Hamburg. Der neue Innensenator Andy Grote will Videokameras auf der Reeperbahn wieder anschalten. Hier spricht er über seine Pläne.

Eine weiterhin große Zahl von Flüchtlingen, Übergriffe auf dem Kiez und kriminelle Banden: Der neue Innensenator Andy Grote (SPD) steht nach seiner Amtseinführung bereits vor gewaltigen Aufgaben. Im Abendblatt-Interview erklärt der 47-Jährige, wie er den Problemen begegnen will – und kündigt Neuerungen bei Flüchtlingen und Innerer Sicherheit in Hamburg an. So werden die von Flüchtlingen begangenen Straftaten künftig gesondert in der Statistik erfasst und ausgewertet. Auf St. Pauli sollen die festen Kameras wieder angeschaltet werden, nachdem es hier in der Silvesternacht zu Übergriffen gekommen war. Die Zahl der Einbrüche, muss Grote zugeben, ist 2015 deutlich gestiegen – trotz der Arbeit der Sonderkommission „Castle“.

Hamburger Abendblatt: Sie sind Jurist, Experte für Stadtentwicklung, waren Bezirksamtsleiter – und sind nun Innensenator. Was verstehen Sie eigentlich von Innenpolitik?

Andy Grote: Wenn man 20 Jahre in dieser Stadt Politik gemacht hat, lange Zeit Abgeordneter und Rechtsanwalt war und zudem einige Jahre eine größere Behörde wie das Bezirksamt Mitte geleitet hat, dann ist man auf dieses Amt ganz ordentlich vorbereitet.

Die Innenpolitik ist spätestens seit den Ereignissen in der Silvesternacht wieder ein vorherrschendes Thema in Hamburg. Was sind die wichtigsten Themenfelder Ihrer Arbeit?

Grote: Ich sehe da zwei große Themen. Die Bewältigung der Flüchtlingssituation zum einen und die Sicherheitsthemen zum anderen, bei denen wir vor mehreren neuartigen Problemstellungen stehen. Die Gefahr von islamistischen Terroranschlägen ist größer geworden. Durch die schlimmen Übergriffe an Silvester sind wir mit einem neuartigen Phänomen massiver Kriminalität konfrontiert. Hinzu kommen sicher die gestiegene Zahl an Wohnungseinbrüchen und der Kampf gegen die Rockerkriminalität.

Hätten Sie lieber im Jahr 2011 das Amt übernommen?

Grote: Nein, dieses Amt ist zu jeder Zeit anspruchsvoll, ich stelle mich dem aber mit großer Zuversicht.

Gilt das auch für die neue große zentrale Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Rahlstedt? Deren Eröffnung wurde jetzt zum wiederholten Male verschoben.

Grote: Wir werden nach aktuellem Stand im Mai dort mit der Registrierung von Flüchtlingen starten. Vermutlich werden wir nicht gleich am ersten Tag unter Volllast, sondern erstmal im Probebetrieb fahren. Alle Funktionen der Einrichtung werden dann im Sommer laufen.

Hamburg geht davon aus, dass im Jahresdurchschnitt rund 3000 Flüchtlinge im Monat von der Stadt untergebracht werden müssen. Wird für jeden Flüchtling ein Obdach bereitstehen?

Grote: Wir tun jedenfalls alles, was in unserer Macht steht. Wir wollen nicht, dass sich die Engpässe aus dem vergangenen Jahr wiederholen. Im Januar hatte Hamburg 2334 Flüchtlinge unterzubringen, mehr als im August und Dezember vergangenen Jahres. Der Druck ist nach wie vor hoch und wird im Frühjahr absehbar noch einmal steigen. Uns fehlen in der Planung noch etwa 20.000 Plätzen, um den Bedarf nach der Prognose zu decken.

Der Senat geht davon aus, dass in diesem Jahr mehr Flüchtlinge in Hamburg untergebracht werden müssen als 2015. Glauben Sie nicht daran, dass die Bundesregierung die Flüchtlingszahlen signifikant reduziert?

Grote: Wir hoffen alle, dass die Zahl der Flüchtlinge geringer wird. Es wäre aber hoch fahrlässig, sich nur auf Glauben und Pläne anderer zu verlassen. Wir müssen uns auf hohe Zahlen einstellen und wollen vorbereitet sein.

Als Bezirksamtsleiter haben Sie kritisiert, dass die Verteilung der Flüchtlinge unter den sieben Hamburger Bezirken ungerecht sei. Sehen Sie das als Innensenator auch noch so?

Grote: Seit dieser Aussage hat sich zum Glück bereits einiges getan. Und wir bemühen wir uns weiter um eine weitestgehend gerechte Verteilung. Das schließt nicht aus, dass es in einigen Stadtteilen nach wie vor eine Konzentration gibt. Absolute Gerechtigkeit ist nicht zu erreichen.

Haben Sie eine Zielmarke für die Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber?

Grote: Wir erwarten rasche Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über die Asylanträge. Wenn es eine Entscheidung gibt, wollen wir uns schnell um die Integration oder die Ausreise kümmern. Ich habe mir keine Zielzahl vorgenommen, aber klar ist auch, dass wir die Zahl der Rückführungen steigern wollen.

Wie ist der Stand bei der Schaffung einer Abschiebezone am Flughafen?

Grote: Der Ausreisegewahrsam soll schnell, möglichst schon im Sommer dieses Jahres, in Betrieb gehen.

Hat sich die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen durch die Ereignisse an Silvester verändert?

Grote: Im Vergleich zu der ersten Euphoriephase ist die Stimmung in der Stadt sicher eine andere geworden. Die Menschen merken, dass die Unterbringung, Integration und das Zusammenleben mit Flüchtlingen kein romantischer Spaziergang, sondern harte Knochenarbeit ist.

Sie wohnen auf St. Pauli. Wird die Reeperbahn als Anziehungspunkt durch die Übergriffe Schaden nehmen?

Grote: Es war schon deutlich spürbar, dass viele Besucher erst mal wegblieben. In den letzten Wochen kommt aber der normale Betrieb langsam auf den Kiez zurück.

Gibt es eine Anweisung an die Polizisten, dass Straftaten von Flüchtlingen nicht gemeldet werden?

Grote: Nein. Das wäre auch falsch. Wir brauchen Klarheit und Transparenz. Wenn es Probleme mit Straftaten im Zusammenhang mit Flüchtlingen gibt, müssen wir das wissen und darüber reden. Wir werden das Merkmal „Zuwanderer” jetzt auch in der Kriminalstatistik gesondert erfassen und ausweisen. Das tun wir, um auch über diese Problematik Klarheit zu gewinnen. Und wir können mit echten Zahlen auch möglichen falschen Vermutungen entgegentreten.

Wie sieht das Erfassen der zusätzlichen Daten aus?

Grote: Unter dem zusätzlichen Merkmal „Flüchtlingsangelegenheiten/Zuwanderer“ wird erfasst, ob es sich bei der betroffenen Person um einen tatverdächtigen oder geschädigten Asylbewerber, einen Bürgerkriegsflüchtling, Kontingentflüchtling oder um eine geduldete Person handelt. Diese Merkmale wurden bundesweit unter den Innenministerien verabredet und gehen seit gut zwei Monaten in die polizei­liche Kriminalstatistik ein.

Gibt es bereits Erkenntnisse?

Grote: Nach zwei Monaten hat man noch kein vernünftiges Bild, das eine zuverlässige Interpretation zulässt.

Ihre Behörde sitzt derzeit über der Kriminalstatistik 2015. Ist von Flüchtlingen ausgeübte Kriminalität in Hamburg ein Faktor?

Grote: Die gesamte Kriminalstatistik ist noch nicht vollständig aufbereitet. Allerdings wissen wir, dass aktuell lediglich 0,6 Prozent aller Polizeieinsätze im Kontext mit Flüchtlingsunterkünften stehen. Das ist keine signifikant hohe Zahl.

Es ist bereits durchgesickert, dass die Zahl der Einbrüche im vergangenen Jahr gestiegen ist – und das, trotz der Sonderkommission „Castle“. Was kann das sein?

Grote: Es ist richtig, dass wir im vergangenen Jahr eine deutliche Steigerung der Zahl der Einbrüche registrieren mussten. Die Täter sind zum großen Teil sehr mobil und stammen vornehmlich aus Osteuropa und Lateinamerika. Allerdings arbeitet die genau deshalb eingesetzte Soko „Castle“ erfolgreich und hat eine hohe Aufklärungsquote.

Wie hoch ist die?

Grote: Sie liegt bei über 50 Prozent und damit deutlich über der allgemeinen Aufklärungsquote bei Einbrüchen von unter 10 Prozent. Die Soko hat von 430 bearbeiteten Fällen im vergangenen Jahr mehr als 250 aufgeklärt.

Der Verfassungsschutz warnt vor „einsamen Wölfen“ unter den Islamisten. Wie kann man dieser Täter habhaft werden?

Grote: Wir haben es mit einer neuen Gefährdungslage zu tun, die viel Aufmerksamkeit und Ressourcen verlangt. Deshalb ist es gut, dass wir beim Verfassungsschutz zehn zusätzliche Stellen erhalten. Allerdings ist es schwer, potenzielle Täter vor der Tat zu fassen, die nicht auffällig werden, nicht vernetzt sind und die wie aus dem Nichts zuschlagen. Die gefestigte Islamistenszene haben wir sehr intensiv im Blick. Dass es in Deutschland und Hamburg noch keinen Terroranschlag gab, spricht dafür, dass unsere Sicherheitsbehörden gute Arbeit leisten.

Ist die Gefahr für einen Terroranschlag gestiegen, weil radikale Islamisten als Flüchtlinge in Unterkünften Unterschlupf fanden?

Grote: Ich sehe keinen belegbaren Zusammenhang zwischen der erhöhten Terrorgefahr und den Flüchtlingen. Die Erfahrung zeigt zudem, dass viele der Extremisten schon seit Längerem in Deutschland leben.

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen wurde vereinbart, dass es Gespräche über die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte geben soll. Werden Sie das jetzt forcieren?

Grote: Das Thema eignet sich nicht für ideologiegetriebene Diskussionen. Ich bin dafür, die Erfahrungen anderer Bundesländer auszuwerten. Haben sich die Befürchtungen bewahrheitet, haben sich die Hoffnungen erfüllt? Dann fallen die entsprechenden Entscheidungen leichter.

Auf St. Pauli testet die Polizei neue Mittel wie Bodycam, Videoüberwachung und Gefahrengebiete. Was hat davon hat Zukunft?

Grote: Die ersten Erfahrungen mit Bodycams sind positiv. Das könnte sich als sinnvoller Bestandteil der Polizeiausrüstung erweisen. Was die Videoüberwachung angeht, so wollen wir die Kameras lageabhängig, zeitlich begrenzt und auch zur Strafverfolgung einsetzen können. Aus unserer Sicht lässt das Polizeirecht diese Art Einsatz zu. Und was die Möglichkeit, Gefahrengebiete auszuweisen, angeht, so reden wir gerade intensiv mit der Justizbehörde und orientieren uns an den Polizeigesetzen anderer Bundesländer. Wir werden eine gemeinsame Lösung hinbekommen, die es uns ermöglicht, an bestimmten gefährlichen Orten auch in Zukunft die erforderlichen Kontrollen durchführen zu können.

Innenminister erwecken gern den Eindruck, sie seien harte Hunde. Sind Sie ein harter Hund?

Grote: Klar, wenn es sein muss.