Initiativen aus dem Volk, unter anderem zum Ausbau der Ganztagsbetreuung, werden die Rathauspolitiker auch 2016 gut auf Trab halten.

In den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr wechselt der politische Betrieb des Stadtstaats in den Ruhemodus. In den Behörden wird ein Gang zurückgeschaltet, die Opposition stellt die Dauerberieselung mit Pressemitteilungen weitgehend ein, und selbst im Büro des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz im Rathaus brennt nicht dauernd Licht.

Man kann die Zeit nutzen, wie es SPD-Bürgerschaftsfraktionschef An­dreas Dressel im Abendblatt-Interview vorgeschlagen hat, „um innezuhalten und sich zu fragen, was man aus den Erfahrungen des ablaufenden mit ins neue Jahr nehmen kann“. Dressel dachte dabei an Problemthemen wie die Unterbringung von Flüchtlingen, aber nicht zuletzt an seinen Riesenfrust nach dem überraschenden Aus für Olympia beim Referendum.

Man kann die nachrichtenärmere Zeit aber auch nutzen, um gezielt nach vorn zu blicken und den nächsten politischen Konflikt schon einmal etwas anzuschärfen. Das hat CDU-Vizefraktionschefin Karin Prien getan. „Hamburgs Eltern beklagen zu Recht, dass beim flächendeckenden Ausbau der Ganztagsbetreuung an Schulen die Qualität auf der Strecke geblieben ist“, teilte Prien während der stillen Tage schriftlich mit. Am kommenden Dienstag, wenn der Politikbetrieb wieder hochgefahren ist, werden die Mitstreiter der Volksinitiative „Guter Ganztag“ ihre Forderungen für eine bessere Ausstattung des Ganztagsangebots im Schulausschuss der Bürgerschaft darstellen. Die CDU-Opposition wissen die Initiatoren auf ihrer Seite.

Wer als Bürgerschaftsabgeordneter oder Senatsmitglied – von den Zumutungen der direkten Demokratie etwas mitgenommen, siehe Olympia –, gehofft hatte, nun herrsche erst einmal Ruhe an der Volksentscheid-Front, ist gewaltig auf dem Holzweg. Initiativen aus dem Volk werden die Rathauspolitiker auch 2016 gut auf Trab halten.

Die Volksinitiative „Guter Ganztag“ ist nur der Anfang – und ein teurer dazu. In der Schulbehörde wird schon kräftig gerechnet, wie viele Millionen Euro die Umsetzung der Forderungen der engagierten Väter und Mütter denn kosten würde. So sollen an allen Schulen lärmgeschützte Räume eingerichtet werden, in den die Kinder toben können, ohne andere zu stören. Der Betreuungsschlüssel soll erheblich verbessert werden. Und schließlich fordert die Volksinitiative, dass an allen Standorten das Mittagessen frisch zubereitet wird. Die rot-grüne Koalition will bis 2019 nicht einmal jede zehnte Schule mit einer eigenen (teuren) Produktionsküche ausstatten.

Nun wollen auch SPD und Grüne für die Schulkinder im Prinzip das Beste, schließlich ist der flächendeckende Ausbau des Ganztagsunterrichts ein Eckpfeiler ihrer Schulpolitik. Es geht also weniger um das Ob, als um das Wie und vor allem das Wann, denn den Koalitionären steht die Schuldenbremse drohend vor Augen. „Die Forderungen der Volksinitiative sind sehr allgemein“, findet CDU-Politikerin Prien. Auch konkrete Zeitvorgaben zur Umsetzung des „guten Ganztags“ finden sich nicht. Und darin liegt sogar eine Chance, vielleicht doch noch zu einem Kompromiss mit der Bürgerschaftsmehrheit zu kommen.

Sollte das allerdings nicht der Fall sein, wird die Initiative im Frühsommer ihr Volksbegehren abhalten. Dann müssen innerhalb von drei Wochen mehr als 60.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt werden, um so einen Volksentscheid zu erzwingen.

Volksinitiative will die Erleichterung der direkten Demokratie

Selbst das unangenehme Thema Olympia hat sich – rechtlich gesehen – für die unterlegenen Befürworter der Spiele von SPD, CDU, Grünen und FDP noch nicht völlig erledigt. Zwar ergibt die Volksinitiative „Stop Olympia Hamburg“ nach dem Nein der Hamburger beim Referendum politisch gesehen keinen Sinn mehr. Das Sportfest wird nicht kommen. Juristisch haben die Initiatoren aber trotzdem die Möglichkeit, ein Volksbegehren anzumelden.

In diesem Fall würde die Bürgerschaft das Anliegen der Initiative wohl formal übernehmen, um den politischen Unsinn zu beenden. Auch noch einen Parlamentsbeschluss mit dem „Nein zu Olympia“ herbeizuführen, wäre für die große Mehrheit doch geradezu eine Demütigung. Anderen könnte das hingegen klammheimliche Freude bereiten. Ein Abgeordneter spricht schon von einem „Gang nach Canossa“, zu dem die Bürgerschaft gezwungen werden könnte.

Und 2016 ist auch ein alter Bekannter in Sachen direkter Demokratie wieder in Lauerstellung. Manfred Brandt hat mit seinem Verein „Mehr Demokratie“ die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ auf den Weg geschickt. Zwar will im Rathaus niemand das Plebiszit abschaffen, so dass sich fragt, warum es gerettet werden muss. Aber dramatische Formulierungen tragen nun einmal zur Mobilisierung bei. In Wahrheit geht es Brandt um den weiteren Ausbau und die Erleichterung der direkten Demokratie. Das Volk soll bei jeder Verfassungsänderung der Bürgerschaft verbindlich gefragt werden. Die Zustimmungshürden für Volksentscheide sollen gesenkt werden. Das Volk soll über alle politischen Fragen abstimmen können.

Hier ist die Konfliktlinie eindeutig: SPD, CDU und Grüne lehnen die Forderungen klar ab. Deswegen geht Brandt auch bereits davon aus, dass es in den ersten drei Juni-Wochen zum Volksbegehren „Rettet den Volksentscheid“ kommt. Im Erfolgsfall würde der abschließende Volksentscheid parallel zur Bundestagswahl 2017 stattfinden. Da „Rettet den Volksentscheid“ zahlreiche Änderungen der Verfassung beinhaltet, ist die Hürde für den Erfolg besonders hoch. Brandt muss eine Zustimmung von mindestens zwei Dritteln erreichen und vermutlich deutlich mehr als 500.000 Ja-Stimmen. Angesichts dieser sehr hohen Schwelle geben sich die Matadore der Bürgerschaft relativ gelassen. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass der Moorburger die etablierte Politik überrascht und die Hamburger mit sehr demokratietheoretischen Forderungen überzeugt.

Eine andere Herausforderung bleibt den Parlamentariern allerdings erspart. Brandt hat sein zweites Projekt – die Abschaffung der Einheitsgemeinde Hamburg – still und leise abgesagt. Dieser Plan hätte dazu geführt, dass alle Stadtteile zum Beispiel ihren Gewerbesteuerhebesatz selbst bestimmen können. „Reiche“ Viertel müssten die „armen“ finanziell unterstützen – wie beim Länderfinanzausgleich. Nach Informationen des Abendblatts gibt es bei Verfassungsjuristen jedoch erhebliche Zweifel, ob das mit der Hamburgischen Verfassung überhaupt vereinbar ist.

Brandt will die Kräfte von „Mehr Demokratie“ nun ganz auf die Initiative „Rettet den Volksentscheid“ konzentrieren. „Wir sind ja schließlich keine Traumtänzer.“