Hamburg. Die Abendblatt-Reporter berichten von den Wahlpartys der sechs Bundestagsparteien. In Eimsbüttel muss die Polizei kommen.
Grenzenloser Jubel bei der FDP, lange Gesichter bei SPD und CDU, verhaltene Freude bei den Grünen und den Linken – verschlossene Türen bei der AfD. Die SPD traf sich im Kurt-Schumacher-Haus, die CDU in der Parteizentrale am Leinpfad, die FDP im 25 hours Hotel in der HafenCity, die Linke im Clubhaus im Schanzenpark und die Anhänger der Grünen feierten im Knust im Schanzenviertel. Die AfD-Mitglieder feierten an geheim gehaltenen Ort unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die Eindrücke im Minutentakt:
17.15 Uhr (FDP): Um 17.30 Uhr sollte die Wahlparty beginnen, doch schon eine Viertelstunde vorher ist es so voll, dass die Organisatoren überlegen, einen zweiten Saal zu mieten. Man will mitjubeln: Immerhin wird entspannt ein Ergebnis um zehn Prozent erwartet. Nur einer ist weniger entspannt: Der Bürgerschaftsabgeordnete Wieland Schinnenburg steht auf Platz zwei der Landesliste; sollten die Liberalen ein Ergebnis von elf, zwölf Prozent schaffen, hätte er Chancen. „Es wird lang und spannend werden heute Abend“, so Schinnenburg. FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding kann sicher sein, dass sie in Berlin Politik macht. Sie feiert in der Hauptstadt.
Bundestagswahl in Hamburg: Die besten Bilder
17.32 Uhr (Grüne): Gedämpfte Stimmung herrscht im Knust schon vor Schließung der Wahllokale. Unter der Hand gehandelte Prognosen geben den Grünen zwischen sieben und acht Prozent. Nach und nach füllt sich die Musikkneipe. Es gibt Astra vom Fass für drei Euro, Bratwurst für zwei Euro - Saalwette für grüne Prozente für einen Euro.
17.35 Uhr (CDU): Die CDU feiert im Garten der Parteizentrale am Leinpfad. Das Festzelt am Kanal füllt sich langsam. Die Stimmung schwankt zwischen Siegeszuversicht und Bauchgrimmen – Angst vor einem hohen AfD-Ergebnis.
Gaulands Worte "ekelhaft"
17.47 Uhr (AfD): Eine kleine Gruppe um Fraktionschef Bernd Baumann betritt das Rathaus und eilt zu Raum 15. Dort läuft auf einer Leinwand die ARD-Übertragung. „Das wird eine spannende Wahl“, sagt Baumann. „Es geht um eine neue Epoche.“ ARD-Moderator Jörg Schönenborn kommt nun mit den ersten Hochrechnungen. Mit Blick auf die Ergebnisse müsse man sich fragen: „Verstehen die Volksparteien das Volk noch“, sagt er. Die AfD-Leute in Saal 151 lachen. „Das ist doch keine Frage“, ruft einer. Dann kommt die erste Prognose für die AfD im Bund: 13,5 Prozent. Bernd Baumann reckt die Faust in die Höhe. Er und seine Mitstreiter klatschen, aber nur kurz. Co-Fraktionschef Jörn Kruse steht erst abseits, wippt hin und her. Nun geht er auf Baumann zu, umarmt ihn.
18.00 Uhr (SPD): Blankes Entsetzen bei 150 SPD-Mitgliedern, als die Wahlprognose über den Beamer der SPD-Zentrale flimmert. Von den Direktkandidaten der sechs Hamburger Wahlkreise sind nur Johannes Kahrs (Mitte) und Dorothee Martin (SPD) anwesend. Als dann Bilder von der AfD-Party gesendet werden, wo Spitzenkandidat Alexander Gauland ankündigt, dass man die anderen Politiker nun „jagen“ werde, schüttelt sich Dorothee Martin: „Das ist doch ekelhaft.“ Johannes Kahrs entert die Bühne, dankt zunächst allen Wahlkämpfern. Und er macht den Genossen Mut, in Hamburg sei nach wie vor alles möglich.
18.00 Uhr (CDU): Versteinerte Gesichter am Leinpfad. Damit hätte hier niemand gerechnet.
18.00 Uhr (FDP): Diesen Jubel hatten sie nach den letzten Prognosen für sich erwartet und werden nicht enttäuscht: Als die ersten Trendmeldungen bei der FDP-Wahlparty auf der großen TV-Leinwand flimmert, löst sich bei den Besuchern schlagartig die Spannung, man klatscht, man jubelt und man freut sich. Ein kurzes fast erschrockenes Raunen beim Abschneiden der SPD. „Wir wollen fair bleiben“, hatte der FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Wieland Schinnenburg zuvor als Losung des Abends ausgegeben. Und man müsse sich weiter in Demut üben, forderte er.
18.00 Uhr (Linke): Linke gucken ARD: Im Clubheim Sternschanze brandet Jubel auf, als neun Prozent bei der 18-Uhr-Prognose für die Linke verkündet werden. Und Buh-Rufe über das Abschneiden bei der AfD. Angesichts der AfD-Mandate vergeht den Linken dann doch das Feiern. Zumal vorm Clubheim gerade ein braunes Eichhörnchen einen Baum hinaufgeklettert.
18.10 Uhr (Linke): Beifall brandet unter den gut 500 Gästen der Wahlparty auf, als Spitzenkandidat Fabio De Masi (37), der offenbar siegreichen AfD den Kampf ansagt. „Wir werden die nächsten vier Jahre nutzen, dass diese Gangster in Nadelstreifen ihre Hosen runterlassen.“ Die AfD wolle das Land spalten. „Und das werden wir nicht zulassen.“
18.13 Uhr (Grüne): Wechselbad der Gefühle. 200 Gäste jubeln bei der ersten Hochrechnung: 9,4 Prozent. Es folgt ein kollektives Aufstöhnen bei den Zahlen der AfD. Als Erste tritt die Landesvorsitzende Anna Gallina ans Mikrofon: „Wir haben uns in einem schwierigen Umfeld sehr gut behauptet.“
18.33 Uhr (SPD): In der ARD wird gemutmaßt, dass Martin Schulz weiter Parteichef bleiben werde. Zudem werde die SPD in die Opposition gehen, eine Neuauflage der Großen Koalition sei ausgeschlossen. Die Genossen im Kurt-Schumacher-Haus quittieren dies mit Beifall.
"Dies ist nicht das Land der AfD"
18.34 Uhr (Linke): Während SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im TV über seine Niederlage spricht, genießen die Gäste der Wahlparty die Abendluft im Park. Alle warten auf 19 Uhr. Dann soll es erste Hamburger Ergebnisse geben.
18.45 Uhr (SPD): Dorothee Martin (Wahlkreis Nord) hat sich in ein Büro der Parteizentrale zurückgezogen, um dort die Auszählung der Wahllokale im Internet zu verfolgen. Sie will erst wieder zur Wahlparty kommen, wenn sicher ist, ob sie oder ihr Konkurrent Christoph Ploß den Wahlkreis gewonnen haben. Der Ausgang galt nach Rückzug des langjährigen CDU-Abgeordneten Dirk Fischer als völlig offen.
18.50 Uhr (CDU): Die ersten Parteimitglieder verlassen zerknirscht die CDU-zentrale am Leinpfad. Der Eimsbüttler CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse plädiert ebenfalls für eine Jamaika-Koalition. „Die Rhetorik von AfD-Chef Gauland ist widerlich“, sagt Kruse mit Blick auf die Gauland-Aussage, die AfD wolle sich das Land zurückholen. „Dies ist nicht das Land der AfD“, so Kruse. „Es ist gut, wenn diese Partei keine herausgehobene Rolle als stärkste Oppositionspartei bekommt.“ Das solle mal lieber die SPD machen.
19.00 Uhr (Grüne): Eine neue Hochrechnung sieht die Grünen bei 9,3 Prozent. Beifall gibt es jetzt nicht mehr. Die meisten Gäste stehen vor der Tür.
19.10 Uhr (Linke): Plötzlich taucht auf den Fernsehern Herbert Schalthoff von Hamburg 1 auf. Er steht im Rathaus und trägt Hamburger Hochrechnungen vor. Etwas mehr als elf Prozent für die Linke. Aber keiner jubelt – weder vor der Tür noch drinnen. Kaum einer spricht; alle schauen gebannt auf die Bildschirme. Stilles Feiern mit Fernsehen.
19.15 Uhr (FDP): Als ein Sprecher die Hamburger Ergebnisse bekannt gibt, brandet noch einmal großer Jubel auf. Auch hier kommen die Liberalen nach erster Hochrechnung auf 10,5 Prozent. Unter den FDP-Mitgliedern wird nun die Koalitionsfrage diskutiert: Nachdem die SPD eine Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hat, wird eine Jamaika-Verbindung wahrscheinlich, also Schwarz-Gelb-Grün. Unter den FDP-Mitgliedern würde eine solche Konstellation nicht auf Ablehnung stoßen. Ja, aber unter Bedingungen – so ist der Tenor bei einer Rundfrage. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt FDP-Mitglied Hennig Prager aus Volksdorf. Alexandra Gräfin Lambsdorff aus Altona würde eine solche Konstellation nicht ablehnen.
19.20 Uhr (SPD): Die Genossen versammeln sich vor einer Leinwand mit den Ergebnissen der ausgezählten Wahllokale. Noch gibt es keine belastbaren Trends, die Zahl der ausgezählten Wahllokale ist zu gering. Nach der großen Enttäuschung über das bundesweite Ergebnis wechseln die SPD-Mitglieder wieder in den lokalen Hoffnungsmodus. Auch Johannes Kahrs, Direktkandidat der SPD im Wahlkreis Mitte, macht den Genossen Mut: „Wir können alle sechs Hamburger Wahlkreise gewinnen.“
Schinnenburg muss warten
19.32 Uhr (Grüne): Die Reihen im Knust haben sich gelichtet. Kleine Gruppen verfolgen das Geschehen vor den beiden Leinwänden.
19.40 Uhr (SPD): SPD-Fraktionschef Andreas Dressel trifft ein. Auch er ist über das Bundes-Ergebnis bitter enttäuscht, empfiehlt wie Olaf Scholz seiner Partei den Gang in die Opposition. Die Ergebnisse der Direktkandidaten bessern seine Laune etwas auf: „Derzeit liegen wir überall vorn, das sieht gut aus.“
19.40 Uhr (CDU): Doch noch Jubelstimmung im Garten der CDU-Parteizentrale: Als die Hochrechnungen zeigen, dass die CDU auch in Hamburg bei den Zweitstimmen vor der SPD liegt wird am Leinpfad lautstark applaudiert und gejohlt.
19.55 Uhr (Linke): Es werden Flugblätter verteilt. „Einzug der AfD in den Bundestag? Nein Danke!“ steht darauf. Mitglieder einer Linken-Jugendorganisation nutzen den Wahlabend zum Demo-Aufruf an diesem Montag in Hamburg. „Ich unterstütze das“, sagt Landessprecherin, Zaklin Nastic. Das starke Abschneiden der AfD sei ein „bitterer Moment“. Mit dem Hamburger Ergebnis für die Linken ist Nastic dagegen zufrieden.
20.07 Uhr (Grüne): Die Ergebnisse in der „Tagesschau“ sehen nur noch wenige Besucher. Letzte Hochrechnung für die Grünen: 8,9 Prozent. „Wenn die Inhalte stimmen, dürfen wir die Chance einer Regierungsbeteiligung im Interesse der Sache nicht leichtfertig entgehen lassen“, sagt der Bundestagsabgeordnete Manuel Sarrazin.
20.30 Uhr (FDP): Während die „Berliner Runde“ auf der Leinwand flimmert, leert sich der Saal. Für Wieland Schinnenburg ist indes immer noch offen, ob er ein Mandat bekommt. Bei neun Prozent, wäre er sicher nicht dabei gewesen, bei zwölf Prozent sicher drin. Nun hängt er dazwischen und muss warten.
20.35 Uhr (Grüne): An der Rindermarkthalle ist die Luft raus: Nicht mehr viel los an der Theke. Rund 70 Gäste harren noch aus. „Sag mir, was soll das bedeuten?“, fragt ein Mann mit grünem Pullover achselschüttelnd und ordert ein letztes Astra vom Fass. Nicht nur er stellt sich hier im Knust diese Frage.
AfD feiert in "Olita's Treff"
20.45 Uhr (SPD): Inzwischen ist auch Aydan Özoguz eingetroffen. Nach den aktuellen Daten liegt sie uneinholbar in ihrem Wahlkreis Wandsbek vorn. In diese Freude mischt sich aber tiefe Enttäuschung über das bundesweite Abschneiden ihrer Partei: „Das Ergebnis ist eine Katastrophe für die SPD.“ Auch sie sieht die Zeit gekommen für einen Neustart in der Opposition, wo die SPD ihr Profil wieder schärfen könne.
20:40 Uhr (AfD): Etwa 100 AfD-Mitglieder um Fraktionschef Bernd Baumann haben sich dichtgedrängt in der Kneipe „Olita’s Treff“ am Stellinger Weg in Eimsbüttel verschanzt; draußen stehen Journalisten, sie dürfen nicht rein. Baumann steigt auf einen Tisch, reckt die Faust und ruft: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“ Die Gäste stimmen lauthals ein. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite flucht eine Nachbarin: „Unglaublich, so etwas. Da krieg’ ich das Kotzen!“ Das Außenminister Gabriel vor „echten Nazis“ in der AfD warne, sei eine „Verunglimpfung“, ruft Baumann. Dann tupft er sich Schweiß von der Stirn – und tritt doch auf die Straße. „Hamburg ist ein schwieriges Pflaster“, antwortet er auf die Frage, ob er mit den acht Prozent zufrieden sei.“
21.10 Uhr (SPD): SPD-Landesgeschäftsführer Tim Petschulat holt die drei siegreichen Direktkandidaten Johannes Kahrs, Aydan Özuguz und Metin Hakverdi auf die Bühne, die Genossen feiern das Trio mit großem Applaus.
21.58 Uhr (SPD): Jetzt trifft auch Niels Annen ein. Der siegreiche SPD-Kandidat hatte mit Parteifreunden in Eimsbüttel die Wahl verfolgt. Er wird mit Applaus empfangen. Damit hat die SPD wie 2013 fünf von sechs Wahlkreisen erobert. Auch Dorothee Martin kommt doch noch. Sie ist enttäuscht über ihre Niederlage: „Es hat leider nicht gereicht.“
21.59 Uhr (CDU): Nun steht es fest: Der Wahlkreis Hamburg-Nord/Alstertal geht an den CDU-Direktkandidaten Christoph Ploß (32). Er wird mit Jubel im Garten am Leinpfad empfangen. „Dass wir den Wahlkreis als einzigen in Hamburg für die CDU gewinnen konnten, liegt an der unglaublichen Leistung eines starken Teams“, sagt Ploß.
22.04 Uhr (AfD): Teilnehmer einer Anti-AfD-Demo marschieren auf das Lokal zu. Davor stehen vier Polizeiwagen. AfD-Mann Alexander Wolf spricht mit Polizisten. „Ich habe den Leuten gesagt: Wer Angst hat, der sollte jetzt gehen.“ Außerdem habe der Wirt darum gebeten, die Veranstaltung zu beenden. Die Gäste der AfD verlassen rasch die Gaststätte. Dann gehen dort die Lichter aus.