Wolfgang Schmidt, einer der engsten Vertrauten von Olaf Scholz, soll die Hansestadt auf den Landkarten der Welt verankern. Der G20-Gipfel kommt ihm da sehr zupass. Von Matthias Iken

Wäre Wolfgang Schmidt 25 Jahre jünger, vermutlich stünde er auf der anderen Seite. Dann hätte er nicht im Auftrag der Hansestadt Standleitungen zu Regierungsvertretern aus aller Welt, sondern plante mit Nichtregierungsorganisationen den Widerstand. Dann arbeitete er nicht an der Agenda des wichtigsten Gipfels des Jahres mit, sondern an Resolutionen für eine Welt ohne Kapitalismus. Dann organisierte er nicht ein Konzert in der stolzen Elbphilharmonie für die Staatsgäste, sondern ein Zeltlager der Gipfelgegner.

Aber wie wusste schon der DDR-Dissident und Liedermacher Wolf Biermann? „Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“ Wobei Wolfgang Schmidt nicht seine Ziele geändert hat, sondern nur die Wege dorthin. Der gebürtige Hamburger, Jahrgang 1970, engagierte sich seit Schulzeiten in der Dritte-Welt-Arbeit, als 19-Jähriger trat er den Jusos bei. Er saß im Bundesvorstand der Jungsozialisten und war Vizepräsident der Jugendorganisation der Sozialistischen Internationale. Politisch geprägt hat ihn vor allem ein Jugendaustausch mit Hamburgs Partnerstadt León in Nicaragua: „Da habe ich gesehen, was praktische Solidarität bewirken kann.“

Seit dem Wahlsieg der SPD in Hamburg 2011 ist der Vater zweier Töchter „Staatsrat und Bevollmächtigter der Freien und Hansestadt Hamburg beim Bund, bei der Europäischen Union und für Auswärtige Angelegenheiten“. Das klingt sperrig, meint aber nicht mehr als „Hamburgs Außenminister“. Schmidt ist durch die Institutionen marschiert – und schreitet dabei Seit’ an Seit’ mit Olaf Scholz, dem Hamburgs Bürgermeister, seinem Vertrauten und Mentor.

Die beiden kennen sich seit Jahrzehnten. Ohne einen Anruf von Olaf Scholz wäre der Jurist Wolfgang Schmidt heute vermutlich Richter in der Hansestadt. Doch Scholz, 2002 zum Generalsekretär der Bundes-SPD gewählt, machte ihn zu seinem persönlicher Referenten und holte ihn in die Hauptstadt. Der Rücktritt des glücklosen Generals 2004 stoppt den Aufstieg von Schmidt nur kurz. Nach wenigen Wochen macht ihn der neue SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter zum Büroleiter. Als Scholz nach der vorgezogenen Bundestagswahl im Herbst 2005 seine Karriere als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion neu aufbaut, kehrt Schmidt zu ihm zurück und leitet sein Büro. Als Scholz zwei Jahre darauf Bundesarbeitsminister wird, nimmt er Schmidt mit und macht ihn zum Leiter des Ministerbüros und des Leitungs- und Planungsstabes.

Vielleicht ist Schmidt für Scholz, was Frank-Walter Steinmeier über viele Jahre für Gerhard Schröder war. Mehr als ein Sozius, er ist Denker und Lenker, Berater und Kritiker zugleich. Er hält sich als Diplomat im Hintergrund, wagt sich aber wenn nötig aus der Deckung. So hilft er, Scholz in Berlin ins richtige Licht zu rücken – denn der 58-jährige Bürgermeister rüttelt weiter zumindest in Gedanken am Tor des Kanzleramts. Für viele Landespolitiker ist der Bundesrat die Bühne. Als dienstältester Bevollmächtigter der A-Länder, in denen die SPD den Regierungschef stellt, ist Schmidt ein wichtiger Vorbereiter für die Bundesratsabstimmungen.

Der 46-Jährige vertritt die Hansestadt in Brüssel und hat die Landesvertretung in der Jägerstraße zu einem beliebten Treffpunkt des politischen Berlin ausgebaut. „Dabei ging es auch darum, Hamburg und Berlin wieder zu versöhnen“, sagt der Wahlberliner mit Hamburger Wurzeln. Die spröde Schöne im Norden blickt mitunter etwas neidisch auf die lebenslustige Metropole an der Spree. Als lebenslustiger Norddeutscher fremdelt er nicht in der Hauptstadt. Er pendelt regelmäßig zwischen den beiden Städten, nur beim Fußball hat sich Schmidt für das Alternativlose entschieden. Wohnorte, Ansichten und Jobs kann man wechseln, seinem Verein bleibt man treu. Auf der Gegengerade ist er mit dem FC St. Pauli durch viele Täler und über einige Höhen gegangen – die Ballung wichtiger Hamburg-Termine am Millerntor-Spieltag dürfte kein Zufall sein, der Anzug bleibt dann im Büro.

Wann immer es darum geht, Diplomaten, Präsidenten, Unternehmern, aber auch Schülergruppen die Hansestadt näherzubringen, ist Schmidt in seinem Element. Wenn es eng wird, gibt er den Troubleshooter – zuletzt organisierte er die diplomatisch diffizile Eröffnung der Elbphilharmonie mit einer Gästeliste, die niemanden verprellen durfte. Die Quadratur des Kreises gelang; zur Not kann Schmidt auch Feuerwehrmann.

Nun muss der Jurist den G20-Gipfel in Hamburg mitorganisieren, den viele in der Hansestadt als „Danaergeschenk“ der Kanzlerin verstehen. Als sich im Herbst 2015 die Planungen für die deutsche Präsidentschaft konkretisierten, träumte Hamburg noch von Olympischen Sommerspielen 2024. Um die Stadt in der Welt bekannter zu machen, schien das „Tor der Welt“ geradezu prädestiniert – zumal es ein Sohn der Stadt war, der den Mammutgipfel G20 einst ersann: sein Namensvetter Schmidt. Vorname Helmut.

Diplomatie trifft auf Klassenkampfrhetorik

Wolfgang Schmidt treibt qua Amt um, wie er seine Heimatstadt auf die internationale Landkarten bekommt. „Beim G20-Gipfel haben wir die Gelegenheit, Hamburgs Weltoffenheit und Gastfreundschaft auf internationaler Bühne zu präsentieren.“ Und diese Bühne passt eben nicht nach Helgoland, Sylt oder Kleinkleckersdorf, sondern nur in eine große Metropole, die Hamburg doch stets vorgibt zu sein. In Deutschland, das als Gastgeber gesetzt war, hätte es mit Berlin und München nur zwei Alternativen gegeben, die die nötige Infrastruktur – angefangen vom Flughafen über Hotelkapazitäten – mitbringen und als weltoffen gelten.

Auf dem Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, die zwei Drittel der Weltbevölkerung repräsentieren, ist in Wahrheit ein G35-Gipfel geworden: Sieben Gaststaaten und acht internationale Organisationen stoßen hinzu, darunter die Uno, der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Welthandelsorganisation (WTO), der Finanzstabilitätsrat (FSB), die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Insgesamt werden 20.000 offizielle Gipfeldelegierte erwartet, bis zu 4000 Journalisten werden aus der Hansestadt in alle Welt berichten. Hinzu kommen 20.000 Polizisten und Sicherheitskräfte, die alle rund um den 7. und 8. Juli in der Hansestadt ein Bett suchen. Und dann werden auch noch Zehntausende Gegner erwartet.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Treffen, das für internationale Problemlösungen steht, Linke auf die Barrikaden treibt. Schmidt drückt es diplomatischer aus. „Ich finde es schade, dass die Chancen nicht gesehen werden“, sagt er. Auf der Agenda steht beispielsweise das Thema Steuervermeidung durch Gewinnverlagerungen. Eigentlich ein Herzensanliegen von Attac, die heute gegen das Treffen in Hamburg kämpft. „Der G20-Gipfel ist so wichtig wie nie“, sagt Schmidt. „Plötzlich stellen einige Freihandel oder Klimaschutz infrage, da müssen wir doch diskutieren.“ Zudem könnten in Hamburg bei dem ersten bilateralen Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin Weltprobleme wie der Syrien-Konflikt angegangen werden.

Doch in Hamburg dominieren die Kritiker den Diskurs. Das liegt auch an den Zeitläuften: Recep Tayyip Erdogan benimmt sich wie ein neuer Sultan, Putin wie ein Zar und Trump wie ein Autokrat. Noch 2015 war dieser Extremismus von oben nicht absehbar. Auch der Veranstaltungsort polarisiert. Das Messegelände liegt inmitten des alternativen Karoviertels, in dem die Linkspartei die stärkste politische Kraft stellt und die CDU bei der letzten Bürgerschaftswahl nur auf 2,9 Prozent kam. Entsprechend leicht fällt linken Gruppen die Mobilisierung gegen den Gipfel.

Schmidt hält dagegen, sucht das Gespräch auch mit scharfen Kritikern, setzt auf die Kraft der Argumente. Es sei ein G20-Gipfel, der gerade auch die Armen repräsentiere, es gehe um die großen Themen wie Finanzmarktkontrolle, Klimaschutz, Sicherheit. Doch Argumente treffen auf eine diffuse Gefühlslage gegen die da oben, Diplomatie trifft auf eicherustikale Klassenkampfrhetorik.

Ob der G20-Gipfel im Juli ein Erfolg wird, hängt nicht nur an den Erklärungen der Staats- und Regierungschefs, sondern auch an einer zivilisierten Auseinandersetzung. „Hamburg wird für einige Tage in den Blickpunkt der Weltpolitik rücken“, prophezeit Schmidt. Welchen Eindruck Hamburg macht, hängt nicht zuletzt von seiner Arbeit ab.