Im Eichtalpark in Wandsbek wird künftig wie bei Facebook online diskutiert. So will die SPD neue Mitglieder gewinnen. Hauke Wagner kandidiert für Vorsitz.

Hamburg. So richtig sexy sind die politischen Parteien ja schon länger nicht mehr – falls sie es jemals waren. Kein Wunder. Denn wer hat schon Lust, regelmäßig seine Abende mit zumeist älteren Herrschaften in muffigen Kabuffs zu verbringen, um sich über die Gestaltung einer Bushaltestelle in Barmbek-Süd oder eine öffentliche Toilette in Niendorf-Nord rumzustreiten? Wenn man gerne über große oder auch kleinere Politik diskutiert, kann man das heute außerdem viel praktischer in diesem Neuland namens Internet tun. Die Debatten auf Facebook oder Twitter sind bisweilen weitaus klüger, lustiger und dynamischer als vieles von dem, was so bei den traditionellen Treffen von Ortsverbänden oder Distrikten verhackstückt wird. Man muss dafür auch nicht umständlich irgendwo hinfahren, und wenn es einem reicht, kann man sich halbwegs unauffällig ausloggen.

Schon Mitte 2012 hatte Bürgermeister und SPD-Landeschef Olaf Scholz verkündet, die SPD wolle sich all dies zunutze machen und zur bundesweit führenden „Internet-Partei“ werden – und in jedem der sieben Hamburger Kreisverbände einen sogenannten „digitalen Distrikt“ ins Leben rufen. Darin sollen Parteimitglieder wie alle anderen mitarbeiten können, allerdings vor allem über das Internet – also ohne zu bestimmten Zeiten an einem bestimmten Ort sein zu müssen.

Bürgermeister und SPD-Landeschef Olaf Scholz ist nach zweieinhalbjähriger Vorbereitung und allerlei interner Querelen nun endlich eine erste Tat gefolgt. Im Kreisverband Wandsbek ist jetzt der bundesweit erste digitale Distrikt der guten alten SPD gegründet worden. Der Distrikt mit dem Namen Eichtalpark soll sich in der letzten Januarwoche konstituieren. Bisher einziger Kandidat für den Vorsitz ist Hauke Wagner, früherer Juso-Chef, Sohn des langjährigen Bausenators „Beton-Eugen“ Wagner und Mitglied des Programmbeirats für digitale Gesellschaft des SPD-Bundesvorstandes.

„Ich freue mich als stellvertretende Kreisvorsitzender ganz besonders, dass ausgerechnet mein Kreisverband ein Stück sozialdemokratische Geschichte schreibt“, sagt Wagner. „Natürlich haben uns 150 Jahre Tradition der alten Tante SPD nicht nur Rückenwind für diesen innovativen Weg beschert, deshalb bedurfte es einer breiten Diskussion inklusive der Beteiligung unserer Parteibasis um alle mitzunehmen und zu beteiligen.“

Dass es von der Ankündigung der „Internet-Partei“ bis zur Gründung des ersten Digitaldistrikts so lange dauerte, hat vor allem zwei Ursachen. Zum einem mussten die technischen Voraussetzungen für eine sichere Kommunikation im Internet geschaffen werden. Dafür hat die SPD mit der Firma Protonet kooperiert. „Die Sicherheit der Daten hat oberste Priorität“, heißt es in einer Mitglieder-Info. „Jegliche Kommunikation findet ausschließlich auf unserem eigenen Server statt, der sich auf Hamburger Boden (im KuSchu) befindet. Dort und nur dort werden auch alle relevanten Nutzerdaten gespeichert. Anders als bei Facebook bleiben wir also jederzeit im Besitz der Daten.“

Dem digitalen Distrikt stünden dabei zwei Anwendungen zur Verfügung. „Zum einen die Kommunikationsplattform, die so ähnlich wie die Timeline bei Facebook funktioniert. Die Teilnehmenden tauschen sich aus, diskutieren, verteilen Aufgaben und legen Termine fest, wohlgemerkt nur innerhalb des Distrikts, nicht öffentlich“, so das Papier. „Hinzu kommt als zweite Komponente eine Beschluss-Plattform, auf der gemeinschaftlich Anträge formuliert und schließlich digital abgestimmt werden können.“

Ein zweiter, und nicht ganz unwesentlicher Grund für die Verzögerungen ist nicht technischer, sondern machttaktischer Natur. So haben einige Partei-Granden hier und dort offenbar Angst davor, dass digitale Distrikte die Mehrheiten in ihrem Kreis zu ihren ungunsten verschieben könnten. Schließlich sind Mitglieder, die vor allem im Internet mitarbeiten womöglich schlechter zu kontrollieren. Trotz Nachfrage wollte sich denn auch kaum ein Kreis zu dem Thema äußern. Lediglich Altonas Parteichef Mathias Petersen antwortete auf eine Abendblatt-Anfrage.

Für eine große Organisation wie die SPD mit rund 500.000 Mitgliedern sie die Umsetzung des Plans „nach nur zwei Jahren eine schnelle Umsetzung“, so Petersen. „In ganz Deutschland ist dies der erste Online-Distrikt/ Ortsverein einer größeren Partei. Sollte sich zeigen, dass ein Bedarf besteht, werden die anderen Kreise sicher folgen.“ Natürlich gebe es „in einer Partei mit über 150 Jahre alten Strukturen Diskussionen, wenn ‚alte Zöpfe‘ abgeschnitten werden“, so der frühere Landesvorsitzende. „Aber ich bin mir sicher, dass wir auf einem gutem Weg zur Internet Partei sind.“

Optimistisch, was den weiteren Weg zur von Olaf Scholz ausgerufenen „Internet-Partei“ angeht, zeigt man sich auch in der Parteizentrale an der Kurt-Schumacher-Allee. Digitale Distrikte seien eine „gute Möglichkeit für Mitglieder, die sich engagieren wollen, aber das aus verschiedenen Gründen im normalen Distrikt nicht tun“, sagte Landesgeschäftsführer Tim Petschulat. „Wer alleinerziehend ist, im Schichtdienst arbeitet oder nur eingeschränkt mobil ist, hat es nicht einfach, regelmäßig zu Distrikts-Versammlungen zu gehen. Der Digitale Distrikt kann eine Alternative bieten. Mitmachen, ohne an einen regelmäßigen Termin gebunden zu sein. Diskutieren, Anträge schreiben und kommentieren, abstimmen – alles im Internet, während der Fahrt zur Arbeit, im Wartezimmer, zu Hause auf dem Sofa.“

Bei dem Projekt sei es wichtig gewesen, „dass unser Digitales Portal alle Voraussetzungen des Parteiengesetzes und unserer Satzung erfüllt, darum hat die technische Vorbereitung etwas Zeit beansprucht“, so Petschulat. „Ich freue mich, dass nach Abschluss der Vorarbeiten am vergangenen Montag die Gründung eines ersten Digitalen Distrikts in Wandsbek beschlossen wurde. Andere werden folgen.“ Von Digitalen Distrikten verspreche sich die SPD mehr Beteiligung und viele gute Ideen, so Petschulat. Denn schließlich lebe die Demokratie vom Mitmachen.

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