Hamburg. Brexit statt Hafenschlamm: CDU-Fraktionschef André Trepoll wirft dem Bürgermeister vor, sich zu wenig um die Stadt zu kümmern.
Er hat einen sehnsüchtig-romantischen Blick auf den Hafen, aber er kritisiert die Versäumnisse von Rot-Grün auf diesem Feld: Das Abendblatt-Sommerinterview mit CDU-Bürgerschaftsfraktionschef André Trepoll kreist außerdem um aktuelle Terrorgefahr, die Stimmung in der Stadt zum Thema Flüchtlinge und seine Ambitionen auf die Spitzenkandidatur 2020.
Herr Trepoll, fühlen Sie sich in Hamburg noch sicher?
André Trepoll: Ja, ich persönlich fühle mich sicher. Aber ich weiß aus Gesprächen in der Familie und mit Bekannten, dass sich viele nach den Terrorattacken enorme Sorgen machen. Es gibt Menschen, die öffentliche Versammlungen oder U- und S-Bahnen jetzt meiden. Das ist, ehrlich gesagt, auch menschlich, darf aber kein Dauerzustand werden.
Bei zwei der jüngsten Terrorangriffe waren die Täter Flüchtlinge. Ist das der Preis der Zuwanderung?
Nein. Geflohene Menschen sind nicht besser oder schlechter, als wir es sind. Und es gibt eben auch Menschen, die hier in Hamburg geboren sind und sich radikalisiert haben. Ich denke da an den besonderen Fall des Hamburger Jugendlichen, der nach Syrien gereist ist, sich dem IS angeschlossen hat und dort ums Leben gekommen ist. Aber: Es ist notwendig, die Menschen, die zu uns kommen, zu registrieren und angemessen zu überprüfen. Ich bin dafür, eine weitere Sicherheitsüberprüfung vorzunehmen, wie dies jetzt gefordert wird.
Wen sehen Sie in der Pflicht, diese Sicherheitsüberprüfungen vorzunehmen?
Grundsätzlich muss das in den Zentralen Erstaufnahmen geschehen. Die Erstregistrierung machen die Länder gemeinsam mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Für die, die bereits länger hier sind, muss das jetzt organisiert werden, und es darf nicht an einer Verfahrensfrage scheitern.
Brauchen wir schärfere Waffengesetze?
Wir haben eines der schärfsten und am besten überwachten Waffengesetze der Welt. Verboten ist es ja jetzt schon, sich im Darknet eine Waffe zu beschaffen. Es muss ein Alarmsignal für uns sein, wenn ein psychisch labiler 18-Jähriger sich auf diesem Weg so einfach eine Waffe und Munition besorgen kann. Es geht darum, dass die Polizei im Darknet aktive Ermittlungsarbeit leistet.
Hat sich die Diskussion über die Unterbringung von Flüchtlingen in Hamburg nach dem Kompromiss zwischen Senat und Volksinitiative entspannt?
Kurzfristig ist das der Fall. Der drohende Volksentscheid ist abgewendet. Die Bürgerverträge mit den örtlichen Initiativen sind aber in Wahrheit nur Absichtserklärungen und keine verbindlichen Verträge. Das wird noch für Ärger sorgen. Ein Beispiel: In Neugraben-Fischbek soll laut Vereinbarung eine Zuwegung unter der Fernbahnstrecke noch vor 2017 fertiggestellt werden. Die Bahn betont dagegen, dass das auch bis 2017 niemals etwas werden wird.
Was passiert eigentlich, wenn es Streit über die Auslegung der Bürgerverträge zwischen Senat und den Initiativen gibt?
Das ist jetzt unsere Aufgabe als Opposition. Wir werden die Einhaltung der Zusagen überprüfen und nicht zulassen, dass sie von Rot-Grün im Nachhinein zuungunsten der Initiativen umgedeutet werden. Zusätzlich sollte man über eine unabhängige Schlichtungsstelle für solche Fälle nachdenken.
Wie läuft aus Ihrer Sicht die Integration der Flüchtlinge in Hamburg?
Unterbringung ist der Sprint, Integration ein Marathonlauf. Grundsätzlich sind wir auf einem vernünftigen Weg. Es gibt sehr große finanzielle Hilfen seitens des Bundes. Das Integrationsgesetz verpflichtet Flüchtlinge zum Deutschkursus. Es gibt eine große Unterstützung von ehrenamtlichen Institutionen in der ganzen Stadt. Aber beim Thema Integration durch Arbeit hat der Senat noch vieles zu tun. Die Erfassung der Qualifikationen von geflüchteten Menschen liegt gerade einmal im vierstelligen Bereich. Dabei gibt es in vielen Branchen einen hohen Bedarf an Arbeitskräften.
Wir können Ihre Worte auch mit dem Satz „Wir schaffen das“ übersetzen ...
Wir müssen das schaffen und immer wieder erklären, wie wir es schaffen können. Integrationsforscher sagen, dass noch entscheidender die Integration der zweiten und dritten Generation ist. Wir haben bei den Gastarbeitern zum Teil erlebt, dass es bei Kindern und Enkelkindern Rückschritte in der Integration gegeben hat. Hamburg hat einen guten Anfang gemacht mit Kitas in den Erstaufnahmen und den internationalen Vorbereitungsklassen an Schulen.
Sie sind selbst Vater von zwei kleinen Kindern. Machen Sie sich Sorgen, wenn jetzt viele Flüchtlingskinder in die Kitas kommen, ohne dass das Personal mitwächst?
Ich mache mir Sorgen, was die Qualität der Betreuung angeht, aber das hat wenig mit dem Thema Flüchtlinge zu tun. Unser Vorwurf an Rot-Grün ist, dass seit der Einführung der kostenlosen fünfstündigen Betreuung nichts mehr gekommen ist. Der qualitative Ausbau ist bis ins Jahr 2026 verschoben. Ich mache mir schon Sorgen, wenn ich erlebe, dass 15 unter Dreijährige von einer Erzieherin betreut werden, weil die Kollegin krank ist.
Sind Sie als Oppositionschef eigentlich verzweifelt?
Nein, überhaupt nicht. Dann hätte ich den falschen Job gewählt.
Was wir meinen: Viele bescheinigen der CDU eine gute Oppositionsarbeit, aber das zahlt sich noch nicht in Umfragen aus.
Also, in der letzten Umfrage ist die SPD deutlich abgestürzt, und wir haben zugelegt. Aber richtig ist auch, dass wir in der Vergangenheit viel Vertrauen verspielt haben. Dieses Vertrauen bei den Menschen wieder zurückzugewinnen ist fraglos ein langfristiger Prozess, den wir jetzt erfolgreich eingeleitet haben.
Die AfD gräbt Ihnen mit einfachen Parolen von rechts das Wasser ab. Muss die CDU die nationalkonservativen Wählerschichten mit abdecken oder soll sie sich abgrenzen?
Wir entscheiden aufgrund der politischen Inhalte. Im Übrigen: Die AfD in Hamburg gräbt uns gar nichts ab, die ist ja nicht präsent und beschäftigt sich nur mit sich selbst.
Trotzdem sind die Umfragewerte gut.
Unsere Antwort darauf ist: klar abgrenzen, aber nicht ausgrenzen. Die AfD ist bislang nicht über das Stadium einer Protest- und Wutpartei hinausgekommen. Sie profitiert von der Großen Koalition in Berlin und der Schwäche der parlamentarischen Opposition dort. Ich hoffe, dass die CDU als Volkspartei der bürgerlichen Mitte nach der Bundestagswahl mit einem kleineren Partner regieren kann. Dann könnte das Gleichgewicht zwischen Regierung und Opposition wieder stärker betont werden.
Stichwort bürgerliche Mitte: In Hamburg hält Olaf Scholz die fest besetzt. Wie wollen Sie ihn von dort verdrängen?
Da tut sich schon etwas. Die Regierungsbeteiligung der Grünen sorgt dafür, dass es an immer mehr Ecken in der Stadt brennt und es mehr Auseinandersetzungen innerhalb des Senats gibt. Ob es die ideologische Verkehrspolitik ist, die Unzufriedenheit der Unternehmen über die Entwicklung im Hafen und die Verschlickung der Elbe bis hin zur immer noch stockenden Elbvertiefung – da findet der Bürgermeister gar nicht mehr statt. Er beschäftigt sich mit dem Brexit und dem Petersburger Dialog und vernachlässigt seine Hausaufgaben in Hamburg. Das führt zu stärkeren Profilierungsversuchen der Grünen, und das tut der Stadt nicht gut.
Die Unternehmen sind aber mit dem Bürgermeister sehr zufrieden, nur nicht mit der Hafenpolitik. Müsste Ihre Kritik sich daher nicht an den Wirtschaftssenator richten?
Der Bürgermeister trägt ja die Gesamtverantwortung. Wenn er alles auf die schwächelnde Wirtschaft in China und das Russland-Embargo schiebt, ist das zu wenig. Der Hamburger Hafen ist und bleibt noch lange der größte Arbeitgeber der Stadt, und für dessen Wettbewerbsfähigkeit muss der Bürgermeister sich auch ganz persönlich einsetzen. Mittlerweile beschweren sich ja auch schon Wirtschaftsverbände öffentlich.
Ist Olaf Scholz abgehoben?
Was Hamburgs Probleme angeht, hat er die Stadt aus dem Blick verloren. Nehmen wir die Kundenzentren: Dort müssen die Menschen derzeit mehr als zwei Monate auf einen Termin warten. Das ist kein ordentliches Regieren, sondern fördert die Politikverdrossenheit. Wenn wir so einfache Dinge nicht geregelt bekommen, wie sollen die Menschen uns dann zutrauen, dass wir die Integration von zigtausend Flüchtlingen schaffen?
Früher kamen Fremde in Hamburg vor allem im Hafen an. Wenn Sie von der Überseebrücke auf den Hafen blicken, woran denken Sie zuerst?
Da kommen Kindheitserinnerungen hoch – der erste Besuch beim Hafengeburtstag, wie ich mir die Schiffe angeschaut und mich gefragt habe, wo sie hinfahren und wo sie herkommen. Ich habe bis heute diesen sehnsüchtig-romantischen Blick auf den Hafen als unser Tor zur Welt.
CDU kritisiert schlechten Zustand von Spielplätzen
Muss Hamburg die Abhängigkeit vom Hafen durch andere Standbeine ersetzen?
Das eine darf das andere nicht ausschließen. Wir haben ja schon andere großartige Wirtschaftszweige wie die Luftfahrtindustrie mit Airbus als größtem Unternehmen der Stadt. Diese Stärken müssen wir weiter ausbauen. Aber wir müssen uns auch neuen Entwicklungen stellen: Im Laserzentrum Nord kann man sehen, wie sich die Industrieproduktion in wenigen Jahren verändern wird – auf solche Themen müssen wir setzen. Aber Rot-Grün kümmert sich lieber um Fahrradstraßen.
Sie haben sich die Entscheidung, Fraktionschef zu werden, nicht leicht gemacht. Haben Sie inzwischen Feuer gefangen?
Was heißt nicht leicht gemacht? Ich habe mich drei Tage lang damit beschäftigt, ob ich meinen Beruf aufgeben und Vollzeitpolitiker werden will. Da galt es, einiges zu regeln. Aber ich habe mich schon seit vielen Jahren stark in der Politik engagiert, und deshalb habe ich mich entschieden, es zu machen, und zwar mit voller Kraft. Natürlich gab es eine Eingewöhnungszeit, aber die ist jetzt vorbei. Die CDU wird mittlerweile wieder wahr- und ernst genommen. Wir sind ein neues und motiviertes Team und machen in Partei und Fraktion gute Arbeit. Ich denke, dazu habe ich meinen Teil beigetragen.
Sie haben auf dem Parteitag im Juni mit Blick auf sich und Parteichef Roland Heintze gesagt: „Jetzt setzen wir die Segel und nehmen Fahrt auf. Wer dann Kapitän und wer Erster Offizier ist, das klären wir auf der Reise.“ Da möchte man nicht an Bord sein, wenn erst nach dem Auslaufen geklärt wird, wer der Kapitän ist.
Wo die Reise hingehen soll und wie der richtige Kurs dorthin verläuft, ist doch klar. Wir wollen wieder in die Regierung und wollen wieder Verantwortung übernehmen. Gemeinsam haben wir die Segel gesetzt. Die vielen Fehler von Rot-Grün geben uns Rückenwind.
Wir haben den Satz so verstanden, dass Sie eine Spitzenkandidatur bei der Wahl 2020 für sich nicht ausschließen. Richtig?
Es war so gemeint, dass jetzt – fast vier Jahre vor der nächsten Wahl – nicht die richtige Zeit ist, darüber zu spekulieren.
Aber wenn Sie das zwischen sich und Herrn Heintze klären wollen, kann das doch nur bedeuten, dass Sie sich das auch zutrauen.
Wer das Amt des Fraktionsvorsitzenden übernimmt, muss immer damit rechnen, dass so eine Frage an ihn herangetragen wird. Aber die Entscheidung steht jetzt nicht an. Das wissen Roland Heintze und ich und alle anderen auch. Und dabei bleibt es.