In der Flüchtlingspolitik findet Bezirksamtsleiter Andy Grote deutliche Worte für die Arbeit des Senats.

So deutlich wie Andy Grote hat noch kein hochrangiger Sozialdemokrat seit 2011 die Politik der Regierung missbilligt. Die Zusammenarbeit mit dem Senat sei bislang immer gut gewesen, sagte der Mitte-Bezirksamtsleiter in dieser Woche. Aber: „Jetzt ist sie es nicht mehr.“ Gegen seinen ausdrücklichen Willen und praktisch über Nacht hat die Innenbehörde entschieden, 500 weitere Flüchtlinge in die Unterkunft an der Dratelnstraße in Wilhelmsburg zu entsenden. Und so machte Grote seinem Ärger öffentlich Luft: „Das Mindestmaß an Kommunikation ist nicht eingehalten worden.“

Wer Grote kennt, weiß, dass er kein politischer Heißsporn ist. Im Gegenteil. Er agiert in strittigen Fragen eher zurückhaltend, oft übervorsichtig. So wog er vor knapp einem Jahr etwa im Untersuchungsausschuss zum gewaltsamen Tod der kleinen Yagmur beinahe jedes Wort ab und brachte auf diese Weise die Opposition zur Weißglut. Ein Ausbruch aus der Parteidisziplin wie in dieser Woche kommt also nicht spontan zustande. Er war wohlkalkuliert und abgesprochen. SPD-Kreischef Johannes Kahrs und Falko Droßmann, SPD-Fraktionschef in der Bezirksversammlung Mitte, waren eingeweiht.

Die SPD-Mitte-Leute sind verärgert darüber, dass ihr Bezirk bei der Lösung der Unterbringungsfrage aus ihrer Sicht mehr als andere Bezirke herangezogen wird. Gerade für die Dratelnstraße hatten sie ganz andere Pläne. Hier sollte Wilhelmsburg aufgewertet, bis zu 3000 Wohnungen sollen dort einmal gebaut werden. Stattdessen werden in einem sozial ohnehin schon angespannten Stadtteil nun noch mehr Flüchtlinge untergebracht. Am gestrigen Freitag wurde bekannt, dass wohl weitere 150 hinzukommen. Dann wären es zusammen rund 1500.

Die Entscheidung über die Unterbringung war ursprünglich vertagt worden

Im konkreten Fall war der Ärger auch deshalb so groß, weil die Entscheidung über die Unterbringung der Flüchtlinge eigentlich vertagt worden war. Innensenator Michael Neumann, pikanterweise auch noch stellvertretender SPD-Kreischef in Mitte, soll davon aber nichts gewusst haben. Sein Staatsrat Volker Schiek setzte Grote quasi als letzte Amtshandlung vor seiner Pensionierung trocken darüber in Kenntnis, dass 500 zusätzliche Flüchtlinge in nach Wilhelmsburg kommen.

Über dem Ganzen schwebt aber ein ganz grundsätzlicher Konflikt. Dabei geht es um die Frage, wie Flüchtlinge am besten in Hamburg untergebracht werden – und wie nicht. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD), der Anfang der Woche bekannt gab, dass sich die Zahl der Zufluchtsuchenden in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nahezu verdoppelt hat, ist davon überzeugt, dass Flüchtlinge in den Wohnquartieren leben sollen. Nur wenn die Wege zu Geschäften, Kitas und Schulen kurz sind, ist Teilhabe und damit Integration möglich. Allerdings sind geeignete Plätze in den Stadtteilen Mangelware. „Das hätte Scheele spätestens vor zwei Jahren erkennen können. Er hat hier die langfristige Planung verschlafen“, sagt ein Kritiker aus der SPD Mitte. Stattdessen hätte Scheele freie Landwirtschaftsflächen an den Rändern der Stadt mit in die Planung aufnehmen müssen.

Das sei ein Grund dafür, dass die Sozialbehörde mit dem Bau von Folgeunterkünften nicht hinterherkomme. Deshalb liefen die Erstunterkünfte, die in der Verantwortung der Innenbehörde liegen, über. Dort dürften Flüchtlinge eigentlich nur drei Monate leben. „Wir machen den Job der Sozialbehörde“, hieß es schon Ende vergangenen Jahres aus Neumanns direktem Umfeld. Und in Mitte wirft man Scheele „ideologische Beschränktheit“ vor.

Neben der Olympia-Bewerbung ist die Frage der Flüchtlingsunterbringung das zentrale Thema auf der Klausurtagung an diesem Wochenende in Boltenhagen, wo die SPD-Bürgerschaftsfraktion mit dem Landesvorstand zusammenkommt. Dort werden die Sozialdemokraten aus dem Bezirk Mitte ihre Bedenken erneut vortragen.

Wer wird Nachfolgerin von Sozialsenator Detlef Scheele?

Ein weiteres wichtiges Thema steht zwar nicht auf dem offiziellen Programm, wird die mitgereisten Sozialdemokraten gleichwohl in Hintergrundgesprächen schwer beschäftigen: Wer wird die Nachfolgerin von Sozialsenator Scheele, der im Herbst als Vorstand in die Bundesagentur für Arbeit wechselt? Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit wird immer wieder als erste genannt, weil sie sich einen Namen als versierte Familienpolitikerin gemacht hat. Ihre Kompetenz gilt als unbestritten. Allerdings wird ihr und Scholz ein nicht allzu gutes Verhältnis nachgesagt. Einen inhaltlichen Zugang hätte auch Partei-Vize Inka Damerau. Der Sozialarbeiterin und Diakonin fehlt allerdings parlamentarische Erfahrung. Die ist zwar nicht zwingend notwendig, aber nützlich. Derlei Erfahrung hat ihr Familienpolitikerin Melanie Leonhard voraus. Möglicherweise ist der Zeitpunkt aber noch ein wenig zu früh, der erst 37-Jährigen Hamburgs größte Behörde aufzubürden.

Derweil wird eine völlig andere Variante erörtert: Die Behörde für Soziales und Arbeit könnte der Gesundheitsbehörde zugeschlagen werden. Dieser Zuschnitt hat Tradition in Hamburg. Auf diese Weise könnte Scholz mit Cornelia Prüfer-Storcks eine Nachfolgerin präsentieren und den Senat zusätzlich verkleinern. Gleichzeitig ergibt sich eine weitere Option: Nach einem erfolgreichen Referendum für die Olympia-Bewerbung könnte der Bürgermeister die Innenbehörde neu aufstellen. Neumann könnte sich als reiner Olympia-Senator seiner eigentlichen Passion widmen und das Innenressort an eine Frau abgeben. Das wäre ein Novum für dieses Ressort – und ein Coup.