Politik und Polizei. Dennoch betont Grote, dass angesichts der schweren Krawalle im Schanzenviertel „noch ganz andere Entwicklungen“ denkbar gewesen wären. Dass beim G-20-Gipfel niemand irreparable Verletzungen davongetragen habe und niemand gestorben sei, das sei „nicht selbstverständlich“. Grote legt die Krawatte zur Seite.
Die Sympathien des Publikums liegen bei den übrigen Gästen: Die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Schneider (Linke) sagt in ihrer ersten Wortmeldung, dass sie dem Senat seine Version nicht glaube, nach der die Polizei im brennenden Schanzenviertel nicht früher hätte eingreifen können: „Ich behaupte, dass das Teil einer Planung war.“ Für einen Moment übertönt der Applaus ohne Mühe den falschen Helikopterlärm.
Anwalt spricht von eklatanten Missständen beim Gipfel
Der Anwalt Lino Peters, der mehrere Festgenommene an jenen Tagen im Juli vertrat, spricht von eklatanten Missständen: Gefangene hätten keinen Anwalt konsultieren dürften, seien mit ständiger Beleuchtung am Schlafen gehindert worden; auch gebe es Hinweise, die auf politische Einflussnahme auf die Justiz hindeuteten.
Wieder lächelt Grote, aber diesmal antwortet er scharf: „Ich wundere mich, was Sie als Anwalt für ein Verständnis von Rechtsstaat und Verfassungsrechten haben.“ Er weist auch darauf hin, dass die linke Szene den Namen einer Staatsanwältin eines G-20-Prozesses, ihres Ehemanns und der Wohnadresse verbreitet habe. „Diese Art, Druck auszuüben, kenne ich sonst nur aus Sizilien.“
Grote: Rote Flora war kein Oberkommando der Gewalttäter
Grote hebt die Wasserflasche und freut sich sichtlich über die eigene Formulierung. Der GAL-Mitbegründer und Radikalisierungsexperte Kurt Edler versucht, die Krawalle wissenschaftlich zu analysieren: „Die Grenze zwischen aktiver Gewaltbereitschaft und Gewaltakzeptanz ist so verschwommen, dass es zu einem Ausnahmezustand kam.“
Edler kritisiert, dass viele auch die sinnlose Gewalt „legitimieren“ wollten, spricht dabei direkt auf das aufgebrachte Publikum ein – „sülz hier nicht rum“, ruft einer zurück. Grote schüttelt den Kopf, räuspert sich, spricht in ruhigem Ton. Wie er es denn nun halte mit der Roten Flora?, will die „taz“-Journalistin Katharina Schipkowski wissen. Auf einmal redet Grote in die Stille hinein, kein Dröhnen mehr von gegenüber. „Nach unserem jetzigen Bild“, so Grote, hätten die Besetzer massiv mobilisiert, einen Ort der Vernetzung und Logistik angeboten, aber nicht als Oberkommando für die Gewalttäter fungiert.
Stadt brauche selbstverwaltete linke Räume „dringend“
„Die Flora hat die Krawalle befeuert, aber nicht gesteuert“, sagt Grote. Und fügt etwas Bemerkenswertes an: „Ich bin der Meinung, dass die Stadt selbstverwaltete linke Räume dringend braucht und diese auch nicht auf der Linie des Senats sein müssen.“ Die Rote Flora müsse aber dringend ihr Verhältnis zur Gewalt klären.
Es sei noch zu früh, endgültige Feststellungen zu treffen. „Man sollte mit Konsequenzen und Schlussfolgerungen vorsichtig sein.“ Das klingt nach einem ganz anderen Umgang mit der Trutzburg, als Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) direkt nach dem Gipfel angekündigt hatte.
Auf dem Podium versuchen sie ein Fazit zu ziehen. Nein, der Gipfel sei für die Linken kein Erfolg gewesen, sagt Christiane Schneider von der Linkspartei. Zwar habe sie viel friedlichen, bunten Protest gesehen. Aber es werde viele Gefängnisstrafen geben, die Gewalt habe die guten Anliegen überschattet.
Auf die Belastungen für die Hamburger beim G-20-Gipfel angesprochen, sagte Grote, dass zu dieser Zeit seine schwangere Frau zu Hause auf St. Pauli ebenfalls den Hubschrauberlärm gehört habe. Der Innensenator: „Wir haben den Menschen mehr zugemutet, als man eigentlich kann.“