Hamburg . Bei SPD und CDU ist die interne Kür der Direktkandidaten heftig umkämpft. Das sorgt zum Teil für böses Blut hinter den Kulissen.
Der Bundestagswahlkreis Hamburg-Nord hält für Sozialdemokraten die Erinnerung an eine sehr erfolgreiche Zeit bereit, gespickt mit großen Namen. Sechsmal in Folge – zwischen 1965 und 1983 – holte der frühere Bundesfinanz- und Verteidigungsminister Hans Apel („Ich glaub’, mich tritt ein Pferd!“) das Direktmandat. Zuvor wurde der legendäre Erste Bürgermeister Max Brauer hier in den Bundestag gewählt – seine Kandidatur war Kompensation für seinen nicht ganz freiwilligen Abschied aus dem Rathaus. Und nicht zuletzt: Die Langenhorner Helmut und Loki Schmidt werden über all die Jahre den SPD-Kandidaten hier ihre Stimme gegeben haben.
Erfolgreiche Vergangenheit, triste Gegenwart
Die jüngere Vergangenheit sieht für die SPD allerdings deutlich trister aus. Fünfmal hat Christdemokrat Dirk Fischer den Wahlkreis direkt geholt, hin und wieder gelang das auch der SPD. Der Wahlkreis 21 Hamburg-Nord, zu dem heute auch das Alstertal und die Walddörfer bis auf Volksdorf gehören, ist also gewissermaßen ein „Swing state“, wie im US-Wahlkampf die Staaten genannt werden, in denen mal die Republikaner und mal die Demokraten vorne liegen. Vielleicht ist das stets knappe Rennen ein Grund dafür, dass die interne Kür der Direktkandidaten in Nord bei SPD und CDU mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 so heftig umkämpft ist.
Aus SPD-Sicht könnte es nun als glückliche Fügung betrachtet werden, dass Nord-Matador Fischer, der zuletzt 2013 noch erfolgreich war, mit 73 Jahren seinen Rückzug aus dem Bundestag erklärt hat. Aber: Die Sozialdemokraten machen es sich selbst nicht gerade einfach. Mit der Bürgerschaftsabgeordneten Dorothee Martin und dem Immobilienunternehmer Maximilian Schommartz stehen zwei Bewerber zur Wahl. Das sollte eigentlich ein Normalfall in einer demokratischen Partei sein.
Viel böses Blut bei der SPD
Doch vieles läuft nicht ganz so normal und selbstverständlich bei der SPD, und so hat die Kandidatendebatte im Vorfeld schon für reichlich böses Blut hinter den Kulissen gesorgt. Dabei schätzt Parteichef und Bürgermeister Olaf Scholz, der unumstrittene Taktgeber, innerparteilichen Streit überhaupt nicht – und eine Kampfkandidatur schon gar nicht. Nach seinem Verständnis mögen die Menschen zerstrittene Parteien nicht und wählen sie deswegen auch nicht. Am liebsten ist es Scholz, wenn es eine interne Einigung gibt und am Ende nur ein Bewerber übrig bleibt. Das hat in allen Hamburger Bundestagswahlkreisen geklappt, nur eben in Nord nicht.
Die 38 Jahre alte Dorothee Martin ist die Kandidatin des SPD-Establishments: Sie bringt als Bürgerschaftsabgeordnete politische Erfahrung ein, die sie in Berlin nutzen kann. Und: Scholz hatte mehr Frauen für den Bundestag gefordert, auch das passt also. Martin gehört zwar im traditionell linken Kreisverband Nord zum Mitte-Rechts-Lager, aber genau das macht sie im eher konservativen Kreisverband Wandsbek wählbar. Die Bereiche Alstertal und Oberalster gehören zu Wandsbek und stellen etwa ein Drittel der 62 Delegierten, die auf der Wahlkreiskonferenz am 19. November den Direktkandidaten wählen.
Martin hat die Unterstützung des SPD-Nord-Chefs und Finanzsenators Peter Tschentscher und seines Wandsbeker Amtskollegen Andreas Dressel, des Bürgerschaftsfraktionschefs. Zwei Interessenten haben schon das Handtuch geworfen: die Bürgerschaftsabgeordneten Ulrike Blandow-Schlegel und Tim Stoberock. Nur Schommartz ließ sich trotz massiven Drucks nicht von seiner Bewerbung abbringen.
Der 32 Jahre alte Unternehmer ist politischer Seiteneinsteiger, stammt aus Dressels Kreisverband Wandsbek und liegt mit seiner Bewerbung also doppelt quer. Doch ganz so chancenlos scheint Schommartz nicht zu sein. Bei einer Abstimmung im Wandsbeker Kreisvorstand votierten immerhin acht Mitglieder für ihn, elf für Martin. Im Kreisverband Nord fiel das Votum für Martin mit 17 zu vier deutlich aus. Insider rechnen mit einem knappen Ausgang der Delegiertenkonferenz. Sollte sich Außenseiter Schommartz durchsetzen, wäre das eine Klatsche für Tschentscher und besonders für Dressel. Die Partei-Arithmetik wäre empfindlich durchkreuzt.
Kampfkandidaturen auch bei der CDU
Die Ausgangslage in der CDU ist verblüffend ähnlich. Der 31 Jahre alte Kreisvorsitzende, Vize-Landeschef und Bezirksabgeordnete Christoph Ploß hat die Unterstützung der CDU-Granden. Fischer hat seinen Schützling als Nachfolger empfohlen – beide gehören dem Ortsverband Winterhude an, der mit Abstand mitgliederstärksten und mächtigsten Unions-Gliederung in Nord.
Alles schien also bestens eingefädelt, bis Dietrich Wersich seinen Hut in den Ring warf. Ausgerechnet Wersich, den Ploß erst im Mai als Nord-Kreischef gestürzt hatte und der als Bürgermeisterkandidat 2015 mit 15,9 Prozent das schlechteste Ergebnis für die CDU einfuhr. Der 51 Jahre alte Ex-Sozialsenator ist jetzt Außenseiter, zumal Ploß wohl auch die Unterstützung des Alstertaler CDU-Chefs Dennis Thering hat. Aber anders als bei der SPD entscheiden nicht Delegierte, sondern die Mitglieder, wer Bundestagskandidat wird. Es kommt also stark auf die Mobilisierung an. Darin sieht Wersich seine Chance.
Im CDU-Ortsverband Fuhlsbüttel sprachen sich in dieser Woche acht Mitglieder für Ploß, aber neun für Wersich aus. Auch Wersichs Heimatverband Eppendorf und die Nachbarn in Groß Borstel votierten für ihn. Die CDU Winterhude war dagegen einstimmig für Ploß. Entscheidend ist jedoch, wie viele Mitglieder bei der Wahlkreisversammlung am 16. November erscheinen. Ploß jedenfalls ist gewarnt. „Die Nominierung im Ortsverband Fuhlsbüttel hat gezeigt: Es wird auf jede Stimme ankommen“, schrieb Ploß auf Facebook. Recht hat er.