Das elfjährige Mädchen war 2012 an einer Überdosis Methadon gestorben.
Neustadt. Kaum ist das Urteil im Fall der drei Jahre alten, zu Tode misshandelten Yagmur verkündet worden, muss sich das Landgericht mit einer weiteren Kindstötung auseinandersetzen. Von Montag an müssen sich Sylvia L., 50, und Wolfgang A., 54, die Pflegeeltern der kleinen Chantal aus Wilhelmsburg, vor der Großen Strafkammer 6 wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Die Elfjährige war bereits im Januar 2012 an einer Überdosis der Ersatzdroge Methadon gestorben.
Das Jugendamt Mitte war nach dem Tod des Mädchens einmal mehr in die Kritik geraten, weil es trotz der erkenntlich verwahrlosten Wohnung eine Vernachlässigung nicht erkannt und Hinweisen auf den Drogenkonsum der Pflegeeltern nicht nachgegangen war. Zunächst wollte das Gericht das Hauptverfahren nur gegen Wolfgang A. eröffnen. Erst auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin ließ das Hanseatische Oberlandesgericht im August 2013 die Klage auch gegen die Pflegemutter zu.
Die Anklage wirft Wolfgang A. und Sylvia L. vor, ihre Pflichten als Pflegeeltern erheblich vernachlässigt zu haben – und zwar seit Übernahme der Pflegschaft im Jahr 2008, da war Chantal gerade acht Jahre alt. So sollen sie in ihrer Wohnung in einem unverschlossenen Schreibtisch mehrere Waffen und in einer ungesicherten Kiste im Wohnzimmer zahlreiche verschreibungspflichtige Medikamente gelagert haben. Am 15.Januar sollen die Angeklagten eine Methaddict-Tablette ungesichert in der Wohnung liegen gelassen haben.
Weil sich Chantal abends unwohl fühlte, schluckte sie die Tablette – beide Angeklagten befanden sich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht in der Wohnung. Als Chantal ihre Pflegemutter anrief, soll sie ihr lediglich geraten haben, Tropfen einzunehmen. Nach Hause kam sie trotzdem nicht. Am frühen Morgen fand Pflegevater Wolfgang A. das Mädchen im Bett, konnte es aber nicht aufwecken. Statt einen Arzt zu rufen, verließ er die Wohnung. Zu diesem Zeitpunkt lebte Chantal allerdings noch: Sie verstarb laut Anklage erst am Nachmittag an den Folgen der Methadon-Überdosis. Bisher hat das Gericht sieben Verhandlungstage angesetzt, ein Urteil wird nicht vor dem 19.Dezember erwartet.
Der Todesfall hatte auch politische Konsequenzen: So müssen potenzielle Pflegeeltern nun ein Gesundheitszeugnis mit Drogentest vorlegen.