Hamburg . Hamburgs Umweltsenator hat einmal mehr eine in der Koalition umstrittene Debatte angestoßen. Gerichte könnten ihm recht geben.
Im Rathaus rollen sie neuerdings immer mit den Augen, wenn der Name Jens Kerstan fällt. Jedenfalls dort, wo Olaf Scholz und seine SPD-Genossen das Sagen haben. Immer kurz vor seinem Urlaub haue der grüne Umweltsenator irgendwas raus, das in der rot-grünen Koalition Ärger mache – und dann verdufte er gen Süden. Das habe er vor Pfingsten gemacht, als er (exklusiv im Abendblatt) sein Veto gegen das Bündnis für das Wohnen eingelegt und sich dann auf den Weg nach Mallorca gemacht habe. Und nun habe er es wieder getan, indem er vor seinem am Mittwoch beginnenden Urlaub vom Dieselfahrzeugkauf abrate – und dabei mit Fahrverboten drohe.
Dabei sei in der Koalition fest vereinbart, dass es keine Fahrverbote geben werde, hieß es aus dem Umfeld des Bürgermeisters. Das sei auch im Koalitionsvertrag so festgeschrieben. Beim Autogipfel im Februar hatte allerdings auch Scholz vor Fahrverboten gewarnt – weil die Gerichte sie erzwingen könnten. Tatsächlich hängt es nicht allein von der Politik ab, ob es auch weiterhin freie Fahrt für Dieselautos gibt. Es läuft derzeit ein Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland, weil in 29 Ballungsgebieten, darunter Hamburg, die Grenzwerte für die giftigen Stickoxide (NOx) seit Jahren fast durchweg überschritten werden. Hauptquellen der giftigen Stickoxide, die zu chronischem Husten, Bronchitis, Asthma oder Lungenkrebs führen können, sind der Kfz-Verkehr und Schiffsabgase. In Hamburg liegt die Belastung an allen vier großen Messstationen (Habichtstraße, Max-Brauer-Allee, Kieler Straße und Stresemannstraße) noch immer teilweise deutlich über dem bereits seit 2010 geltenden EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Deswegen habe der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sich „klar für die Einführung einer blauen Plakette ausgesprochen, die ein solches Fahrverbot regeln würde“, sagte dessen Hamburger Geschäftsführer Manfred Braasch dem Abendblatt. „Solche Maßnahmen sind spätestens nach der rechtskräftigen Verurteilung der Stadt überfällig, da seit Jahren die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit bei Stickoxiden deutlich überschritten werden.“
Die große Beliebtheit von Dieselfahrzeugen hat auch damit zu tun, dass Dieselkraftstoff immer noch steuerlich begünstigt wird. In Kombination mit den Betrugsmanövern der Autoindustrie bei Abgaswerten macht das die Berechnung von Luftreinhalteplänen für die politisch Verantwortlichen nicht einfacher. Das gilt auch für Hamburgs Umweltbehörde, die im kommenden Jahr einen solchen Plan vorlegen soll.
Fahrverbot stößt auf scharfe Kritik
Kerstans Drohung mit Fahrverboten stößt gleichwohl auf scharfe Kritik. „Statt wirksame eigene Maßnahmen zur Luftreinhaltung vorzuschlagen, macht Umweltsenator Kerstan das, was Grüne offensichtlich am besten können: mit Verboten drohen“, sagte CDU-Umweltpolitiker Stephan Gamm. FDP-Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg forderte Verkehrssenator Frank Horch auf, „den ideologischen Alleingang seines Kollegen Kerstan zu stoppen“. Es sei unverantwortlich, „vom Kauf eines Diesel-Autos abzuraten und Fahrverbote in Aussicht zu stellen“, denn „mehr Benziner-Autos würden zu höherem CO2-Ausstoß und stärkerer Belastung des Klimas führen“. Der Senat solle „lieber endlich die Elektromobilität voranbringen, denn hier hängt Rot-Grün den eigenen Ausbauzielen weit hinterher“.
SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal sagte, Fahrverbote seien immer das letzte Mittel. „Aber auch die Automobilindustrie muss nachlegen. Es kann nicht sein, dass die Städte viel Geld in Luftreinhaltemaßnahmen investieren, während Autos weiter Grenzwerte reißen und unsere Gesundheit bedrohen.“ Spätestens seit Aufdeckung des Abgasskandals wisse man, „dass die vermeintlich sauberen Dieselmotoren die Hauptsünder sind und mehr Stickoxide emittieren als zulässig“.
Das Thema bleibt in Hamburg auf der Tagesordnung. In diesen Tagen wird eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts über ein Zwangsgeld gegen den Senat erwartet. Dies hatte der BUND beantragt, weil die Stadt nicht genug für bessere Luft tue. Die mögliche Höhe des Zwangsgeldes von bis zu 10.000 Euro würde den Senat zwar kaum in Not bringen. Der politische Druck, schärfere Maßnahmen gegen die schlechte Luft zu ergreifen, dürfte aber erneut steigen.